(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/05, 18) < home RiV >

Anstoß zur Debatte oder Tabubruch?

 

Roger Kusch zur

„Tötung auf Verlangen“

 

I.

„Hamburgs Justizsenator Kusch fordert Änderung des Paragraphen 216 Strafgesetzbuch [1], war im Oktober 2005 in der Hamburger und überregionalen Presse zu lesen[2]. Damit hatte der Politiker an eine lebhaft geführte Debatte angeknüpft: über Patientenautonomie, Selbstbestimmung und Patientenverfügungen, deren Reichweite und Grenzen[3], hatte dabei allerdings den bisher üblichen Rahmen der Debatte ganz bewusst überschritten[4]:

„Der Staat hat den Wunsch eines Todkranken nach Hilfe beim Sterben uneingeschränkt zu respektieren“, und das heiße, eine aktive ärztliche Lebensbeendigung (die tödlich-erlösende Spritze eingeschlossen) bei ernstlichem Verlangen in hoffnungsloser Lage (unter gewissen Sicherheitskautelen) als persönliche Entscheidung anzuerkennen und den Helfer künftig nicht weiter zu kriminalisieren[5].

 

Der STERN interpretiert eine eigene Umfrage dahin, dass ¾ aller Deutschen der Auffassung des Senators beipflichten. Dass diese Einschätzung[6], obwohl vielleicht überzogen, nicht völlig aus der Luft gegriffen sein dürfte, legt auch eine Umfrage unter deutschen Vormundschaftsrichtern nahe. Danach bejahten 46 % von ihnen die Frage, ob sie einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wie in den Niederlanden und Belgien zustimmen würden - voll und ganz oder jedenfalls tendenziell[7].

Gesellschaftliche Gruppen, Politiker, Kirchenleute und einflussreiche Medien reagieren hingegen mit teils scharfer Zurückweisung auf den Vorstoß des Hamburger Senators[8]. Dass der Zwischenruf von einem CDU-Mann kommt, der sich dabei auch noch auf seine christliche Überzeugung beruft, scheint zum innerparteilichen Frieden nicht gerade beigetragen zu haben[9].

 

II.

Eine seriöse Erörterung der Sache selbst ist hier unmöglich und liegt auch nicht in meiner Absicht. Nur wenige Bemerkungen – zunächst zum Stil der Debatte.

 

1.         Es ist reine Demagogie, wenn und soweit der Vorstoß des Senators in den Schatten der „Nazi-Euthanasie“ gerückt wird. Jene kaltblütige Vernichtung sog. lebensunwerten Lebens war eine von Hitler persönlich betriebenen Mordaktion der Jahre 1939 - 1941 gewesen[10]. Kusch (oder andere) hier einzureihen, heißt, ihn moralisch zu diskreditieren und verrät die Absicht, jeden ernsthaften sachlichen Diskurs abzuwürgen. Das geschieht leider, nicht erst jetzt aus konkretem Anlass[11], sondern bei diesem Thema immer schon seit Jahrzehnten. Zutreffend schreibt Zimmermann-Acklin[12]:

“Die Diskussionen in Deutschland sind nach wie vor von der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten geprägt. ... Dabei hat die ‚Schlußstrichdebatte’ 50 Jahre nach Ende des NS-Regimes auch in der Medizinethik ... das Gegenteil von dem bewirkt, was sie beabsichtigte ... Deshalb ist anzunehmen, dass insbesondere die Diskussion über die aktive Sterbehilfe weiterhin direkt (über die Analogiethese) und indirekt (über die Verhinderung von Diskussionen durch Störaktionen etc.) von der Erinnerung an die NS-Verbrechen gekennzeichnet bleiben wird“.

Es mag vielleicht, ja vermutlich gute Gründe geben, auf die Wege anderer europäischer Staaten nicht einzuschwenken und an der gesetzlichen Regelung des § 216 StGB festzuhalten. Dazu wäre manches zu bemerken und gründlich zu durchleuchten, dazu später eine nur knappe Bemerkung. Soll und darf aber eine freie Gesellschaft von vorn herein aus einer Debatte, die sonst in gestandenen Demokratien überall mit Für und Wider stattfindet[13], sich ängstlich heraushalten oder zu ihr bloße Beschwörungen beisteuern?

