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80. Geburtstag des

Hamburgischen Richtervereins

Vor 80 Jahren, am 25. Januar 1919 fand die erste Mitgliederversammlung des Hamburgischen Richtervereins statt. Runde Geburtstage sind immer ein Anlaß, innezuhalten, den gegangenen Weg Revue passieren zu lassen und den Standort zu bestimmen.

Die Geschichte des Hamburgischen Richtervereins zu rekonstruieren, stößt auf Schwierigkeiten. Die Aktenlage ist äußerst dürftig. Trotz heftiger Suche in den Tiefen des Hanseatischen Oberlandesgerichtes sind alte Aufzeichnungen nur für bestimmte Zeiträume erhalten. Gleichwohl soll hier und in der folgenden Ausgabe- in Wiederaufnahme und Fortsetzung meines Beitrages zum 70. Geburtstag eine kleine Geschichte des Hamburgischen Richtervereins versucht werden.

Unsere Geschichte beginnt an einem nebligen, grauen Dezembertag Richter und Staatsanwälte versammelten sich im Schwurgerichtssaal des Strafjustizgebäudes.

Die Stimmung war besorgt. Äußerer Anlaß für das Treffen waren die Ereignisse des November 1918, im Verlaufe derer sich in Hamburg der Arbeiter - und Soldatenrat als höchste Gewalt der Stadt proklamiert hatte. Die versammelten Richter fürchteten Eingriffe in die Rechtsprechung und in ihre persönliche Unabhängigkeit.

Zu Unrecht wie sich zeigte. Vorsitzender der Justizkommission des Arbeiterrates war Rechtsanwalt Carl Herz (USPD). Er verteidigte die Unabhängigkeit der Rechtspflege und die Unabsetzbarkeit der Richter. Änderungen der Prozeßordnungen oder der Gerichtsverfassung, wie sie verlangt wurden, lehnte er unter Hinweis auf die ausschließliche Kompetenz des Deutsches Reiches strikt ab. Auch der Vorschlag einiger Sozialdemokraten, wenigstens solche Richter zu entlassen, die wegen ihrer "unsozialen" und/oder "antisemitischen Haltung" bekannt waren, wurde verworfen. So blieb die Kontinuität der Rechtspflege trotz des politischen Umbruchs gewahrt - nicht das letzte Mal in diesem Jahrhundert.

Die Selbstbeschränkung des Arbeiterrates hatte zur Folge, daß die Gerichte nahezu ungestört weiterarbeiten konnten. Die Kehrseite der Medaille war es, daß über die Rechtsprechung manche Ergebnisse der Revolution revidiert wurden.

Daß es für sie so nahezu ungestört weitergehen würde, konnten die Richter im Dezember 1918 nicht ahnen, als sie sich zur Wahrung ihrer Standesinteressen zusammenzuschließen begannen. Daß es nicht früher geschah, hatte auch mit der privilegierten Stellung der Richter in Hamburg zu tun, die es zu früheren Zeiten nicht hatte notwendig erscheinen ließ, sich zu vereinigen. Die Hamburgischen Richter wurden erheblich besser besoldet als die der übrigen Länder. Ihre soziale Stellung war eine außerordentlich angesehene.

Hamburg hatte vielleicht aus diesem Grunde keinen Anteil an der Gründung des deutschen Richterbundes. Schon 1899 hatten sich die Richter in Hessen zur Wahrung ihrer Standesinteressen zusammengeschlossen und einen Richterverein gegründet. 1906 folgten die bayerischen Richter. 1908 schlossen sich die bis dahin entstandenen Landesvereine - Baden, Bayern, Hessen, Sachsen und Elsaß-Lothringen zum Deutschen Richterbund zusammen. Hamburg blieb abseits - bis die alten Strukturen zusammenbrachen.

Die Mitgliederversammlung am 25. Januar 1919 wählte den Senatspräsidenten am Hanseatischen Oberlandesgericht Dr. Mittelstein zum Vorsitzenden. Zweiter Vorsitzender wurde Landgerichtspräsident Ipsen.

In den ersten Sitzungen des Vorstandes beriet man über die Satzung des Vereins. Umstritten war die Frage, ob Assessoren Mitglieder sein könnten. Sie wurde schließlich verworfen. Auf Grund der eingeschränkten Befugnisse der Assessoren sah man sie nicht als Richter an, die einer Standesvereinigung angehören konnten. Assessoren durften weder Sachentscheidungen von Bedeutung treffen noch Haftbefehle oder Vorführungsbefehle erlassen

Der Vorstand beschäftige sich auch mit der Wiederaufnahme von Vortragsveranstaltungen, der Wiedereinführung des Aktenwagens, der den Richtern die zu bearbeitenden Akten ins Haus brachte, und mit dem Wunsch nach Teuerungszulagen in der Richterbesoldung. Schon in den ersten Sitzungen forderte der Vorstand eine Mitwirkung des Richtervereins bei der Stellenbesetzung.

