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Abschied vom Vorsitz
Heiko Raabe – Abschiedsrede in der
Mitgliederversammlung des Hamburgischen Richtervereins am 1. März 1999

In der Einladung zu dieser Mitgliederversammlung habe ich angekündigt, daß ich das Amt des Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins niederlegen werde. Dieser Ankündigung folgt nun heute der Vollzug: Meine Tätigkeit als Richtervereinsvorsitzender geht zu Ende. Die Gründe für diese Entscheidung - meine Amtszeit wäre eigentlich noch ein weiteres Geschäftsjahr gelaufen - dürften bekannt sein: Ich habe mich um das Amt des Amtsgerichtspräsidenten beworben. Für mich war von vornherein klar: Beides parallel zu machen, bin ich nicht bereit. Dabei stand für mich nicht im Vordergrund das, was andere immer wieder bewegt: die tatsächliche oder vermeintliche Unvereinbarkeit beider Ämter. Ich habe das Modell Makowka - Personalunion zwischen Landgerichtspräsident und Richtervereinsvorsitzender - über lange Zeit und hautnah miterlebt. Ihm ist dies genial gelungen - bei allen Problemen, die es auch schon einmal im Einzelfall gegeben hat. Vom Grundsatz gilt, und dabei bleibe ich: Auch Mitglieder der Präsidentenetagen müssen Mitglied des Vorstandes des Hamburgischen Richtervereins sein können und dürfen, und zwar ebenfalls als Vorsitzende dieses berufsständischen Verbandes. Der Hamburgische Richterverein ist keine verbotene Vereinigung, die Mitgliedschaft hat nichts Ehrenrühriges an sich, Vorstandsämter sind nichts, was im Verborgenen oder Geheimen gehalten werden müßte. Im Gegenteil: Wer aktiv mitarbeitet, sich um die Belange der Richter und Staatsanwälte kümmert, leistet damit gleichzeitig auch einen Beitrag für Gerichte und Staatsanwaltschaften, für die Justiz insgesamt, für die Dritte Gewalt und damit für unsere Demokratie.

Berufsständische Organisationen gehören wie Gewerkschaften, Parteien und Medien zur Demokratie, sind ihr integraler Bestandteil. Es ist ein eklatanter Widerspruch, einerseits die Egoismen dieser Gesellschaft anzuprangern, die immer deutlicher schwindende Bereitschaft, sich über Eigeninteressen hinaus für das Gemeinsame einzusetzen - ohne Entgelt und auf Kosten der Freizeit - andererseits dann aber dem eingeforderten Bemühen, wenn es denn gezeigt wird, nicht mehr als den Stellenwert eines Lästigkeitsfaktors beizumessen, nur weil dieses Bemühen im Einzelfall zu einer Sachauseinandersetzung zwingt.

Ich sehe auch keine inhaltlichen Gründe, die für eine Unvereinbarkeit Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften hier, Vorstand des Richtervereins dort sprächen. In der Sache müßten eigentlich alle dasselbe Ziel verfolgen. Natürlich gibt es Streit, unterschiedliche Sichtweisen im einzelnen. Aber das gilt doch nicht allein im Verhältnis Richter/Staatsanwälte, Leitung der Gerichte und Staatsanwaltschaften und Justizbehörde. Auch die Justizbehörde ist - wie es bisweilen erscheinen mag - kein monolithischer Block. Auch dort gibt es - wie ich aus eigener Erfahrung weiß - differierende Ansätze, Meinungen und Einschätzungen. Und das gilt natürlich ebenfalls für die Leitungsetagen der Gerichte und Staatsanwaltschaften und erst recht für die Richter und Staatsanwälte. Mit welchem breiten, sehr breiten Spektrum wir es gerade bei den Richtern und Staatsanwälten zu tun haben, erleben wir immer wieder - bis in die jüngste Zeit hinein. Das ändert aber doch nichts daran, daß wir alle an derselben Decke stricken. Vielleicht unterscheidet sich nur die Tonart der einzelnen Beteiligten in diesem gemischten Chor und vielleicht muß diese Tonart sich auch unterscheiden. Ich habe mich - in welcher Funktion auch immer, und es waren derer nicht wenige - stets unabhängig gefühlt, die Sicht eines Richters nie verloren. Ich war in fast allen Bereichen der ordentlichen Gerichte richterlich selbst tätig, weiß also, wovon ich spreche. Ich glaube, authentisch gewesen und geblieben zu sein, habe dieses jedenfalls versucht - zur Freude der einen und zum Mißbehagen anderer -, ganz abgesehen davon, ob man nun meine Auffassungen im Einzelfall geteilt hat oder nicht.

