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Wilhelm Rapp, Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts:

Spätestens seit Anfang dieses Jahres ist mir an Herrn Metzinger aufgefallen, daß immer öfter so ein mildes Lächeln auf seinem Gesicht liegt, wenn man mit ihm über Justizprobleme spricht. In der letzten Woche hatte ich das Gefühl, dieses Lächeln würde geradezu strahlend und ich werde den Verdacht nicht los, daß dies damit zusammenhängen könnte, daß er ab Montag der nächsten Woche keine "Justizprobleme" mehr hat. Jedenfalls ist es heute so weit, Sie, lieber Herr Metzinger, aus dem aktiven Dienst zu verabschieden. Dabei, Sie wissen es und sind darauf vorbereitet, hat sich "die zu verabschiedende Person" - so wurden Sie vor kurzem in einem charmanten Schreiben unserer Justizbehörde bezeichnet - in Demut einiges anzuhören, z.B. auch eine kurze Rede des OLG Präsidenten.

Ich habe inzwischen gelernt, daß der Redner aus Anlaß solcher Reden im Laufe der Zeit Stück für Stück Einzelheiten aus seinem eigenen Leben preisgibt, die er eigentlich für sich behalten wollte. So weiß z.B. die Öffentlichkeit seit der Amtseinführung von Herrn Strenge, daß ich - ebenso wie unser Staatsrat - keine gute Schulnote im Sport hatte. Heute soll eine weitere eher dürftige Note aus meinem Abiturzeugnis eine Rolle spielen, nämlich die in Musik, und ich hoffe inständig, daß ich nie einen Amtsinhaber begrüßen oder verabschieden muß, der ausgeprägte altphilologische Neigungen hat, weil dann ein ganz dunkles Kapitel meiner Schullaufbahn zur Sprache kommen könnte. Zurück zur Musik: Obwohl ich sie mochte, war ich, gelinde gesagt, zu faul, mich schulisch mit ihr zu beschäftigen, war nicht bereit Noten zu lernen - schon gar nicht das Spielen eines Instruments, hatte auf Grund aufmüpfigen und gelangweilten Verhaltens stets Streß mit meiner Musiklehrerin und rettete mein "ausreichend" so gerade eben noch mit einem Vortrag über die "Entwicklung der Arbeiter-Mandolinisten-Bewegung in den deutschen Industriegebieten". Den Vortrag und weitere Einzelheiten daraus erspare ich Ihnen.

Ich habe das natürlich nur erzählt, um jetzt den Scheinwerfer um so strahlender auf Herrn Metzinger richten zu können, von dem alle Welt weiß, daß sein Verhältnis zur Musik von anderer, besserer, kultivierterer Art ist; der hervorragend Cello spielt und der - so wurde mir berichtet - eigentlich viel lieber Dirigent als Jurist geworden wäre. Ich könnte mir das gut vorstellen: Herr Metzinger vor einem großen Symphonieorchester. Vorher eine Kakophonie von Geräuschen, Töne vom Stimmen der Instrumente, Stimmengetuschel, Husten, Knistern von Bonbonpapier. Dann erscheint Herr Metzinger, klopft mit dem Taktstock kurz auf sein Pult. Stille erfüllt den Saal, gespannte Aufmerksamkeit. Er hebt den Taktstock und das riesige Orchester spielt im Gleichklang, ist - obgleich aus vielen Einzelpersönlichkeiten bestehend - ein Klangkörper. Und natürlich gibt es am Ende donnernden Applaus.

Auch wenn Sie, wie wir alle wissen, sich diesen Berufswunsch nicht erfüllt haben, so ist doch die Situation vor der wir heute stehen, so anders nicht. Sie haben in den letzten dreizehn Jahren das größte und das heterogenste hamburgische Gericht geleitet. Ein Gericht, das durchaus mit einem großen Orchester vergleichbar ist. Hier wie dort gibt es fachlich hochqualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter, die zumeist über eine ausgeprägte "künstlerische Individualität" - bei uns nennt man das richterliche Unabhängigkeit - verfügen. Vom Dirigenten erwartete man einerseits Kreativität aber auch Durchsetzungskraft, den Willen zu ständiger Erneuerung des Repertoires und das Nachdenken darüber, ob alte Stücke heute nicht anders, besser interpretiert werden müssen. Wie ein guter Dirigent muß auch ein Gerichtspräsident sein Gericht mit Einfühlungsvermögen leiten, er muß ein sensibler Gesprächspartner für alle Mitglieder seines Ensembles sein, er muß das Gefühl vermitteln, Anliegen, Anregungen, Ängste seiner Mitarbeiter ernst zu nehmen. Er muß gelegentlich Streit schlichten - er muß auch gelegentlich Streit machen, um etwas voran zu bringen. Er muß gegenüber der kommerzorientierten Direktion manchmal mit Festigkeit die Position der künstlerischen Qualität vertreten. Und nicht zuletzt: Er darf gegenüber dem Tagesgeschäft nie den Blick für die großen Leitlinien seiner Tätigkeit vergessen, muß sich seine ruhige Gelassenheit und seinen Humor bewahren. In diesem Sinne waren Sie, lieber Herr Metzinger, stets ein hervorragender Dirigent. Und wenn man auf die Leistungen schaut, die das "Symphonieorchester Amtsgericht" in ihrer Amtszeit trotz aller Sparzwänge in Bezug auf die Zahl seiner "Aufführungen" (ständige und signifikante Steigerung der Erledigungszahlen), in Bezug auf Weiterentwicklung bekannter Werke (Beispiel: Mahnverfahren) und schließlich hinsichtlich einer Vielzahl von Neueinstudierungen (z.B. Betreuungsrecht und ganz aktuell: Insolvenzgericht) hervorgebracht hat, ohne daß es zu merklichen Dissonanzen kam, dann kann man mit Fug und Recht sagen: Heute verläßt nicht irgendein Dirigent dieses Orchester, sondern ein ganz großer, dem wir alle in der hamburgischen Justiz sehr, sehr viel zu verdanken haben.