 

2.         Zur Sache lässt sich zunächst fragen, ob Roger Kusch nicht von einer zweifelhaften rechtlichen Voraussetzung ausgeht:

„Unsere geltende Rechtsordnung“ meint er „ist eindeutig. Sie gibt dem Rechtsgut ‚Leben’ absoluten Vorrang und verwehrt dem unheilbar Kranken die Autonomie über sein eigenes Leben“.[14]

Das stimmt schon insofern nicht, als der Patient – oder sein Vertreter für ihn – auf Behandlungsabbruch („Abschalten ...“) bestehen und seinen Willen durchsetzen, also gegen das Leben entscheiden kann - der Rechtsordnung nach; ob sie auch praktisch respektiert wird, ist eine andere Frage. Dies ist das lang und breit erörterte Thema „Patientenverfügung“ usw.

Aber auch bei der aktiven Sterbehilfe liegt es wohl etwas komplizierter als der Senator glaubt: § 216 StGB schränkt die Autonomie dessen, der getötet werden will, in der Tat ein, weil die Vorschrift ein ernstliches Verlangen allein nicht genügen lässt. Heißt das aber, dass dieses Verbot auch dann gilt, wenn nicht nur ein solches Verlangen, sondern darüber hinaus auch eine schreckliche, schlechthin unerträgliche, extrem qualvolle Grenzsituation (wie auch literarisch oft beschrieben) vorliegt?

Dann genügt es nicht, den Blick allein auf § 216 StGB zu richten, weil es jetzt auf das Strafrecht in seinen Zusammenhängen ankommt. Zum bloßen Willen, der allein und als solcher nicht genügt, tritt ja in concreto eine objektive (motivbildende) Grenzsituation hinzu, die auswegslose Notlage, die dem generell geltenden strafbewehrten Verbot im Einzelfall die Wirkung nimmt, weil der Notstand, dessen Güterkonflikt der Täter im Sinne der Bitte entscheidet, sein Handeln gemäß § 34 StGB möglicherweise rechtfertigt.

So hat der BGH schon 1996 entschieden, eine Lebensverkürzung durch die Verabreichung starker Schmerzmittel lasse sich als Notstand rechtfertigen[15], und ein so hochkarätiger Kenner der Rechtsmaterie wie Kutzer meint in der Rubrik Kein Bedürfnis nach genereller Zulassung der Euthanasie, bei extremen Leiden im Einzelfall könne aktive Sterbehilfe durch Notstand gerechtfertigt sein[16]; so auch beachtliche Stimmen der Literatur[17].

 

Es gibt ein paar bekannte Beispiele solcher Grenzsituationen, hinter denen zahllose stehen werden:

Als z.B. der 83-jährige Sigmund Freud 1939 nach fortgeschrittenem Mundkrebs die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte und so aus dem Munde stank, dass selbst sein treuer Hund ihn mied, machte sein Freund und Arzt Max Schur ein Versprechen wahr und spritze ihm die tödliche Dosis Morphium.

Ein ähnliches Ende suchte und fand der 80-jährige Thomas Mann 1955 im Kantonsspital Zürich nach mehreren erfolglosen Operationen[18].

 Das sind keine strafrechtlichen Lehrbuchfälle geworden, und auch im Dunkelfeld des Unbekannten wird sich schwerlich ein überwiegend unverantwortlicher Missbrauch austoben[19]. Jedenfalls wird die Rechtsprechung fortfahren - fortfahren können und müssen -, die Notlage des Einzelfalls zu prüfen: mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein, um den Notstand, wenn er vorliegt, auch gelten zu lassen - nicht aus Missachtung des Lebens unter dem Druck ökonomischer Zwänge, wie manche argwöhnen[20], sondern auch deshalb, weil das von unserer Hochleistungsmedizin unvermeidlich mitgeschaffene Elend[21] sie dazu zwingt.

 

Mir scheint also – um es kurz zu machen -, dass unser deutsches Recht der menschlichen Autonomie allgemein und der Selbstbestimmung des Patienten oder Moribunden im besonderen den nötigen Respekt erweist, dass dieses Recht freilich (erstens) dort weithin unbekannt ist, wo man es kennen sollte: in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen („Stichwort: Patientenverfügung“), und dass es (zweitens) noch der weiteren (von der Verfassung allerdings gebotenen) Entfaltung bedarf: durch Reduktion des § 216 StGB unter Notstandsgesichtspunkten. Das bleibt Sache der Rechtspraxis – zunächst der Gerichte, dann auch der Staatsanwaltschaften, die eine gefestigte Rechtsprechung abzuwarten pflegen. Den Gesetzgeber jedenfalls braucht man dafür nicht. Er ist für die allgemeine Norm zuständig; deren Konkretisierung und evtl. Reduktion im besonderen Fall ist allein Sache der Praxis.