Nein, der Grund, das Amt des Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins hier und heute niederzulegen, ist wesentlich einfacher, ja platter: Das Amt, um das ich mich beworben habe, fordert mit allen seinen Facetten in besonderem Maße. Wenn ich eine Sache mache, mache ich sie ohne Abstriche. Zu Halbheiten bin ich nicht bereit. Ich möchte nicht, daß der Richterverein darunter leidet, zu kurz kommt.

Und ein zweiter Punkt, der nur scheinbar mit meinen Überlegungen zur Unvereinbarkeit in Widerspruch steht: In dem letzten Jahr sind vereinzelt - allerdings sehr vereinzelt - Stimmen an mein Ohr gedrungen, ob es nicht doch besser sei, im Sinne einer klaren Ämtertrennung mich von dem Vorsitzendenposten, nicht aber aus dem Vorstand zu verabschieden. Es waren dies ein bis zwei Stimmen aus der Richterschaft. Mich hat dies schon getroffen, war und ist meine Einschätzung doch eine andere. Wir hatten überdies eine Vorstandssitzung, in der erstmals das neue Steuerungsmodell für Gerichte und Staatsanwaltschaften diskutiert worden ist - ich komme gleich noch einmal darauf zurück. In der lebhaften Diskussion - sie wird im übrigen weitergeführt werden - zeichnete sich deutlich eine Linie ab zwischen Kolleginnen und Kollegen, die auch in der Verwaltung, und denen, die ausschließlich richterlich tätig sind. Herr Bertram jun., der sich mit großem Engagement um dieses Thema gekümmert hat - Herr Bertram, ich habe vor Ihrem Engagement und Ihrer Leistung zu diesem Thema jeden Respekt -, brachte die Sache auf den, auf seinen Punkt:

NSM nütze der Verwaltung und stehe gegen die Interessen der Richter und Staatsanwälte. Ich sehe dies anders, und wenn Herr Bertram und ich - fernab von Begrifflichkeiten - diskutieren, sind wir uns im übrigen in vielen Punkten einig. Dennoch: Schon um den Anschein der Vermengung vermeintlich widerstreitender Interessen, um eine schräge Optik zu vermeiden, ist es vielleicht einmal und gerade in dieser Zeit gut, daß an der Spitze des Hamburgischen Richtervereins jemand steht, der nicht einer Gerichtsverwaltung angehört, nachdem dies nun beinahe 20 Jahre der Fall gewesen ist.

Zum Zeitpunkt des Rücktritts: Der Zeitpunkt ist - die Erfahrung lehrt dies - immer falsch, stets mit Spekulationen verbunden. Meinem Verständnis entspricht es eigentlich, von einer Sache Abschied zu nehmen, wenn man sich entschließt, sich anschickt, etwas anderes anzustreben, und nicht "auf Nummer sicher zu gehen". Ich habe davon abgesehen. Zum einen ist der Hamburgische Richterverein kein Taubenzüchterverein, in dem man sich im schriftlichen Verfahren verabschiedet. Der Abschied hat vor den Mitgliedern zu geschehen, die mir durch die Wahl ihr Vertrauen entgegengebracht haben. Zum anderen wollte ich dem Eindruck vorbeugen und entgegenwirken, meine Entscheidung sei etwa von dritter Seite durch ein Junktim produziert, es sei Druck auf mich ausgeübt worden. Dem ist nicht so. Der Rücktritt war und ist meine ureigenste Entscheidung. Nachdem, wie sich aus dem Zeitablauf und den einzuhaltenden Fristen ergibt - die Entscheidungsträger im Vorfeld des Richterwahlausschusses ihre Entschließungen vorgelegt haben müssen - mit welchem Ergebnis auch immer -, ist jedenfalls jetzt für mich der richtige Zeitpunkt zum Rücktritt gekommen.

