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Auf der langen Bank:

Beihilfe für Wahlleistungen in Hamburg

Für sogenannte Wahlleistungen in Krankenhäusern - Behandlung durch den Chefarzt, Unterbringung im Einzelzimmer - gewährt die Freie und Hansestadt Hamburg ihren Beschäftigten und Pensionären keine Beihilfe. Sie stützt sich dabei auf § 6 Nr. 6 Sätze 1 und 2 der Hamburgischen Beihilfeverordnung (HmbBeih VO) vom 8. Juli 1985 (GVBl S. 161), die die beihilfefähigen Kosten einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus definieren (S. 1) und anordnen, daß im übrigen Mehraufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen (§ 7 Bundespflegesatzverordnung) nicht beihilfefähig seien (S. 2). Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat diese Regelung im Jahre 1992 für rechtsungültig erklärt und einen darauf gestützten negativen Beihilfebescheid aufgehoben (Urteil vom 21.02.1992 - OVG Bf I 5/91 - JVGl. 1992,
S.71). Es hat zur Begründung ausgeführt, der Verordnungsgeber habe mit dieser Vorschrift durch Unterschreiten des bundesweiten Beihilfestandards in die Wechselbeziehung zwischen Beihilfe und Alimentation eingegriffen, und sich dabei an dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.1991 in einem Normenkontrollverfahren (2 N 1/89) orientiert, das die inhaltsgleiche Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 1 und 2 der Bremischen Beihilfeverordnung zum Gegenstand hatte. Der Ausschluß der Beihilfefähigkeit der Wahlleistungen ist nach Auffassung des HambOVG auch nicht durch die Ermächtigungsgrundlage in § 85 Hamburgisches Beamtengesetz (HmbBG) gedeckt. Es schließt dies trotz des Wortlauts, der - für sich genommen - eine Ermächtigung zum Ausschluß nahelegt, daraus, daß § 85 Satz 2 HmbBG den Verordnungsgeber an die für die Bundesbeamten geltenden Vorschriften bindet, die einen solchen Ausschluß nicht vorsehen. Es verweist in diesem Zusammenhang auf die von ihm ausführlich referierte Entstehungsgeschichte des § 85 HmbBG.

Das Normenkontrollverfahren des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg (§ 76 Nr. 2 BVerfG), gerichtet auf die Feststellung, daß der Ausschluß der Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit mit dem Grundgesetz und dem sonstigen Bundesrecht vereinbar sei, hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 24.06.1997 (2 BvF 1/93) - also vor nunmehr einem Jahr! - als unzulässig verworfen. Die Begründung liegt seit Oktober 1997 vor. Ein besonderer Anlaß für die Bestätigung einer Norm, von deren Verfassungsmäßigkeit in der Regel auszugehen sei, könne erst dann bestehen, wenn diese Norm ausschließlich wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht angewendet und ihre Geltung damit in Frage gestellt werde. Nur insoweit könne das BVerfG als Garant der Bundesverfassung und einer den Vorrang des Bundesrechts wahrenden Normenordnung die zur Frage der Geltung einer Norm bestehende Rechtsunsicherheit verbindlich ausräumen. Diese Kompetenz habe das BVerfG hingegen nicht, sofern die Norm zusätzlich aus anderen Gründen nicht angewendet werde, etwa weil sie als Rechtsverordnung auch von einer landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei. Nach diesen Grundsätzen sei der Normenkontrollantrag unzulässig, weil das HambOVG seine Entscheidung vom Februar 1992 ausdrücklich auch damit begründet habe, daß die Ermächtigungsgrundlage des § 85 HmbBG die entsprechende Norm der HmbBeihVO nicht decke. Die Unvereinbarkeit des § 6 Nr. 6 Sätze 1 u. 2 HmbBeihVO mit dem bundesrechtlichen Grundsatz der Fürsorgepflicht sei damit nicht allein entscheidungserheblich.

Was haben diese Entscheidungen dem einzelnen Beihilfeberechtigten gebracht? Bisher nicht viel: Das OVG hat sich ausdrücklich für nicht befugt erklärt, über seine Aufhebung eines auf die für rechtsunwirksam erklärte Regelung gestützten Beihilfebescheides hinaus die Beihilfe ohne Rücksicht auf den Ausschuß
- d.h. unter Einschluß - der Wahlleistungen zu bemessen. Es sei Sache des Verordnungsgebers, durch Änderung der rechtsungültigen Vorschrift seiner Fürsorgepflicht gerecht zu werden und eine Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen für entsprechende Aufwendungen zu schaffen. Es stützt sich auch insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 18.06.1980 - BVerwG 60, 212, 214; Urteil vom 25.06.1987 - DVBl 1987, 1163). Mit dem Erlaß einer solchen Verordnung tut sich der Senat jedoch schwer. Auf eine kleine Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Harlinghausen vom April dieses Jahre, wann voraussichtlich eine neue rechtsgültige BeihilfeVO vorliegen werde, die dem bundesweit geltenden Standard für Wahlleistungen entspreche, antwortete der Senat, er gehe davon aus, daß die HmbBeihVO in der derzeit geltenden Fassung auch rechtsgültig sei. Die Entscheidungsgründe des BVerfG legten nahe, einen Antrag beim Hamburgischen Verfassungsgericht zu stellen. Der Senat habe darüber noch nicht abschließend beraten.

Auch wenn eine Gleichbehandlungs-
zusicherung sicherstellen soll, daß den Betroffenen bezüglich der Abrechnung für die letzten Jahre, in denen die Hansestadt die Wahlleistungen nicht anerkannte, keine Nachteile entstehen, ist doch der gegenwärtig bestehende Schwebezustand zutiefst unbefriedigend.

Ein Gericht stellt rechtskräftig die Rechtsungültigkeit einer Rechtsnorm fest - und es scheint im Belieben der unterlegenen FHH zu stehen, wann sie Konsequenzen daraus zieht: entweder die Entscheidung akzeptiert oder aber die von ihr für möglich gehaltene weitere verfassungsgerichtliche Prüfung einleitet.

Eine Leistung wird abgelehnt; der Ablehnungsbescheid wird rechtskräftig aufgehoben - und was ist mit dem (abgelehnten) Antrag? Nach der Aufhebung der Ablehnung hängt er in der Luft! Er muß doch noch beschieden werden! Und wenn dies ohne wichtigen Grund in angemessener Zeit nicht geschieht? Zugegeben - die Vorstellung, den Senat durch eine Untätigkeitsklage mittelbar zu veranlassen, sich zwischen den beiden möglichen Konsequenzen aus den Entscheidungen von OVG und BVerfG zu entscheiden, mutet fremd an. Andererseits: Art. 19 Abs. 4 GG garantiert effektiven Rechtsschutz gegen hoheitliches Unrecht. Und dieses kann auch in einem Unterlassen bestehen.

Eine vertiefte Diskussion dieser Problematik würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen; es können nur Überlegungen angestoßen werden, wie Bewegung in die Angelegenheit gebracht werden kann, wie sie von der langen Bank heruntergeholt oder wie diese lange Bank "abgesägt" werden kann. "Zeit ist Geld" - sicherlich für die Stadt, ebenso sicher aber auch für ihre Mitarbeiter und Pensionäre.

Jürgen Kopp