(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/98) < home RiV >

Die Präsidentin des
Landgerichts:

Zum Abschied für
Günter Bertram

Von Ihnen, lieber Herr Bertram, Abschied zu nehmen und Ihren beruflichen Lebensweg in einer adäquaten Rede zu würdigen, ist ein nicht ganz leichtes Unterfangen.

Das hängt nicht mit Ihnen als Mensch zusammen. Da gibt es viel und viel Angenehmes zu sagen. Das also ist es nicht. Es ist vielmehr Ihr unausgesprochener aber doch geschriebener Anspruch, wie man mit Sprache umzugehen hat. Dieser Anspruch ist bei Ihnen sehr hoch.

Das habe ich selbst anläßlich verschiedener Gelegenheiten spüren können. Und das ist gut so.

Geschriebene Sprache ist ein wesentlicher Teil der menschlichen Kommunikation. Neben vielem anderen, versteht sich. Es ist jedoch das wohl einzige Kommunikationsmittel, das sich einer genauen Kontrolle nicht so leicht mit Ausreden über Mißverständnisse entziehen kann.

Ich werde also den Versuch unternehmen, für das, was Sie uns bedeuten, die richtigen Worte zu finden. Dabei gehe ich davon aus, daß einige andere hier im Saal noch reden werden und die sehr lückenhafte Darstellung Ihres Lebenswerkes gewollt und nicht zufällig ist.

Lieber Herr Bertram, Ihr Name steht für Hamburgische Justizgeschichte. Das ist unbestreitbar. Das hat einerseits seinen Grund in Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit als Chefredakteur und Journalist der MHR, der Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins. Diese Kombination ist in unseren Printmedien übrigens in dieser Form nicht anzutreffen. Ein Chefredakteur schreibt meist in seiner Zeitschrift nur einen kleinen, etwas aufgeblasenen Artikel, wenn man an den SPIEGEL, FOCUS und den STERN denkt. Im übrigen läßt er andere arbeiten. Nicht so bei Ihnen.

Andererseits sind Sie eine Richterpersönlichkeiten, die ein ausgesprochen stabiles Rückgrat hat, trotz Ihrer eher zarten Statur. Aber Ihre, wenn ich etwas respektlos sagen darf, Ihre Haartolle verrät mehr.

Sie sind ein Richter, der bei aktuellen Themen, die unseren Berufsstand angehen, nicht locker läßt, der sich einmischt und der auch für die Schwächeren von uns immer noch ein Wort der Erklärung oder gar Entschuldigung findet.

Aber fangen wir von vorne an: Herr Bertram, Ihr Geburtsdatum, der 20. Januar 1933, ist ein symbolisches Datum, an dessen Symbolik Sie selbst aber im besten Sinne "unschuldig" sind. Es ist rückblickend ein Datum, an dem, was sich später in Deutschland und dann in der ganzen Welt ereignete, schon der Keim des Kommenden angelegt war. Und heute vor 65 Jahren war ein historisches Datum, das zu Recht als Beginn der Schreckensherrschaft bezeichnet wurde.

Mich, lieber Herr Bertram, interessiert an Ihrer Biographie die Frage, wie Sie zu dieser starken Richterpersönlichkeit reifen konnten, obgleich Sie in Jahren groß geworden sind, die dem einzelnen, auch den Kindern, bisweilen Dinge abgefordert haben, die wir heute als unerträglich bezeichnen würden.

Sie waren mit 10 Jahren sogenannter Pimpf und dienten unter einem Bannführer, der später eine große Theaterpersönlichkeit in Hamburg wurde. Und hier mußten Sie dann nach dem Kriege erfahren, daß diese Persönlichkeit, die Sie als "schlimmen Nazi" bezeichnen, sich plötzlich als Demokrat definierte, der keine Reue, geschweige denn ein wenig Nachdenklichkeit gezeigt hat. Auch über Ihre Lehrer äußerten Sie, daß manche von Ihnen nach 1945 ihre Haltung sehr schnell geändert bzw. - wie man so schön sagt - ihr Mäntelchen nach dem Winde gerichtet haben.