Lassen Sie mich zum Ausklang und zum Abschied noch einige kurze Bemerkungen machen:

Die richterliche Unabhängigkeit ist - wie der Titel eines demnächst von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten Symposiums zu Recht lautet - das Herzstück einer jeden Justizreform. Auf die richterliche Unabhängigkeit hat sich das besondere Augenmerk des Hamburgischen Richtervereins zu richten. Ich sagte anläßlich der letztjährigen Mitgliederversammlung, ich sähe die Unabhängigkeit nicht in Gefahr, hoffe vielmehr, daß die Kolleginnen und Kollegen von dieser Unabhängigkeit auch Gebrauch machen würden, wenn es denn darauf ankäme. Diese Nagelprobe steht noch aus. Im übrigen verwies ich auf die Budgetierung, deren Entwicklung und Folgen man sorgfältig beobachten müsse. Wir stehen mitten in der Reformdiskussion, das neue Steuerungsmodell ist in aller Munde, wir müssen uns mit Begriffen wie Budgetierung, Controlling - was im übrigen nicht Kontrolle bedeutet -, Aufgabendezentralisierung vertraut machen.

Ich sage hier und heute: Eine Reform - in welcher Gestalt auch immer - wird kommen, so oder so. Das können wir nicht verhindern, das sollten wir auch nicht verhindern - dazu sind die Chancen und die Möglichkeiten, die für eine Justiz mit größerer Selbständigkeit und Eigenverantwortung entstehen, zu attraktiv. Aber auch hier gilt der kluge Satz unseres ehemaligen Ersten Bürgermeisters Klaus von Dohnayni, den er zu den neuen Medien gesagt hat und der da lautet: "Man kann die neuen Medien nicht verhindern, man muß sie gestalten". Es wird in der nächsten Zeit eine der wichtigsten Aufgaben des Deutschen Richterbundes und damit auch des Hamburgischen Richtervereins sein, sich mit dieser Thematik intensiv zu befassen. Und ich kann an Sie nur appellieren, sich aktiv an dieser Diskussion zu beteiligen. Es geht auch um Ihren Arbeitsplatz, um Ihre richterliche und staatsanwaltschaftliche Tätigkeit, um Ihr berufliches Selbstverständnis. Es wird Aufgabe sein - und zu einigen Punkten habe ich ja bereits in der Vergangenheit geschrieben -, deutlich zu machen, was begrüßt wird, was akzeptiert werden kann, was geht, was nicht geht und wo Widerstand, notfalls erbitterter Widerstand zu leisten ist. Letztendlich muß - da Gerichte und Staatsanwaltschaften eben nicht öffentliche Verwaltung sind - ein dritter Weg entwickelt und formuliert werden, der unseren Bedenken, Wünschen und spezifischen Interessen gerecht wird. Und ob man das Ergebnis dann noch, lieber Herr Bertram, neues Steuerungsmodell nennt oder eine andere Bezeichnung, ein anderes Label findet, halte ich für völlig irrelevant, jedenfalls für nachrangig.