So einer wird man nicht von heute auf morgen. Sie haben sich lange und intensiv in den verschiedensten Stationen ihres beruflichen Werdegangs darauf vorbereitet. Sie waren nach langjähriger rein richterlicher Tätigkeit (um im Bild zu bleiben: als Orchestermusiker, der eine Reihe von Instrumenten zu spielen verstand) einer der engsten Mitarbeiter des inzwischen schon legendären Dirigenten Prof. Dr. Stiebeler. Dann sammelten Sie unter der "Intendantin" Eva Leithäuser, die leider heute wegen einer Erkrankung nicht hier sein kann und deren ganz herzliche Grüße ich Ihnen übermitteln soll, Erfahrungen in der Direktion als Leiter des Amtes für allgemeine Verwaltung - eine Managementaufgabe. Schließlich sollten sie eigentlich ein anderes Orchester übernehmen, eher ein Kammerorchester aber immerhin ein zweitinstanzliches, nämlich das Oberverwaltungsgericht. Die Musiker dort freuten sich schon auf Sie. Doch es kam anders: Sie wurden für den schwierigsten Chefposten der hamburgischen Justiz gebraucht und gingen zum Amtsgericht und ich selbst bekam, nachdem ich mich als Bandleader der "Rockgruppe VG" betätigt hatte, meine Chance im "ernsten Fach" und durfte mich mit dem Kammerochester versuchen.

Dann passierte etwas, was in Künstlerkreisen auch vorkommen soll: Bei der Besetzung des nächsten großen Dirigentenpostens traten wir in Konkurrenz und ich hatte - aus welchen Gründen auch immer - mehr Glück als Sie. Aber lassen Sie mich das heute sagen: Natürlich wollte jeder von uns beiden gewinnen, sonst bewirbt man sich nicht. Aber ebenso selbstverständlich war für Sie wie für mich, daß wir hohen Respekt vor der Person des anderen hatten und diese Konkurrenz nicht zum "catch as catch can" ausarten lassen wollten. Jeder von uns hätte eine andere Entscheidung ohne zu zögern und ohne jeden Groll akzeptiert. Als die Entscheidung gefallen war, haben Sie mir vom ersten Tag an in meinem neuen - für einen Menschen aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit durchaus gewöhnungsbedürftigen - Amt geholfen und mich mit vielen Anregungen und Ratschlägen unterstützt, ohne die ich zuweilen nicht ausgekommen wäre. Ich hoffe, es ist mir stets gelungen, Sie auch fühlen zu lassen, wie dankbar ich Ihnen für diese Fairness und für Ihre Hilfe war und bin. Und ich meine, es gibt keine bessere Gelegenheit, als mich heute in aller Form auch vor der hier versammelten Justizöffentlichkeit bei Ihnen dafür zu bedanken.