 

3.         Wer nun aber meint, die menschliche Selbstbestimmung verlange mehr als eine angemessene Würdigung von Notständen im Rahmen eines unveränderten § 216 StGB[22], wird die Übernahme anderer – mehr oder weniger abgewandelter - europäischer Modelle erwägen können.

Der Gesetzgeber wird dergleichen allein deshalb nicht tun, weil er seit geraumer und auf absehbare Zeit aus bekannten Gründen (Herbst/Winter 2005!) handlungsunfähig ist. Schon zum wenig problematischen Thema der Patientenverfügung haben Regierung und Parlament nur diverse Kommissionen eingesetzt, denen sie unterschiedliche Empfehlungen verdanken, und es scheint, dass ein parlamentarischer Kompromiss, käme er zustande (er steht aber nicht auf der Tagesordnung), wohl nur noch in einer Verwässerung des Selbstbestimmungsrechts liegen könnte. Also besser nichts als das!

Die Debatte hingegen über eine mehr oder weniger modifizierte - naturgemäß: gesetzliche! - Übernahme europäischer Sterbehilfemodelle würde ernsthafte, wichtige Fragen aufwerfen. Hier stünden durchaus begreiflichen und anerkennungswürdigen Motiven der Befürworter auf der anderen Seite auch ein paar Gründe gegenüber, die sorgsam bedacht werden müssten[23]. Das wäre ein Thema für sich, für das hier nicht der Ort ist.

 

4.         Ein Argument, das der Senator für seinen Standpunkt anführt, möchte ich dennoch nicht unerwähnt lassen:

Zwischen dem Verbot, den zu töten, der das doch ausdrücklich und ernstlich begehrt (§ 216 StGB), und der Regelung des Schwan­gerschaftsabbruchs (§§ 218 ff StGB) klaffe ein Wertungswiderspruch. Wie könne das Gesetz einerseits der Frau (und ihrem Arzt) innerhalb gewisser Frist die Tötung des nasciturus gestatten, der schließlich fremdes menschliches Leben sei, keine Stimme habe und nach seinem Einverständnis nicht gefragt werde, aber dem ernstlich Bittenden, der seine Stimme dafür ausdrücklich erhoben habe, den Tod verweigern? Dieser Widerspruch verlange seine Auflösung - im Sinne einer dem Modell nach ähnlichen Reglung auch zu § 216 StGB.

Gegen die gedankliche Schlüssigkeit dieser Überlegung lässt sich wenig einwenden[24]. Aber ihre Voraussetzung bedarf der Prüfung: Sind die §§ 218 ff StGB eine so gut vertretbare rechtspolitische und rechtsethische Entscheidung, gar eine als Lebensschutzkonzept[25] bewährte Regelung, dass man nur noch der Logik bedarf, um andernorts entsprechend zu verfahren? Wer das verneint, wofür man gute Gründe anführen kann, wird sich vom Argument des Senators nicht imponieren lassen. Als tragfähiger Grund für Analogien und Fortschreibung taugt schließlich nur ein richtiges Recht. Aber hierüber
– wie auch über alles übrige, was davor stand – wird offensichtlich gestritten. Den Streit jedoch sollte niemand verteufeln oder unterdrücken. Wenn er mit sachlicher Leidenschaft ausgetragen wird, kann er dem allgemeinen Besten nur dienen.

 

Günter Bertram


[1] § 216 I StGB: „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu erkennen.“

[2] z.B. HA wiederholt ab 11.10.2005; WELT vom 13.10.05: Sterbehilfe – hitzige Debatte um Kusch (lange habe keiner die „Nation derart gespalten“ wie Kusch); Stern v. 12.10.05; FAZ vom 12.10.05: „Der Staat muss den Wunsch nach Sterbehilfe respektieren – Hamburgs Jusitzsenator fordert ...“

[3] vgl. nur MHR 1999 Heft 2, 19 ff; 2003 Heft 3 S. 10 ff; 2004 Heft 2, 36 ff jew. mit Nachweisen. Bericht der Arbeitsgruppe des BMJ Patientenautonomie am Lebensende vom 10.06.2004 (Kutzer); damit konkurrierend die Enquetekommission der DBT Ethik und Recht der modernen Medizin, mit ihrem Zwischenbericht vom 13.09.2005 (BT-Dr.15/3700). Dazu Landau: Heiligkeit des Lebens und Selbstbestimmung im Sterben in ZRP 2005, 50 mit neueren Nachweisen; kritisch dazu Kreß in ZRP 2005, 139. Es gibt auch diverse kirchliche Stellungnahmen und „Handreichungen“, zuletzt: Sterben hat seine Zeit, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD vom 08.03.2005.