Der Hamburgische Richterverein tritt für das Recht auf Meinungsfreiheit der Richter und Staatsanwälte ein. Hier sind keinerlei Abstriche zu machen. Die Meinungsfreiheit ist unteilbar und nicht verhandelbar. Ich wünschte mir allerdings, daß von diesem Recht häufiger, aktiver und deutlicher Gebrauch gemacht würde. Gerade den jüngeren Kolleginnen und Kollegen sage ich: Macht Euren Mund auf, sagt, was Euch bedrückt, bewegt, umtreibt, haltet dagegen - sei es am Kantinentisch, sei es in der Kammer, sei es in öffentlichen Veranstaltungen - wenn Euch etwas gegen den Strich geht - und mag es noch so unbequem sein. Meine berufliche Sozialisation fiel in eine andere Zeit, in der Widerspruch, Protest und Demonstration (auch auf der Straße) deutlich mehr zur Tagesordnung gehörte, einen ganz anderen Stellenwert hatte. Für meinen Geschmack ist zuviel Ruhe eingekehrt - und Ruhe kann auch Stillstand bedeuten.

Der Hamburgische Richterverein hat den Richter und Staatsanwalt zu schützen, wenn dieser in Bedrängsnis gerät. Dies wird häufig leicht genommen und erst dann richtig zu schätzen gelernt, wenn man einmal selbst in einer solchen Situation, allein im Regen gestanden hat und alle Seiten, insbesondere die Medien auf einen eindreschen. In diesen Momenten ist die Einsamkeit sehr groß, wenige oder gar keine Hände rühren sich. Ein junger Staatsanwalt hat mir letztes Jahr gesagt, er habe mein öffentliches Eintreten für ihn als große Entlastung empfunden, als er in den Medien an den Pranger gestellt wurde, da er - meines Erachtens im übrigen völlig zu Recht - den Erlaß eines Haftbefehls nicht beantragt hatte. Dabei wurden die Medien interessanterweise von einem Kollegen unterstützt, der meinte, ohne Aktenkenntnis Erklärungen abgeben zu müssen. Es gibt weitere Beispiele für solche Schutzmaßnahmen, z.B. für den ehemaligen Generalstaatsanwalt. Allein hierfür ist der Hamburgische Richterverein unverzichtbar, dessen Stimme - wie ich aus eigener Erfahrung weiß - von den Medien wahrgenommen und auch veröffentlicht wird.

 
Ich habe mich vor einem Jahr in der Mitgliederversammlung zu den Spar- und Konsolidierungsmaßnahmen und der Funktionsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften geäußert und die kritische Situation beleuchtet. Er wird weiter gespart - in gleichem Umfang -, es werden weiter Stellen gestrichen. Dennoch - und nicht zuletzt aufgrund erheblicher Eigenanstrengungen im Verfahrens- wie im Organisationsbereich - gibt es immer noch eine Reihe intakter Dienststellen. Aber warum - so frage ich - kann Funktionsfähigkeit nicht Normalität bedeuten? Warum muß es immer heißen, wo etwas funktioniert, kann und darf noch "draufgesattelt" werden - mit der Folge von Funktionseinbußen? Besorgniserregend aber die Situation z.B. beim Oberlandesgericht und insbesondere beim Finanzgericht (man könnte weitere Bereiche wie z.B. die Staatsanwaltschaft nennen). Immer wieder habe ich bittere und - wie ich meine - im Ergebnis berechtigte Klagen über unvertretbare Verfahrensverzögerungen zu lesen, das Wort von einem "Stillstand" der Rechtspflege häuft sich. Gegen eine wahre Verfahrensflut hat das Finanzgericht zu kämpfen - bei reduziertem Personal. Diese Situation ist insbesondere deswegen bizarr, weil hier erhebliche Steuereinnahmen auf dem Spiel stehen, eine zügige Verfahrensdurchführung sich also auf jeden Fall "rechnet". Hier ist die Zentrale gefordert, steuernd und ausgleichend einzugreifen. Im übrigen: Nicht nur vorzeitige Haftentlassungen - immer wieder beschworen - sind ein Versagen des Rechtsstaats, auch jahrelanges Warten des Bürgers auf sein Recht. Rechtsschutz, der erst nach Jahren gewährt wird, geht ins Leere, verdient seinen Namen nicht. Der Rechtsstaat nimmt Schaden. Und: Richter, Staatsanwälte, Gerichte und Staatsanwaltschaften stehen in der Pflicht, mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen sorgfältig und wirtschaftlich umzugehen, "das Beste daraus zu machen". Die politische Verantwortung für eine defizitäre Ressourcenzuweisung und ihre Folgen wird allerdings - und da gibt es überhaupt kein Vertun - nicht übernommen. Diese Verantwortung bleibt - bitteschön - dort, wo sie hingehört.