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Sie verlassen ihr Amtsgericht zu einem Zeitpunkt, in dem vieles in der Justiz im Umbruch ist. Der Modernisierungsprozeß, den wir vor etwas mehr als zwei Jahren begonnen haben, ist noch lange nicht zu Ende und wir haben in der nächsten Zeit eine schwierige Wegstrecke, die viel Erklärungsbedarf, viel Diskussion und wohl auch viel Geduld erfordern wird, vor uns. Mir wäre wohler, wenn Sie, lieber Herr Metzinger, uns mit Ihrer Erfahrung, mit Ihren Detailkenntnissen und mit dem uneingeschränkten Vertrauen, daß Sie in der Justiz genießen, auf diesem Weg zur Seite stünden. Aber - auch wenn diejenigen, die jetzt in der Justiz Verantwortung tragen, Sie gelegentlich um Ihren Rat bitten werden - wir werden es allein schaffen müssen, und ich zweifle nicht daran, daß wir es schaffen werden. Es wird darum gehen, die Verwendung der uns zugewiesenen Budgets für alle, für den einzelnen Richter und den einzelnen Mitarbeiter ebenso wie für die Politiker, die über unser Geld entscheiden, transparenter und nachvollziehbarer zu machen. Das kann nur gelingen, wenn jeder sein Teil dazu beiträgt. Ich weiß, daß es da Sorgen und Ängste geben wird. Ängste vor Kontrolle, Sorge vor einem Abbau der richterlichen Unabhängigkeit, Furcht vor einer übermächtigen, nicht durchschaubaren Verwaltung. Ich bitte Sie alle, lassen Sie uns unvoreingenommen, ohne Mißtrauen und in aller Offenheit diskutieren. Ich bitte um Ihr Vertrauen dafür, daß die Präsidentin des LG und die Präsidenten aller Gerichte im eigenen Interesse und mit aller Entschiedenheit auf die Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit und der Unabhängigkeit der Gerichte, so wie dies das Grundgesetz und die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vorschreiben, achten werden. Aber es geht bei dem Modernisierungsprozeß nicht um solche Eingriffe; hätten wir Veranlassung, dies zu befürchten, würden wir uns nicht länger daran beteiligen und er wäre wohl schnell zu Ende.

Es geht darum die gerichtliche Selbstverwaltung zu stärken; Präsidien in die Lage zu versetzen, auf einer sicheren Datengrundlage nachvollziehbar und transparent Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, die Budgetverteilung auf eine rationalere Grundlage zu stellen, denn eine Verteilung nach einem an der Personalstärke des Gerichts orientierten Schlüssel hat zwar eine gewisse Plausibilität, vermag aber Bedarfsschwankungen und Belastungsspitzen nicht hinreichend präzise abzubilden. Bei knapper werdenden Mitteln können wir uns Fehleinschätzungen in der Mittelverteilung nicht leisten. Und nicht zuletzt geht es um die Glaubwürdigkeit unserer Darstellung nach außen. Jammern auf hohem Niveau ist kein Argument. Wir müssen es schon durch nachvollziehbar ermittelte, rational überprüfbare, harte Zahlen untermauern, wenn wir Gehör finden wollen. Dabei werden wir dann schon über einige unserer "heiligen Kühe" reden müssen. Aber ich finde, wir selbst, die Justiz, sollten das tun und zwar bevor uns von außen eine Diskussion aufgedrängt wird. Darum bitte ich Sie um ihre Mithilfe. Ich weiß die Diskussion wird nicht leicht, sie wird gelegentlich schmerzhaft werden und wir werden uns weder untereinander noch mit der Justizbehörde in allen Punkten einig werden. Aber ohne eine offene Diskussion wenigstens unter uns zu beginnen, wird sich die sicher nicht rosige Lage der Justiz nicht verändern.

Lieber Herr Metzinger, nach diesem etwas grundsätzlichen Einschub will ich mich wieder ganz Ihnen und Ihrem Abschied vom Amtsgericht zuwenden. Ein Abschied ist ja eigentlich etwas trauriges. Aber er ist für Sie ja auch verbunden mit dem Gewinn von viel mehr Freiheit. Das ist nun alles andere als traurig und daher kommt wohl auch das eingangs erwähnte milde Lächeln auf ihrem Gesicht. Freiheit ist noch schöner als richterliche Unabhängigkeit. Sie ermöglicht nämlich nicht nur die freie Entscheidung darüber, wie man etwas tut, sondern darüber, ob man etwas tut - man kann es auch lassen und statt dessen z.B. - jetzt komme ich auf ihr zweites Hobby - Segeln gehen. Sie segeln gerne auch auf der hohen See, auf der man - wie wir alle wissen - wie vor Gericht "in Gottes Hand ist". Für Gerichtspräsidenten gilt dieser Satz mit der leichten Einschränkung, daß wir uns manchmal wünschen, "nur" in Gottes Hand zu sein. Natürlich akzeptieren wir, daß sich in einem demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung auch viele irdische Hände nach uns ausstrecken - nicht nur helfende und schützende, ab und an auch fordernde und ganz, ganz selten auch solche, die uns "eins auswischen" wollen. Das Problem haben Sie nun nicht mehr. Wenn Sie künftig segeln gehen, dann haben Sie wirklich nur noch den lieben Gott über sich. Und das ist ein so erstrebenswerter Zustand, daß ich mich mit Ihnen herzlich darüber freue und Ihnen zum Schluß nur noch den vorhin angekündigten donnernden Applaus für Ihre Arbeit sowie von Herzen "Mast und Schotbruch und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel" wünsche.