[4] Allerdings war in der bisherigen Diskussion die Frage des § 216 StGB nicht völlig ausgeklammert geblieben: er wurde wohl überwiegend am Rande, mit durchweg abwehrendem, oft leidenschaftlichem Gestus gestreift; näher dazu Kutzer: Die Auseinandersetzung mit der aktiven Sterbehilfe - Ein spezifisches Problem der Deutschen? in ZRP 2003, 209. R. Payk: Töten aus Mitleid? – Über das Recht und die Pflicht zu sterben, 2004, bietet eine lesenswerte und materialreiche Chronik der weltweiten, europäischen und nicht zuletzt auch der deutschen Diskussion. Obwohl er damit eine „Streitschrift gegen die aktive Sterbehilfe“ vorlegt, verschweigt der Autor (Leiter des Zentrums für Psychiatrie am Klinikum Bochum) dennoch nicht manch’ ernsthaften Grund, den deren Verfechter für ihren Standpunkt anführen.

[5] FAZ aaO., vgl. Fn. 2 sowie die dort angegebenen Quellen.

[6] Eine Forsa-Umfrage kommt lt. FAZ vom 17.10.05 zum gleichen Resultat. Kutzer in ZRP 2003, 210 Fn. 2) zitiert Umfragen, nach denen (Allensbach) 64-80% der Bevölkerung und (Emnid) 42% der niedergelassenen Ärzte sich für aktive Sterbehilfe aussprechen.

[7] DRiZ 9/2005, 248 ff: Die Einstellung von Vormundschaftsrichtern zur Sterbehilfe; der Befund wird i.e. näher aufgeschlüsselt, z.B.: „eher für die Straffreistellung aktiver Sterbehilfe sind ca. 70% der konfessionslosen Richter, 41% der Protestanten und 37% der Katholiken“

[8] FAZ vom 17.10.05: Justizministerin kritisiert Kusch; vgl. auch die Publizistik lt. Anm. 2, Hefty in FAZ vom 22.10.05: Unklares Recht rächt sich, Lütz (Mitglied der päpstlichen ‚Akademie für das Leben) in FAZ vom 31.10.05: Am Anfang steht die Verwirrung der Begriffe, der die von Kusch beanspruchte Patientenautonomie mit der Bemerkung ad absurdum führen möchte, „Wenn jemand es für einen Ausdruck seiner Freiheit erklärte, das Gartenhäuschen seines Nachbarn zu zertrümmern, wird jeder es ablehnen, solches als Ausdruck der Freiheit hinzunehmen“; dazu fällt einem allerdings nichts mehr ein. Ist es nicht auch Ausdruck solch’ eifernder Intoleranz, dass die niedersächsische Justizministerin gegen die Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas - statt kritischer Gegenrede - einen neuen Straftatbestand erfinden will, damit diese den Fuß nicht ins Niedersächsische setze? vgl. NJW –aktuell Hefte 41/05 S. XIV und 44/05 S. XIV.

[9] Auf entsprechende Vorstöße aus dem anderen politischen Lager gibt es festgeprägte Reaktionen, vgl. dazu z.B. FAZ vom 08.04.2004: “Abgeordnete für „aktive Sterbehilfe“, wo es heißt: „... einen „Aufschrei der Gesellschaft“ gegen die (erg.: rot-grüne) Initiative hält die CDU-Fraktion für nötig, um „das unsere Gesellschaft prägende Wertegerüst nicht ins Wanken“ geraten zu lassen. Mit dieser Forderung reagierte der Sprecher der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin, Rachel, auf die Initiative. Aktive Sterbehilfe stelle den Lebensschutz in Frage und verändere das Menschenbild „unserer Gesellschaft“ gravierend....“ Ganz in diesem Sinne erschallt jetzt die Forderung, „.. dem Spuk ein Ende zu setzen“ , vgl. WELT vom 13.05.05.