Der Hamburgische Richterverein muß weiterhin die Diskussion und die Sachauseinandersetzung innerhalb der Gerichte und Staatsanwaltschaft anstoßen, fördern und konstruktiv begleiten. Pluralität, Liberalität und Toleranz sind von jeher die Merkmale und das Markenzeichen des Richtervereins. Ihnen ist eine nach wie vor hohe Akzeptanz in der Kollegenschaft zu danken. Wir hatten in dem letzten Jahr eine Reihe von Vereinsaustritten hinzunehmen. Ich bedauere jeden einzelnen dieser Austritte - welche Gründe auch immer hier ursächlich gewesen sein sollten. Dabei hätte ich allerdings Probleme mit einer rein fiskalischen Betrachtungsweise - die Beiträge sind auf einen Monat umgerechnet nicht zu hoch. Ich hätte auch Probleme mit einer Haltung, die sich einerseits durch Verweigerung, andererseits durch ständiges "Rumgenöle" auszeichnet. Wer unzufrieden ist, soll das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Die Zeiten sind nicht vereinsfreundlich, alle Vereine, Parteien, Gewerkschaften haben mit dem Mitgliederbestand Probleme. Es sind eben Zeiten, in denen Wohltaten nicht mehr zu erstreiten sind. Erfolg ist vielmehr bereits, wenn der Abbau des Bestehenden in Grenzen gehalten werden kann. Erfreulich: die hohe Zahl an jungen Kolleginnen und Kollegen, die dem Richterverein beigetreten sind. Das ist ein Signal, eine Perspektive für die Zukunft. So konnte die Mitgliederzahl in etwa gleichgehalten werden.

Eine wichtige Aufgabe, die im übrigen immer wichtiger wird, ist die Außendarstellung der Justiz. Ich habe jede Gelegenheit, jede Einladung und Aufforderung wahrgenommen, wenn die Justiz Gegenstand der Diskussion war - nicht weil es mir immer besonderes Vergnügen bereitet hätte, sondern weil wir mit unseren Ansichten, Bewertungen und Informationen in der Öffentlichkeit präsent sein müssen. Wir dürfen bei Fragen der Justiz nicht anderen die Meinungsführerschaft überlassen, wir müssen diese Plätze selbst besetzen. Wir müssen vor anderen, insbesondere vor den Medien die Definitionsmacht haben, wenn es darum geht, deutlich zu machen,, was Justiz kann, darf, soll und will. Hier wäre jede Zurückhaltung völlig verfehlt.

Ich habe den Hamburgischen Richterverein drei Jahre geleitet, in Nachfolge von Dr. Makowka, der den Richterverein über eine ganze Ära geprägt und gestaltet hat. Ich habe diese Aufgabe gerne übernommen und wahrgenommen - bei allen Problemen und Schwierigkeiten, mit denen ich bisweilen auch konfrontiert gewesen bin. Ich möchte diese Zeit in meiner Biographie nicht missen. Nicht alle meine Vorstellungen konnte ich umsetzen. Mir sind auch Fehler unterlaufen. Dafür bitte ich um Nachsicht.

Mein Amtsstil war sicherlich für manches Mitglied gewöhnungsbedürftig. Ich entspreche nicht dem Bild des polternden, demagogischen, drohenden Gewerkschaftsfunktionärs, dem Bild des Kraftmeiers. Das kann ich nicht, und ich will es auch nicht. Für die Bauchlage der Mitglieder sind derartige Auftritte allerdings Labsal: Sie können sich entspannt zurücklehnen in der Gewißheit, mein Vorsitzender hat es ihnen nun allen kräftig gezeigt und gegeben. Gegeben hätte er es, genützt hätte es mit Sicherheit nicht, im Gegenteil: Daß es schadet, kann nicht ausgeschlossen werden. Das stereotype Löwengebrüll der Verbandsfunktionäre hat sich abgenutzt und verbraucht. Es mag kein Mensch mehr hören und der Glaube fehlt allemal, auch wenn die Klage im Einzelfall noch so berechtigt ist.