Was befähigte Sie also, lieber Herr Bertram, dieses alles mit wachem Blick zu verfolgen und dennoch nicht zu einem Menschen zu werden, der die Vätergeneration mit Haß verfolgte. Wir kennen die Vater-Sohn Auseinandersetzung aus der Literatur und dem Journalismus - z.B.von Klaus Schlesinger und Niklas Frank -, und es ist fast verständlich, wenn die Söhne auf ihre Fragen von den Vätern keine Antwort erhielten.

Ihr eigener Vater, lieber Herr Bertram, war im Dritten Reich Richter gewesen und hatte, wie er selbst immer wieder betonte, "Glück gehabt". Er war nämlich weg von der Strafjustiz in das Reichskriegsschädenamt für die Seeschiffahrt nach Güstrow versetzt worden und geriet dementsprechend nicht in Konflikte, die manchen seiner Kollegen getroffen haben.

Der Satz "Ich habe Glück gehabt" ist nicht etwa harmlos. Er sagt etwas über den Vater Bertram, der übrigens später Vizepräsident des Landgerichts Hamburg wurde und einen rundherum guten Ruf genoß. Dieser Vater räumte mit seinem Bekenntnis zum Glückhaben nüchtern und bescheiden ein, er wisse eigentlich nicht, ob er im unglücklichen Falle die Kraft zum Nein-Sagen oder gar zum Widerstand aufgebracht hätte. Er war damals bereits mehrfacher Familienvater.

Diese Haltung Ihres Vaters muß Sie, lieber Herr Bertram, auf eine unnachahmliche Weise geprägt haben. Sie selbst trauen einem hypothetischen Heldentum nicht. Für das Vorbild, das er Ihnen war, sind Sie Ihrem Vater sehr dankbar. So habe ich es Ihren Worten entnehmen können.

Lieber Herr Bertram, ich hoffe, daß meine Worte nicht zu distanzlos werden, nachdem ich mit Ihnen ein kleines Interview, aus dem ich nun meine Rede bastele, geführt habe. Aber da Sie wußten, warum ich Sie befrage, nämlich, damit ich Ihre Ehrung mit Wichtigem in Ihrem Leben füllen kann, gehe ich davon aus, daß Sie mir ohne ausdrückliches "Imprimatur" gestatten, Ihr Leben so vor uns allen jetzt auszubreiten.

Was mich als die 10 Jahre Jüngere auch interessiert, ist natürlich die Frage, wie eine Mutter, wie Ihre, lieber Herr Bertram, die fünf Kinder hatte, diese Leidenszeit mit Vorkrieg und Nachkrieg überstehen konnte. Und da haben Sie nur Positives zu berichten. Sie haben von Ihrer Mutter gesagt, sie sei trotz frühen Studiums in ihrer späteren Großfamilie mit Freuden aufgegangen und habe mit viel Liebe ihre Kinder großgezogen. Auch das mag dazu beigetragen haben, daß Sie diesen unverstellten Blick für die Geschichte des Dritten Reiches und auch auf die Geschichte danach haben.

Bei allem, was Sie über Ihr Leben sagten, spielten immer wieder politische Daten eine Rolle. Nach einer kaufmännischen Lehre, die Sie nach dem Abitur begannen, studierten Sie nicht nur in Hamburg und Tübingen, sondern waren auch ein Semester in Amerika Student of selfgovernment. Dort haben Sie viele Freunde, auch jüdische, gewonnen, mit denen Sie teilweise noch heute in Verbindung stehen. Der Ungarnaufstand 1956 ist nur eines der vielen Daten, die Sie für Ihr Leben notierten.

So traf es sich richtig, daß Herr Clemens, der damalige Landgerichtspräsident, Sie bereits 1966 in die Große Strafkammer 1, die politische Strafkammer, setzte. 1968 wurde Ihnen als Untersuchungsrichter das NS-Verfahren Maywald und andere mit 80 Hauptbandakten anvertraut. Anfang 1972 übernahmen Sie den Vorsitz der Schwurgerichtskammer, in denen Sie NS-Verfahren zu verhandeln hatten.

