(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/06, 23) < home RiV >

Zu Bertram,

Roger Kusch zur „Tötung auf Verlangen“

MHR 4/2005, 18 ff.

 

Das Hamburger Abendblatt berichtete am 17.01.06, Justizsenator Dr. Kusch habe bei einer Diskussion mit Schülern u.a. Folgendes gesagt: „Ärzte, die bei Koma-Patienten irgendwann entscheiden, die Geräte abzustellen, bleiben schon jetzt straflos.“

Der verantwortliche Redakteur hat mir mitgeteilt, der Senator habe dies inhaltlich so gesagt; der Pressesprecher des Senators habe es ihm, dem Redakteur, nochmals bestätigt.

Das Thema „Sterbehilfe“ ist mit das Letzte, das sich für Vereinfachungen – und dann noch für solche „von höchster Stelle“ – eignet. Von daher frage ich mit Verlaub, ob sich Darlegungen des Senators überhaupt (noch) als Anknüpfungspunkt für das Thema eignen.

Denn wie komplex ist die Rechtslage bei der Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen (womit das Abendblatt seine Leserschaft dann doch nicht konfrontieren wollte):

Sollte der Patient im Rahmen einer so genannten Patientenverfügung konkrete Anweisungen für den nun eingetretenen Fall (hier: Keine lebenserhaltenden Maßnahmen im Falle des so genannten Wachkomas) gegeben haben, so hat sich der behandelnde Arzt daran zu halten. Ein etwa vorhandener Vorsorgebevollmächtigter oder gerichtlich bestellter Betreuer hat den Willen des Patienten zur Geltung zu bringen.

Sollte der Patient keine oder keine ausreichend konkreten Anweisungen gegeben haben, so sind seine Rechte durch einen Vorsorgebevollmächtigten oder, sofern vom Patienten keiner eingesetzt worden ist, durch einen gerichtlich bestellten Betreuer wahrzunehmen. Der behandelnde Arzt hat diesem gewählten bzw. bestellten Vertreter des Patienten Vorschläge zu unterbreiten, und zwar nach medizinischen Kriterien.

Das Wachkoma als solches ist nach medizinischen Kriterien kein Grund, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden.

Schlägt der behandelnde Arzt nach medizinischen Kriterien die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen nicht vor und ist der Vertreter des Patienten der Meinung, die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen entspräche aber dem Willen, den der Patient äußern würde, wenn er könnte, so hat der Vertreter des Patienten beim Vormundschaftsgericht die Genehmigung dafür zu beantragen, dass der Vertreter gegenüber dem behandelnden Arzt erklärt, es bestehe kein Einverständnis mit lebenserhaltenden Maßnahmen mehr. Ohne Genehmigung des Gerichts darf diese Erklärung nicht abgegeben werden und die lebenserhaltenden Maßnahmen dürfen nicht beendet werden. Sollte das Gericht die Genehmigung erteilen, so darf (und muss, falls der Vertreter nach wie vor der oben beschriebenen Meinung ist) diese Erklärung abgegeben werden und die lebenserhaltenden Maßnahmen müssen beendet werden.

 

Vorstehendes (was auf der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen beruht) gilt unabhängig von § 216 StGB, und zwar schon deshalb, weil ein zivilrechtlich relevantes Geschehen (hier: Lebensverletzung; vgl. § 823 Abs. 1 BGB), das zivilrechtlich nicht „widerrechtlich“ (vgl. wiederum § 823 Abs. 1 BGB) ist, strafrechtlich nicht verboten („Wer einen Menschen tötet, …; vgl. § 212 Abs. 1 StGB) sein kann („Einheitlichkeit der Rechtsordnung“; vgl. z. B. Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 228 Rn 2). Dem gemäß bedarf es einer Änderung des § 216 StGB jedenfalls nicht, um Ärzte, die auf der Basis des oben Beschriebenen lebenserhaltende Maßnahmen beenden (oder gar nicht erst beginnen), aus dem Bereich rechtswidriger Straftatbestandsverwirklichung zu holen.

 

Es bleibt die Frage, ob § 216 StGB deshalb abgeändert werden sollte, um über das vorstehend Dargelegte hinaus „Sterbehilfe“ ohne „Kollision“ mit dem StGB zu ermöglichen. (Die „abgesegneten“ Fallkonstellationen der so genannten „indirekten Sterbehilfe“ und der so genannten „passiven Sterbehilfe“ lasse ich unbetrachtet.) Ich verneine die Frage, denn:

·      Der einwilligungsfähige Patient kann jede ärztliche Behandlung ablehnen.

·      Der gewählte bzw. bestellte Vertreter des nicht (mehr) einwilligungsfähigen Patienten (vgl. oben) soll das Einverständnis mit einer Todesspritze o. Ä. nicht erklären können.

·      Und der einwilligungsfähige Patient (auf dessen Fähigkeit oder Unfähigkeit zur aktiven Selbsttötung ich nicht abstellen möchte, denn eine Selbsttötungshandlung dürfte zumindest psychisch beanspruchend sein, um es einmal milde auszudrücken), der „verlangt“ (vgl. § 216 Abs. 1 StGB), aktiv – auf schnelle, schonende Weise und ohne Überlebensgefahr – getötet zu werden: Was ist mit ihm?

Er muss weiterleben, damit

·      kein Mensch dem Risiko ausgesetzt werden kann, dass ihm nahe gelegt wird (oder Schlimmeres), er solle „Tötung jetzt“ verlangen, und

·      kein Mensch (i. d. R.: kein Arzt) dem Risiko ausgesetzt werden kann, wegen einer widerwillig vorgenommenen Tötung oder wegen einer die Fortdauer des leidvollen Patientenlebens bewirkenden Verweigerung einer Tötung ein schlechtes Gewissen zu haben.

Und ich gehe, insbesondere nach vielen Jahren als Vormundschaftsrichter, nicht über die Brücke, diese Risiken seien durch Verfahrensvorschriften (nahezu) auszuschließen.

Martin Weise