Der Vorsitzende Dr. Mittelstein warnte entschieden vor der Mitwirkung von Bürgerschaftsmitgliedern bei der Richterwahl, die damals durch den Senat erfolgte, nachdem drei Vertreter der Richter und drei Vertreter der Anwaltschaft zuvor gehört worden waren.

Zu den Aktivitäten des Vereins in den folgenden Jahren gehörte die Ausrichtung des ersten Hanseatischen Richtertages am 26. November 1921. Zusammen mit den Richtervereinigungen in Bremen und Lübeck berieten die Delegierten in Hamburg über die Richterbesoldung. Nach den einführenden Worten Dr. Mittelsteins gaben drei Referenten aus den beteiligten Städten einen Überblick über das Thema. Für Hamburg sprach Richter Dr. Lindenmaier.

OLG-Rat a.D. Dr. Beit, einer der Mitbegründer des Hamburgischen Richtervereins, wies darauf hin, daß von keiner Seite ein Anschluß an den Deutschen Richterbund erwogen wurde. Ob und wann dieser dann doch vorgenommen wurde, läßt sich den hier vorhandenen Akten nicht entnehmen - die Akten aus jener Zeit sind nicht mehr aufzufinden. Auch eine Abhandlung, die Dr. Beit Anfang der Sechziger Jahre über die Geschichte des Hamburgischen Richtervereins schrieb, ist offenbar niemandem in Erinnerung und verschollen.

Wie der Deutsche Richterbund und die ihm angeschlossenen anderen Landesverbände ist jedoch auch der Hamburgische Richterverein unter seinem Vorsitzenden Amtsgerichtspräsident Dr. Blunck im Rechtswahrerbund aufgegangen.

Der Deutsche Richterbund zeigte schon im Januar 1933 seine Bereitschaft zur Mitarbeit im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), dem späteren NS-Rechtswahrerbund, an. Am 21.5.1933 erklärte er gegenüber dem Reichsjustizkommissar Frank seine Bereitschaft, den Deutschen Richterbund dem BNDJ kooperativ anzugliedern. Dies geschah. Damit wurden auch die Landesverbände Teil des BNSDJ. Führerprinzip und Arierparagraph fanden Aufnahme in die Satzungen. Im Oktober 1933 beschloß die inzwischen von Nationalsozialisten gelenkte Vertreterversammlung des Deutschen Richterbundes ihre und ihrer Mitglieder Auflösung. Reichsjustizminister Franz Gürtner bestimmte als Zeitpunkt dafür den 31.12.1933.

Für das Gründungsmitglied des Hamburgischen Richtervereins Dr. Hans Beit gab es keinen Platz mehr in der Justiz des Nationalsozialismus. Er wurde am 1.12.1933 in den Ruhestand versetzt. Ein jüdischer Großvater machte ihn zum Opfer des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches gehörte Dr. Beit, der am 17.12.1945 zum Oberlandesgerichtsrat ernannt wurde, zu denjenigen, die schon 1945 an die Wiedererrichtung des Hamburgischen Richtervereins dachten. Dr. Beit wurde in der Mitgliederversammlung vom 25.1.1946 zum zweiten Vorsitzenden gewählt.

Nichts war 1946 weniger selbstverständlich, als an eine Wiedergründung des Hamburgischen Richtervereins zu denken, wenn man sich die Situation der Stadt und der Justiz in jener Zeit vor Augen hält. Das am 3. Mai 1945 von den Engländern besetzte Hamburg war eine Stadt zwischen Trümmern und Ruinen und dies nicht nur im buchstäblichen Sinne. Feldmarschall Montgomery, Oberbefehlshaber des britischen Besatzungsgebiets richtete am 10. Juni 1945 eine Botschaft an die Deutschen, in der er erklärte, warum seinen Soldaten verboten war, den Menschen zuzuwinken oder mit den Kindern zu spielen. Er schrieb:

" .......Unsere Soldaten haben in den Ländern, in die Euer Führer den Krieg trugen, schreckliche Dinge gesehen. Für diese Dinge, meint Ihr, seid Ihr nicht verantwortlich, sondern Euer Führer. Aber aus dem deutschen Volke sind diese Führer hervorgegangen: jedes Volk ist für seine Führung verantwortlich, und, solange sie Erfolg hatte, habt Ihr gejubelt und gelacht. Darum stehen unsere Soldaten mit Euch nicht auf gutem Fuße. Das haben wir befohlen, dies haben wir getan, um Euch, Eure Kinder und die ganze Welt vor noch einem Krieg zu bewahren. Es wird nicht immer so sein. Wir sind ein christliches Volk, das gern vergibt, und wir lächeln gern und

sind gern freundlich. Es ist unser Ziel, das Übel des nationalsozialistischen Systems zu zerstören. Es ist zu früh, um sicher sein zu können, daß dieses Ziel erreicht ist."

Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Herbert Ruscheweyh beschreibt die Zeit in seiner 1947 erschienenen Festschrift für Dr. Wilhelm Kiesselbach:

"Am 3. Mai 1945 kapitulierte Hamburg vor den anrückenden britischen Truppen. Am Vormittag dieses entscheidenden Tages arbeiteten die Gerichte noch in ihren von den feindlichen Angriffen schwer mitgenommenen Gebäuden. Dann trat völlige Verkehrsruhe ein, die der Stadt in den Kapitulationsverhandlungen auferlegt war. Zum letzten Mal hörten wir den Sprecher der nationalsozialistischen Stadtführung. Das deutsche Reich hatte für uns Hamburger zu bestehen aufgehört. Die lähmende Stille nach der dramatischen Aufregung der letzten Tage und dem Lärm des Luftkrieges legte sich auf uns. ... Keiner, dem es ernst war um das Leben unseres Volkes und unseres Staates und damit um die europäische Kultur, wird diese spannende und besinnliche - vielleicht schöpferische - Pause ohne tiefste Erschütterung erlebt haben.

... Als nach der Verkehrssperre Schritt für Schritt das öffentliche Leben sich wieder zu regen begann, gewannen auch die Aufgaben, vor die die Rechtspflege gestellt war, langsam Gestalt. ...

Als am 5. Mai 1945 das Ausgangsverbot aufgehoben worden war, kehrten die Richter und Beamten der Geschäftsstellen an Ihre Arbeitsplätze zurück. Am gleichen Tage übernahm ein britischer Kontrolloffizier die Aufsicht über die hamburgische Justiz. ...

Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare durften ihr Amt bis zu einer neuen Zulassung nicht mehr ausüben. ... Die praktische Folge dieser Anordnung war zunächst, daß der mit der Kapitulation eingetretene Stillstand der deutschen Rechtspflege andauerte. ..."

Der bisherige Oberlandesgerichtspräsident Dr. Schmidt-Egk war zunächst im Amt geblieben, wurde aber am 28. Mai 1945 festgenommen. Am darauffolgenden Tag bestimmte die Militärregierung Dr. Dr. h.c. Wilhelm Kiesselbach zum Präsidenten. Er war bereits bis zum Jahre 1933 Oberlandesgerichtspräsident gewesen.

Am 13. August 1945 - die Sperrstunde in Hamburg war am 7. August 1945 auf die Zeit zwischen 22.30 Uhr und 4.30 Uhr verkürzt worden - nahmen die Hamburger Amtsgerichte im Bereich der Strafrechtspflege und Teilen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit die Arbeit wieder auf.

Am 22. September wurde im Plenarsaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts während eines Festaktes die Verordnung über die Wiedereröffnung der Hamburger Gerichte vom gleichen Tage verkündet. Erst mit diesem Datum konnten auch Landgericht und Oberlandesgericht ihre Arbeit wieder aufnehmen, wenngleich noch nicht alle Spruchkörper mit der erforderlichen Zahl von Richtern zu besetzen waren.

Der Schwarzhandel blühte. Der Hunger trieb die Hamburger vor die Tore der Stadt, um ihre Hamsterkäufe dann in Rucksäcken nach Hause zu schleppen. Der Winter brach früh ein. Man ging sehr früh ins Bett, um Kälte und Hunger weniger zu spüren.

In dieser Situation fand am 25. Januar 1946 um 15 1/2 Uhr im Plenarsaal des Oberlandesgerichts in Gegenwart Dr. Kiesselbachs eine Versammlung Hamburgischer Richter statt. Die Anwesenden beschlossen die Wiederbegründung des Richtervereins. Die Versammelten wählten einen geschäftsführenden Vorstand - geschäftsführend deswegen, weil man die gefaßten Beschlüsse zunächst als vorläufig betrachtete und auch noch keine Anmeldung zum Vereinsregister vorgesehen war. Der mögliche Mitgliederbestand war ungewiß. Die "Entnazifizierung" war noch nicht abgeschlossen, viele Kollegen befanden sich noch in Gefangenschaft.