[10] zusammenfassend Rückerl, NSG vor Gericht,
1984 S. 34 f: „Der „Euthanasie“-Aktion dürften rund 100.000 Menschen – überwiegend Deutsche – zum Opfer gefallen sein“. Die Aktionen wurden wegen zunehmender Proteste, vor allem der Kirchen, 1941 abgebrochen. Die benutzten Tötungseinrichtungen aber wurden in ihrer Wirksamkeit noch gesteigert und zum millionenfachen Rassenmord weiterverwendet. Die Begriffswahl „Euthanasie“ – guter Tod – war also nichts als eine totalitäre Sprachperversion (vgl. Orwell 1984: „Neusprache“!).

[11] Vorsichtig, nur andeutend der DRiB-Vorsitzende Arenhövel mit der abwehrenden Begründung, Sterbehilfe sei gerade für uns in Deutschland ein höchst schwieriges und – sensibles Thema. Andere sprechen den Vorwurf, auf alten Nazipfaden zu wandeln, unverblümt aus, vgl. etwa Lütz (oben Anm. 7). Interessanterweise ist es hier und jetzt z.B. Ralph Giordano, der den Nazismus wahrlich durchlitten hatte, der den Senator gegen solch’ hurtige, historisch abwegige Anklagen in Schutz nimmt, vgl. Die Welt v. 13.10.05.

[12] Der gute Tod – Zur Sterbehilfe in Europa, Aus Politik und Zeitgeschehen B 23-24 (01.06.2004), S.31 ff (36); dazu auch Kutzer: - Die Auseinandersetzung mit der aktiven Sterbehilfe - Ein spezifisches Problem der Deutschen? in ZRP 2003, 209 (Ziff. II. bis IV.).

[13] vgl. z.B. Zimmermann-Acklin aaO. (Anm. 11) mit zahlreichen Literaturhinweisen. Vgl. auch Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 29.04.2002 (NJW 2002, 2851-2856), in dem die Richter ein denkbares Menschenrecht auf Fremdtötung in extremer Lage (dort: „Beihilfe zum Selbstmord“- britischer Rechtskreis) ernsthaft und in allen Verzweigungen, im Ergebnis freilich mit negativem Resultat erörtert. Jetzt auch DRiZ 2005 Heft 9 mit dem „Schwerpunkt Sterbehilfe“.

[14] Kusch: Leben und Sterben in Würde, HA vom 11.10.05.

[15] BGH 3 StR 79/96 vom 15.11.1996 in NJW 1997, 807, Leits. 2: “Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem ... Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, dass sie als ... unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann (im Anschluss an BGHSt. 37, 376)“ mit Anführung unterschiedlicher strafrechtsliterarischer Begründungen für dieses nahezu unstreitige Ergebnis mit dem eigenen Hinweis auf § 34 StGB (810 lk. Sp.).

[16] ZRP 2003, 211 (Ziff. V.). Es heißt dort: „Der Verfasser hat deshalb ... auf dem 24. Krebskongress ... die Auffassung vertreten (MedR 2001,77), dass in seltenen Ausnahmesituationen auch eine gezielte Tötung nicht strafbar sei, wenn die Möglichkeiten der Schmerztherapie und der ärztlichen Kunst einmal nicht ausreichen sollten, einen entwürdigenden Todeskampf zu verhindern. Dabei kann es sich aber immer nur um einen besonderen, einer Verallgemeinerung nicht fähigen Einzelfall handeln...“. Ähnlich ders. DRiZ 2005, 257 (258 Ziff. II a.E.).

[17] vgl. z.B. Schneider im Münchener Kommentar zum StGB, 2003, Bd.3 zu § 216, der in Rz. 53 zunächst die Eigenständigkeit des § 34 gegenüber § 216 betont - „Eine Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen kann nach den Grundsätzen des § 34 nur dann in Betracht kommen, wenn sich die Realisierung des Sterbewillens nicht anders als durch einverständliche Fremdtötung erreichen lässt. Besteht die physische Möglichkeit zum Suizid, so ist der Lebensmüde darauf zu verweisen. Gegebenenfalls ist ihm dabei Hilfe zu leisten. Diese kann im Einzelfall weit reichen (Rz. 56). Auch darüber hinaus komme eine Rechtfertigung nach Notstandsregeln in Betracht, müsse aber auf extrem gelagerte Ausnahmefälle beschränkt bleiben (Rz.57). Auch nach Schroeder (Beihilfe zum Selbstmord und Tötung auf Verlangen, ZStW 106 (1994), 564 (579 f)) greift Notstand jedenfalls in Extremfällen ein, so auch Otto im Gutachten zum 56. DJT 1986, D 74 f, Neumann, Nomos-Kommentar zum StGB, Bd. 4, Rz. 3 und 19 zu 216; ders. Rz. 127 vor § 211 mit der Erwähnung anderer Autoren, die mit unterschiedlichen rechtl. Kontruktionen zum gleichen Ergebnis gelangen. Eingehend zur Interpretation des § 216 in Verbindung mit der Notstandsregelung ganz im Sinne des vorstehnden Textes: Herzberg, "Der Fall Hackethal: Strafbare Tötung auf Verlangen?" in NJW 1986, 1635 ff (1639 f).

