(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/97) < home RiV >
Dichter Nebel
über der Justiz

Reformprozesse haben ihre Eigendynamik und individuellen Noten. Die Verläufe sind häufig überraschend, der Zielbahnhof wird bisweilen verfehlt, die Ergebnisse treffen nicht immer auf ungeteilte Begeisterung. Von besonderer Qualität ist das Reformvorhaben "Budgetierung", ein Schauspiel in mehreren Aufzügen - der Schlußvorhang ist noch nicht gefallen.

Die Idee der "Budgetierung", also eigener Budgets für Gerichte und Staatsanwaltschaft, ist so neu nicht. Bereits in den 80er Jahren wurden entsprechende Forderungen laut, im übrigen auch von dem Unterzeichneten in öffentlicher Rede erhoben. Dies alles erfolglos. Warum? Vielleicht war gerade wieder einmal die Zentralisierung das Gebot der Stunde; Zentralisierung und Dezentralisierung, die mit der Regelmäßigkeit von Ebbe und Flut über die Verwaltung der Hansestadt hinwegspülen und ihr ständige Wechselbäder bescheren, meistens mit erheblichen Kosten und großem Aufwand. Vielleicht mochte man sich aber auch von dem Geldtopf nicht trennen, als dieser jedenfalls zum Teil noch gefüllt war. Honi soit qui mal y pense - wie dem auch sei: Nun wird Ernst gemacht mit der Budgetierung, nun soll es endlich losgehen.

Für die Budgetierung des Personalhaushalts war als Starttermin das Jahr 1997, also der
1. Januar 1997 vorgesehen. Es galt also, Vorsorge zu treffen, die Rahmenbedingungen für dieses durchaus komplexe Vorhaben zu schaffen. Eine Kommissionssitzung jagte die andere. Es gab eine bunte Vielfalt von Arbeitsgruppen. Als die gesamten Schwierigkeiten und Probleme, die mit diesem Projekt einhergehen, zunächst nur schemenhaft, dann aber in klareren Umrissen deutlich wurden, fiel die Anfangseuphorie bescheidener aus.

Delegationen pilgerten in unsere Nachbar-Hansestadt Bremen, um sich über die dort seit längerer Zeit praktizierte Budgetierung kundig zu machen. Sie kehrten alle ohne Patentrezepte für die Lösung der Hamburger Verhältnisse zurück. Im Oktober vergangenen Jahres erschien der Senatsrat Ulrich Mäurer aus Bremen als vortragender Gast. Herr Mäurer ist in Fragen der Budgetierung ein Fachmann von hohen Graden. Im übrigen ist Herr Mäurer ein höflicher Mensch. Er nannte das Hamburger Vorhaben ehrgeizig und anspruchsvoll. Im Klartext: Könnte es sein, daß Hamburg sich übernommen hat?

Die Umsteuerung ließ nicht lange auf sich warten. Nun sollte wegen der diversen Schwierigkeiten die klassische Budgetierung zum 1. Januar 1997 doch nicht kommen, ein Rückfall in das alte Verfahren allerdings vermieden, vielmehr ein Zwischenverfahren beschritten werden: Keine eigenen Personalbudgets für die Gerichte und Staatsanwaltschaft, aber Ausweisung von Gesamtbeträgen, mit denen die einzelnen Einheiten im Personalbereich für das Jahr 1997 planen und kalkulieren könnten. Diese Beträge wurden indessen dem Schreiben nicht beigefügt. Es mußte noch gerechnet werden.

Erstmals machte sich deutliche Unruhe in den Verwaltungsetagen breit. Wußte man doch nach wie vor nicht, ob z.B. Neueinstellungen und Beförderungen möglich sein würden, ob unter Umständen Abteilungen, Kammern, Senate geschlossen werden müßten. Die gesamten Planungen im personellen Bereich waren blockiert.

Diese Hängepartie währte bis Anfang Februar 1997 (!). Nun nannte die Justizbehörde die langersehnten Beträge; "lesen", also verstehen konnte sie indessen keiner so recht. Als "Lesehilfe" gab die Justizbehörde einige Tips, jedoch mit dem einschränkenden Hinweis, auf diesem Wege könnten lediglich annähernd richtige Werte ermittelt werden. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß das Ganze von einem Feuerwerk ständig neuer, zum Teil sich widersprechender Zahlen der Finanzbehörde begleitet wurde, wie überhaupt der Eindruck entstehen mußte, daß die Haltbarkeitsdauer der von der Finanzbehörde mitgeteilten Zahlen zur Zeit eine Woche nicht übersteigt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lehnen sich erschöpft zurück, nicht zufrieden, aber
jedenfalls in der Gewißheit, daß ihre Präsidentin, Präsidenten und Behördenleiter im Jahr 1997 zumindest annähernd bezahlt werden können. Gerichte und Staatsanwaltschaft haben zwischenzeitlich - mit 1 1/2monatiger Verspätung - zu einem Blindflug abgehoben, nein: zu einem Blindflug mit Annäherungswerten. Da kann ich nur gute Verrichtung
wünschen. Glück auf!

ð PS: Die Chronistenpflicht und die Pflicht zur wahren Berichterstattung gebietet die Feststellung, daß die Justizbehörde an diesem Desaster kein Verschulden trifft. Die Justizbehörde hängt auch nur an dem Informations- und Versorgungstropf der Finanzbehörde. Mir als ehemaligem Mitglied der Justizbehörde haben in den letzten Wochen und Monaten meine früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen bisweilen "ganz bunt um die Ohren geworden sein muß", mehr als einmal leid getan.

ð PS PS: "Der Weg ist das Ziel", ach ja: Das Ziel ist und bleibt goldrichtig, der Weg ist hingegen von sehr begrenztem Charme, oder: Ein solches Planungschaos habe ich noch nicht erlebt.

Heiko Raabe