Nur am Rande möchte ich einmal kurz zitieren, mit welcher Hilflosigkeit vor dem Besonderen die Beurteilungen damals und - übrigens auch heute noch - formuliert wurden. So heißt es in einer Ihrer Beurteilungen: "Er versucht, den zu entscheidenden Fall mit menschlicher Wärme zu erfüllen." Das war freundlich gemeint, würde aber heute zu vielen Mißverständnissen Anlaß geben. Beurteilungslyrik nennt man soetwas. Gleichwohl - und auch dieses nur in Parenthese - liebe ich die Beurteilungen, die vor 30 Jahren geschrieben wurden. Sie waren kurz, selten über eine Seite lang und sagten bestimmt soviel wie heute aus, wo wir glauben, durch die Vielzahl der Seiten die Prägnanz der Beschreibung zu ersetzen.

Zu dem "Besonderen", das Ihre Beurteiler an Ihnen wahrnahmen und übrigens lobend hervorhoben, gehörte auch etwas, das ich selber als Indiz des guten Richters schätze: Ich meine Qualitäten, die über das rein juristische Vermögen hinausgehen. Und deshalb formulierte auch ein Beurteiler besondererweise und höchst treffend:.. "aufgrund seines regen Interesses für Ziele und Entwicklungen politischer Ideen und Bewegungen sowie der Vertrautheit mit der politischen Gegenwart" könne er "Strafsachen nach § 74 GVG mit weit besserem Verständnis bearbeiten, als es derjenige vermag, der nur juristisch - ohne eine so umfassende politische Bildung - an diese Dinge herangeht". Deshalb traute man es Ihnen zu, verschiedene schwierige NSG-Verfahren u.a. das Weinrich-Verfahren und das Eickhoff-Verfahren durchzuführen. Und ich meine, daß aus dieser Arbeit auch Ihr "Verständnis" für menschliches Versagen entstanden ist.

Am späten Abend vor Weihnachten, am 23. Dezember 1997, vertiefte ich mich in den von Ihnen in der Festschrift für Werner Jochmann veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel: "Vergangenheitsbewältigung durch NS-Prozesse ?". In dieser Schrift setzen Sie sich in grundlegender Weise mit der Frage auseinander, was Nachkriegsjustiz angesichts der Grausamkeiten im Dritten Reich zu leisten imstande ist oder eben gerade nicht.

Ich trank beim Lesen Wein, was dem Ernst des Themas vielleicht nicht angemessen war, aber die Rückschau auf das Leid, was angesichts des Themas zu beschreiben war, das Lesen erträglicher machte. Jedenfalls verschüttete ich an der Stelle, an der Sie, Herr Bertram , feststellen, daß ein Richter, der NS-Verfahren aufzuklären hat, ein historischer Dilettant ist, mein Glas Wein. Und nichts ist Zufall.

So stellen Sie weiter fest: "Es gibt Widersprüche zwischen der historischen und der juristischen Sicht". "Das, was als historischer Befund klar genug ist, reicht für den individuellen Urteilsspruch nicht aus."

Wie wahr. Aber das macht uns Juristen für Nichtjuristen auch so angreifbar. Und so sagen Sie weiter: "Wahrscheinlich ist der Rechtsstaat außerstande, sachgerechte Kategorien für das Problem zu entwickeln und gesetzlich zu formulieren, nach welchen Maßstäben der schuldige Mensch zu behandeln ist, der gerade nicht im Rechtsstaat, sondern in seiner Gegenwelt, dem totalitären Staat, agiert hat." Und ich füge im Sinne Ihres Vaters, Herr Bertram, hinzu, und "der nicht das Glück hatte".

"Der Richter ist nicht der Bewältigung der Vergangenheit, sondern dem Recht verpflichtet." Auch dieses ist so eine zu beherzigende Aussage, die auch auf heutige Verhältnisse übertragen werden kann. Der Richter ist nicht der Politik, sondern dem Recht verpflichtet. Ich denke da als Behördenleiterin an die Überlegungen zu den Sparmaßnahmen. Was tut die Politik, wenn nicht genug Geld da ist, um genügend Rechtsprechende zu bezahlen. Wo setzt man Schwerpunkte. Mehr Finanzrichter oder mehr Staatsanwälte? Nein, das darf gar nicht erst zur Frage werden.