Ich habe und wollte mich nur einmal von einem renommierten Hamburger Journalisten höhnisch fragen lassen:

"Herr Raabe, wann bricht denn nun endlich die Justiz zusammen, wie seit über 15 Jahren immer wieder angekündigt?". Nein, die Justiz bricht nicht zusammen, ihre Leistungen werden "nur" schlechter. Aber was heißt hier "nur"? Das ist dramatisch genug: Eine schleichende Entwicklung, ein ständiger Qualitätsverfall, ein unmerklicher Gewöhnungsprozeß. Es wird Normalität, was nicht Normalität werden darf und nicht akzeptiert werden kann.

Die Zeiten sind vorbei - und ich habe als Präsidialrichter am Landgericht entsprechende Jammer- und Drohberichte ja selbst verfaßt und in der Justizbehörde solche entgegengenommen -, in denen ein bestimmtes Szenarium aufgebaut wurde, und anschließend gab es drei neue Kammern. Dieses Verfahren läuft nicht mehr und wird - jedenfalls auf absehbare Zeit - nicht mehr laufen. Ziel kann deshalb z.Zt. nur sein, den Abbau, z.B. den Abbau von Stellen in erträglichen Grenzen zu halten. Hier geht es uns nicht anders und besser als anderen Politikbereichen, wie z.B. der Schule und der Polizei, die im übrigen eine wesentlich stärkere Lobby und Unterstützung in der Politik haben als wir. Nein, wir können nicht drohen, wir müssen sachlich informieren, nüchtern Folgen, Konsequenzen und Verantwortlichkeiten aufzeigen, inhaltlich argumentieren und zu überzeugen versuchen - so schwer, ja aussichtslos dies im Einzelfall auch sein mag.

Und ein weiteres, das für den einzelnen Richter und Staatsanwalt bei Heiko Raabe als Vorsitzenden gewöhnungsbedürftig gewesen sein dürfte: Ich habe immer versucht - und halte dies auch für außerordentlich wichtig -, wenn unsere Anliegen zu transportieren waren - in den Medien, in der Öffentlichkeit, bei der Politik -, dies mit der Frage zu verknüpfen, was wir selbst dazu beitragen können, um Probleme zu lösen; zuletzt in meinem DPA-Gespräch über die zunehmende Kluft zwischen Teilen der Bevölkerung und der Justiz. Dieser Versuch war und ist mit der Gewissheit verbunden, daß nur derjenige mit Überzeugungskraft Forderungen stellen kann, der sich selbst fordert. Dies ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Ich hatte stets die Gewißheit, daß meine Tätigkeit als Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins von dem Vertrauen der deutlichen Mehrheit der Mitglieder getragen war. Für dieses mir entgegengebrachte Vertrauen bedanke ich mich. Ich bedanke mich ebenfalls bei den Vorstandsmitgliedern, insbesondere aber bei meinen beiden Vertretern, Frau Dr. Schmidt-Syaßen und Herrn Meier, für vertrauensvolle, loyale und konstruktive Zusammenarbeit.

Ich lege das Amt des Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins nieder, scheide damit aus dem Vorstand aus, fühle mich aber selbstverständlich weiterhin dem Hamburgischen Richterverein eng verpflichtet und verbunden. Ich werde dem Richterverein – so dies gewünscht wird – auch in Zukunft mit Rat zur Verfügung und zur Seite stehen.

Den Gerichten und Staatsanwaltschaften, der gesamten Justiz wünsche ich einen unverändert starken, wirkungsvollen, einflußreichen und hochakzeptierten Hamburgischen Richterverein. Die Justiz wird dies bitter nötig haben.

Dr. Heiko Raabe