[18] vgl R. Payk aaO. (Anm. 4) S. 187 f.

[19] Deshalb ist es falsch, generell richtige Sätze zum rigiden Dogma zu erheben wie den auch jetzt gelegentlich wieder angeführten aus der Christlichen Patientenverfügung (2. Aufl.2003, S.11) „Das Töten eines Menschen kann niemals eine Tat der Liebe oder des Mitleids sein...“: Wer wollte dem Doppel-Freitod Jochen Kleppers und seiner jüdischen Frau dieses Prädikat verweigern, der ihrer drohenden Verschleppung durch den gemeinsamen Tod zuvorkam? Ähnliche Tragödien spielten sich später in Ostpreußen und anderswo ab, wo Frauen die Vergewaltigungen nicht über sich ergehen lassen wollten und den Tod wählten – von eigener oder vertrauter Hand.

[20] vgl. dazu z.B. nur R. Payk aaO. (Anm. 3 a) S. 204 - 210

[21] vgl. dazu z.B. nur Kutzer ZRP 2003, 209, Ziffer I., Füllmich NJW 1990, 2301 zu I, Hufen NJW 2001, 849 zu I, Uhlenbruck NJW 2001, 2770; Coeppicus NJW 1998, 3381 (3382); Uhlenbruck in Handbuch des Arztrechts, 2002, S. 1163 f, Schneider in Münchner Kommentar, Bd. 3, 2003, Rz. 88 f vor §§ 211 ff.

[22] wofür sich immerhin anführen ließe, dass die „Notstandslösung“ (oben Ziffer 2) zu ihrer praktischen Durchsetzung Zeit benötigen würde, während welcher auch gewissenhaft und rechtlich handelnde Ärzte unzumutbare Ermittlungen und Strafverfahren über sich ergehen lassen müssten.

[23] Das Thema kann hier nicht vertieft werden. Vielleicht liegt der Kern manch’ ernsthafter Skepsis darin, dass alle in Betracht zu ziehenden ausländischen Verfahren prozeduraler Natur sind: gewisse Formalien müssen erfüllt, einige Feststellungen notifiziert, bestimmte Voten abgegeben worden sein – damit wird die Entscheidung legalisiert (vgl. etwa Luhmann: Legitimation durch Verfahren). Jedenfalls könnte diese primär formale Abwicklung in der praktischen Dynamik solcher Regelungen liegen. Die bisherige Auslandserfahrung wird offenbar unterschiedlich bewertet (etwa. DRiZ 9/2005, 255 270; Payk aaO. (Anm. 3a) S. 128-152; dazu die Gegenkritik von Rob Jonquiere im FAZ-Gespräch vom 14.11.2005: „Ihr kehrt alles unter den Teppich“.) Missbrauch auch im Sinne mangelnder Zustimmung von Patienten kommt jedenfalls nicht ganz selten vor (vgl. z.B. FAZ vom 18.07.03: Studie zur Sterbehilfe = europäische Sechsländer-Erhebung). Das alles könnte letztlich dafür sprechen, bei uns in Deutschland das Vertrauen in die Rechtspraxis (Güterabwägung im konkreten Falle) nicht zu verlieren und auf sie zu setzen.

[24] Selbst der Ärztekammerpräsident Montgomery, der sich schon am 21.04,1999 auf unserem Podium in der Grundbuchhalle (vgl. MHR 2/1999,19ff) kompromisslos gegen jegliche aktive Sterbehilfe ausgesprochen hatte, bemerkt im Deutschen Ärzteblatt v. 11.10.05, Kuschs sachliches und kluges Argument treffe einen wunden Punkt, ein „ethische Dilamma“.

[25] vgl. dazu nur das ungewöhnlich lange Urteil des BVerfG vom 28.05.1993 (NJW 1993, 1751–1779). Dass hier ein Lebensschutzkonzept gelungen sei, wird man angesichts inzwischen längst vorliegender Zahlen jährlicher Abbrüche schwerlich behaupten können.