Lieber Herr Bertram, Sie haben in Ihren 89 (in Worten: neunundachtzig) Vorträgen, Aufsätzen, Abhandlungen, Stellungnahmen etc. in der NJW, der ZRP, der DRiZ und dem Mitteilungsblatt des Hamburgischen Richtervereins nicht nur zu allgemeinen, sondern auch sehr aktuellen justizpolitisch brisanten Themen Stellung genommen. Mit diesem schriftstellerischen Oeuvre könnten Sie Mitglied im PEN werden. Ich würde Sie gern vorschlagen.

Und ich spreche sicherlich für sehr viele von uns, wenn ich sage, daß Ihre Artikel immer Lesevergnügen sind. Sie sind kleine literarische Kunstwerke, die dem Leser und der Leserin bisweilen gewollte Spielräume für Interpretationen lassen und doch immer eine Botschaft haben.

Dabei wimmeln Ihre Schriften nur so von Gedankenstrichen, Anführungs- und Ausführungszeichen, Klammersätzen und Fußnoten.

Die liebe Frau Hamann, Herr Bertram, die all das von Ihnen auf Schreibmaschine Getüftelte nun auf ein Computerprogramm übertragen muß, stöhnt zwar niemals, muß aber doch, wie ich bisweilen feststellen kann, die Niederschrift auf Tageszeiten legen, in denen es im Vorzimmer nicht so turbulent zugeht.

Ihre schriftlichen Botschaften stellen Sie niemals als das non plus ultra hin, sondern stellen der Endgültigkeit einer Aussage häufig den Zweifel an die Seite. Damit nehmen Sie dem Leser jeden Wind der schnellen Kritik aus den Segeln. Jemand, der so bedenksam seine Meinung vorträgt, dem gegenüber gibt es keine Möglichkeit loszuwüten, wenn man anderer Meinung ist. Und manches mal wäre ich schon anderer Meinung, wenn, ja, wenn, Sie nicht bereits wieder in Klammerzeichen auch die Meinung des Andersdenkenden irgendwie berücksichtigt hätten.

"Man kann Herrn Bertram niemals böse sein", sagte einer Ihrer Mitarbeiter aus der Geschäftsstelle - natürlich in einem ganz anderen Kontext. Er meinte damit nicht eine Meinungsäußerung, sondern das, was uns allen täglich passiert, ein Mißgeschick, whatever.

Die Menschen, die mit Ihnen am Landgericht zusammengearbeitet haben, bestätigen mir immer wieder, wie beliebt Sie sind. Das rührt u.a. daher, daß Sie diesen Menschen durch Gespräche das Gefühl geben, sie ernst zu nehmen. Gespräche, die nicht nur die alltäglichen Sorgen betreffen, sondern die sich mit politischen Themen beschäftigen.

Eine Mitarbeiterin ließ sich mir gegenüber zu der Bemerkung hinreißen: "Wir sind alle traurig, weil er geht. Er ist der Liebste."

Diesen Satz muß man sich in einer nüchternen Geschäftsstelle vorstellen, bestückt mit vierzig Jahre alten Möbeln und einem Gerichtsgebäude, das eher unwirtlich ist und kühl und in einem Metier, das Menschliches eigentlich nicht bereithält. Oder doch? Mich jedenfalls hat der Satz sehr angerührt.

Meine Damen und Herren, Sie mögen dieses für ziemlich marginal halten. Ich für meinen Teil halte es für ungeheuer wichtig. Es zeigt eine Haltung dieses Richters, der sich nicht nur unter seinesgleichen mit den (auch politischen) Themen des Alltags auseinandersetzt, sondern der auch möchte, daß Menschen, die nicht die Möglichkeit hatten, diese Bildung zu erhalten, die er selbst genossen hat, von allem erfahren, was ihn bewegt.

Das ist ziemlich einmalig. Das ist das, was ich anfangs als eine besondere Richterpersönlichkeit bezeichnet habe. Wo nimmt sich jemand soviel Zeit und versucht , den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erklären, was im Dritten Reich Alltag war und welche Konflikte das Leben damals für die Menschen bereit hielt und was durch die Vereinigung Deutschlands nun auf alle Mitbürger und Mitbürgerinnen zukommt?