Der geschäftsführende Vorstand 1946:

Die ersten Protokolle der Vorstandssitzungen bieten ein anschauliches Bild. In der Sitzung - am 6.2.1945 -, die um 8 3/4 Uhr im Beratungszimmer des Strafsenates stattfand, wurden folgende Themen behandelt:

  1. Regelung der Richterbesoldung,
  2. die finanzielle Lage des Vereins,
  3. Wiedereinführung der Präsidien,
  4. der Wunsch des Richtervereins, vor Beförderungen angehört zu werden,
  5. die Zurückstellung der Pflege von Geselligkeit während des Winters,
  6. Werbung von Mitgliedern,
  7. Beschaffung von Heizmaterial für Richter,
  8. Unterstützung entlassener Kollegen.

Aber nicht nur das aktuelle Tagesgeschehen - z.B. die Beschaffung von Glühbirnen - wurde behandelt. In derselben Sitzung regte Dr. Beit an, Fühlung zum früheren bayrischen Richterverein aufzunehmen, um festzustellen, ob er wieder bestehe. Dieses Nebeneinander ist charakteristisch für die erhaltenen Aufzeichnungen: Der tägliche Kampf um das Nötigste steht neben grundsätzlichen, moralischen Erörterungen und zugleich gilt der Gedanken auch der Zukunft. So zeigen die Protokolle einerseits die verzweifelte materielle Lage, andererseits aber auch die unverzagte Energie, sofort standespolitische Fragen mitgestalten zu wollen und dabei auch über die Landesgrenzen zu blicken.

Der Hamburgische Richterverein hatte im Mai 1946 90 Mitglieder, es gab in Hamburg 166 wieder zugelassene Richter.

In der Folgezeit gehörte das Begehren, die Unabhängigkeit der Richter in der werdenden Verfassung der Bundesrepublik und in den Richtergesetzen zu verankern, zu den wesentlichen Themen der Vereinsarbeit. In Denkschriften und Resolutionen trat der Hamburgische Richterverein unter der Federführung von Dr. Beit dafür ein. Er hielt nach Konstituierung des parlamentarischen Rates am 1. September 1948 ständigen Kontakt nach Bonn und zu den anderen wieder ins Leben gerufenen Richtervereinen.

Die Frage des Zusammenschlusses mit anderen Landesverbänden, der den standespolitischen Vorstellungen mehr Nachdruck verleihen konnte, beherrschte die Diskussion über Monate. Im März 1948 tagten Richter der Britischen Zone in Duisburg. Am 8./9. Oktober 1948 kam es in Recklinghausen zu einer Zusammenkunft der Richtervereine in Hamburg, Lübeck, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Die Vertreter beschlossen die Vereinigung der in der britischen Zone bestehenden Richtervereine. Der Zusammenschluß wurde in Hamburg besiegelt. Am 14./15. Januar 1949 fand im Plenarsaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg die Gründungssitzung des Deutschen Richterbundes in Nord- und Westdeutschland statt. Im Phönixsaal des Rathauses gab der Senat anläßlich dieses Ereignisses einen Empfang. Zum Vorstand dieser Vereinigung bestimmten die Delegierten den Vorstand des Hamburgischen Richtervereins. Sitz der Vereinigung war Hamburg.

Der heutige Deutsche Richterbund wurde am 27.10.1949 in München wiedererrichtet. Dr. Beit gehörte zu seinen Mitbegründern und war stellvertretender Vorsitzender bis in die Sechziger Jahre.

Die Arbeit des Hamburgischen Richtervereins, wie sie sich in den Protokollen darstellt, war immer eine Mischung aus Diskussionen über die großen Fragen der Zeit, aus schneller Reaktion auf einzelne Mißstände und Ärgernisse, Überlegungen zu geselligen Veranstaltungen "mit Damen" oder "ohne Damen" und ständigem Bemühen, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Richter und Staatsanwälte beizutragen. Stimmen, die richterliche Zurückhaltung bei politischen Fragen empfahlen, konnten sich im Vorstand des Hamburgischen Richtervereins nie recht durchsetzen.

Auffallend ist bei allen Diskussionen aus dieser Zeit das Bedürfnis, über die Grenzen der Stadt hinaus Erfahrungen auszutauschen und mit anderen Landesverbänden Kontakt zu suchen. Bedenkt man die schwierige Zeit, in der sich dies von Beginn an richtungsweisend abzeichnete, ist es um so bemerkenswerter, welche Offenheit und welcher Weitblick die Mitglieder des Vorstandes in ihrem Handeln bestimmte.

Die weitere Entwicklung des Hamburgischen Richtervereins bis in die heutige Zeit soll Gegenstand der nächsten Ausgabe sein.

Karin Wiedemann