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Justizreform

Budgetierung
Klappe: Die Zweite

Zwölf Monate sind ins Land gegangen seit Anlaß bestand, sich Sorgen über die Budgetierung und deren Umsetzung zu machen. Manches war nicht im Lot, "im grünen Bereich". Turbulenzen und dichter Nebel sorgten für Irritationen. Inzwischen dümpelt dieses Reformschiff in ruhigeren Gewässern. Nicht, daß etwa alles rund liefe, Entwarnung gegeben werden könnte. Aber es zeichnen sich doch Strukturen ab, die als Arbeitsrahmen geeignet, jedenfalls entwicklungsfähig erscheinen. So soll hier und heute zum Grunde nicht weiter räsoniert werden, zumal die Budgetierung als solche ein gern gesehenes und begrüßtes Reformkind ist. An dieser Stelle daher in Kürze nur einige Anmerkungen:

1. "Die Gerichtsbarkeit wird in allen ihren Zweigen durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt". So steht es in dürren Worten geschrieben in Art. 62 der Hamburgischen Verfassung. Hier wird die inhaltliche Seite der Rechtsprechung in den Blick genommen. Die politische Verantwortung für die materiellen Grundlagen, unter denen die Gerichte und Staatsanwaltschaften zu arbeiten haben, ist ein anderes Thema: Sie liegt bei der Politik und bleibt auch dort - Budgetierung hin, Budgetierung her. Die Budgetierung fordert die Dienststellen in Planung und Organisation, die Verantwortung für zerrüttete Staatsfinanzen überantwortet sie nicht.

Keiner, der bei Sinn und Verstand ist, verkennt die Unabweisbarkeit sparsamer Haushaltsführung und bitterer Konsolidierungsmaßnahmen. Über die Umsetzung im einzelnen ließe sich allerdings trefflich streiten. Nur: Die Parlamente und Regierungen, die Sparmaßnahmen in bestimmter Gewandung beschließen, haben für die negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung und dem Wahlvolk die politische Verantwortung zu übernehmen. Sparmaßnahmen tun weh, und das verkauft sich nicht gut. Aber es hilft nicht: Bei der Justiz werden sich die Negativfolgen nicht nach politischer Priorität oder Opportunität sortieren. Sie erfassen alle Bereiche. Wer den Bären wäscht, weiß, das Bärenfell wird naß. Diese Wahrheit läßt sich nicht leugnen.

Wir möchten es nun wirklich nicht mehr hören, daß alles, was bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften nicht oder schlecht läuft, seine Ursache in der richterlichen Unabhängigkeit, in organisatorischer bzw. reformerischer Unfähigkeit oder gar Unwilligkeit der Dienststellen haben soll - ein im übrigen - wie nennen wir Juristen es doch? - immer wieder völlig unsubstantiierter, nicht belegter Vorwurf.

2. Die Verteilung der Personal- und Sachbudgets berührt jeden einzelnen Mitarbeiter, hat Konsequenzen für den Arbeitsplatz des Richters, des Staatsanwaltschafts, des Geschäftsstellenverwalters usw., ist also im wahrsten Sinne des Wortes existenziell. Soll z.B. - bei knappem Budget - die Stelle des Präsidenten nachbesetzt werden, oder erscheint es sachgerechter, vier freie Stellen Geschäftsstellenverwalter zu besetzen? Das alles sollte nicht von "oben herab" entschieden, durchgereicht werden, ganz im Sinne einer präsidialen Beglückung. Zu beteiligen sind vielmehr Richter- und Personalrat und - warum eigentlich nicht? - die Gerichtspräsidien. Nach den mir vorliegenden Informationen ist dieses Verfahren bei fast allen Dienststellen auf gutem Weg.

3. Kennen Sie Kostenstellen? Dort werden für bestimmte Arbeitsbereiche Kosten erfaßt und zusammengeführt. Die Budgetierung birgt auch Risiken, so das Faszinosum der Kostenschraube und - quasi als Voraussetzung - die kostenmäßige Durchleuchtung des einzelnen Richters und Staatsanwalts. Nun habe ich schon immer dem Kostenbewußtsein das Wort geredet. Wir leben nicht unter einer Käseglocke, sollten auch im Beruf die Kosten und knappen Ressourcen stets im Auge haben. Aber: Kostenbewußtsein ist wichtig, die Freiheit richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Überzeugungs- und Entscheidungsbildung unverzichtbar und nicht verhandelbar. Für uns Kolleginnen und Kollegen ist zudem jede Rechtsprechungsaufgabe gleichviel wert. Das ist Gesetzeslage.

Der Versuchung, über das Budget im Sinne von Wirtschaftlichkeit auf Inhalte einzuwirken, ist von vornherein deutlich und unmißverständlich entgegenzutreten - ein Appell auch an die Leitungen der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Daher und um erst gar keine Unklarheiten und Begehrlichkeiten aufkommen zu lassen: das "Herunterbrechen" (so das neue Verwaltungschinesisch) der Kostenermittlung auf den einzelnen Richter, Staatsanwalt, die Kammer und den Senat hat zu unterbleiben. Wir brauchen den überzeugenden Richter und Staatsanwalt, nicht hingegen den gläsernen.

4. Qualitätskennzahlen, Leistungsvereinbarungen (Budget gegen Zusage bestimmter Leistungen) - für Staatsanwaltschaften und insbesondere Gerichte ein sperriges Thema. Legislative und Exekutive haben ein vitales Interesse insbesondere an der Qualität und dem Inhalt der Rechtsprechung (Bemerkung eines leitenden Beamten einer Behörde, die für die Geldverteilung zuständig ist: "Man muß doch einmal fragen dürfen, warum ein Richter in einem bestimmten Verfahren 10 und nicht nur 5 Zeugen vernommen hat"). Wir wollen für diese Neugierde und das zugewandte Interesse Verständnis aufbringen, wenden uns dann aber gleich wieder Art. 62 der Hamburgischen Verfassung zu: Der Verfassungsgeber hat Legislative und Exekutive - beide von Haus aus schon hoch belastet - von der Verpflichtung befreit, sich über Qualität und Rechtsprechungsinhalte Sorgen und Gedanken zu machen, Verantwortung übernehmen zu müssen. So provozierend es klingt, so schlicht ist die Verfassungswirklichkeit: Für die Rechtsprechung ist allein die Rechtsprechung zuständig und verantwortlich. Rechtsprechung kontrolliert Rechtsprechung. Nun bin ich ein Verfechter - und habe dies schon mehrfach angeregt und eingefordert - für einen kritischen Diskurs innerhalb der Kollegenschaft, gleichsam als notwendige Kehrseite der Medaille richterlicher Unabhängigkeit. In diesem Rahmen soll dann über Qualität, Standards u.ä. diskutiert und gestritten werden. Quality circle? Wir haben sie. Es ist der große Kreislauf zwischen den Instanzen - wie das Gesetz es befiehlt. Das ist es dann aber auch. So und nicht anders.

Heiko Raabe