Lieber Herr Bertram, dies ist eine Erklärung dafür, daß jede und jeder, daß alle, die mit Ihnen zusammengearbeitet haben, unglaublich bedauern, daß Sie jetzt gehen.

Nach weiteren Gründen gefragt, hört man vieles: so hat ein Protokollführer gesagt, Sie seien in der Sitzung sehr angenehm gewesen. Allerdings seien auch Sie, und ich war da an unseren gerade pensionierten Vorsitzenden Richter Dr. Franke erinnert, in den Sitzungen auf Harmonie bedacht gewesen. Da wäre es dann bisweilen eine Kunst für sich gewesen herauszuhören, wie Sie denn diese oder jene Frage gemeint hätten. Und manchmal sei es wichtig gewesen, daß die Berichterstatterin oder der Berichterstatter sehr nüchtern und klar die Fragen in der Sitzung gestellt hätte, die Sie, um nicht zu provozieren, bisweilen nicht so deutlich hätten stellen wollen. Aber sei’s drum. In einer Hauptverhandlung sind alle Kammermitglieder aufgefordert, bei der Wahrheitssuche mitzuwirken.

Liebe Frau Bertram, ich habe irgendwann einmal den weisen Spruch gehört: "Hinter einer langen Ehe steht immer eine Frau." Ihr Mann hat viel Zeit seines Lebens im Gerichtsgebäude verbracht, weil er neben seinem Hauptamt als Richter praktisch Schriftsteller und Journalist war. Es ist zu vermuten, daß Sie Ihrem Mann während all seiner Berufsjahre eine sehr kluge und verständnisvolle Begleiterin gewesen sind. Und das nicht nur deshalb, weil Sie selbst Volljuristin sind.

Ihr Mann wird es Ihnen gedankt haben, daß Sie ihn haben machen lassen. Er ist gut auf Frauen konditioniert. Das habe ich immer wieder feststellen können. Wie er mit seinen Beisitzerinnen umgegangen ist, das war schon von besonderer Einfühlsamkeit. Wenn mich nicht alles täuscht, war er auch derjenige, der sich als erster Vorsitzender einer großen Strafkammer bereit erklärte, auch sog. Teilzeitrichterinnen als Beisitzerinnen zu akzeptieren.

Sie, lieber Herr Bertram, haben es gewagt und haben gesiegt. Und ich könnte Ihnen manchen Vorsitzenden nennen, der Sie um Ihre Richterinnen klammheimlich beneidet.

Lieber Herr Bertram, was soll ich sagen, meine Zettelkiste ist noch voll mit vielen Gedanken über Ihren Lebenslauf. Aber Sie werden sehen: das berufliche Lebensbild, das es heute wenigstens in Umrissen von Ihnen zu zeichnen gilt, wird noch von anderen vervollkommnet.

"Mit hundert Fasern Ihres Herzens", so oder so ähnlich haben Sie es ausgedrückt, hängen Sie noch an Ihrem Richterdasein, an den Menschen, mit denen Sie täglich im Gericht zusammengearbeitet haben. Und Sie könnten uns wirklich fragen: "Warum hält mich keiner zurück?" Ja, dem steht das Gesetz entgegen. Merkwürdig allerdings, daß Professoren noch bis zum 68. Lebensalter lehren dürfen. Sind sie vielleicht in den Köpfen der Gesetzgeber weniger verbraucht als die Richter?

Sie werden erst langsam Ihr Zimmer räumen, habe ich gehört, um den endgültigen Abschied etwas hinauszuzögern.

Ich hoffe, daß Ihr liberaler Geist weiterhin den Sievekingplatz umschwebt.

Und ich denke, es würde uns helfen, in dieser Zeit, in der alle Werte aus den Fugen zu geraten drohen, mehr solche Juristen um uns zu wissen, die uns anstoßen und stützen, wenn es darum geht, Maßstäbe zu finden und festzuhalten, Maßstäbe für das, was auf dieser Welt wichtig ist.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute in dem beruhigenden Wissen, daß Sie uns noch lange durch das Mitteilungsblatt des Hamburgischen Richtervereins mit Ihren Gedanken erhalten bleiben.

Konstanze Görres-Ohde