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Justiz 2000 in der Toskana

Die lieben Mitarbeiter des Landgerichts hatten mir und meiner Frau aus Anlaß meines Abhauens eine Reise in die Toskana geschenkt. Von Betriebsausflügen aus den Taschen anderer halte ich viel. Die Daheimgebliebenen kann ich nur trösten: Das neue Budgetrecht des Landgerichts wird Euch bald Ähnliches bescheren. Die schwedischen Gerichte haben seit langem einen eigenen Haushalt mit absoluter Verfügungsfreiheit. Mein Freund Jan Alvo, Direktor des Eingangsgerichts in Lund, erzählte mir neulich, daß er eine halbe Richterstelle nicht besetzt habe. Nun könne er aus den eingesparten Mitteln endlich einen Betriebsausflug des Gerichts nach Dänemark finanzieren. "Motivation der Mitarbeiter zu Mehrarbeit kommt nicht aus dem Nichts heraus" - sagte er.
Meine Frau und ich jedenfalls bestiegen den für 14 Tage geschenkten Gaul wohl motiviert auf dem Flughafen von Fuhlsbüttel. Dort empfing uns eine wie immer bildhübsche Stewardess. Sie griff mich unter den Arm und führte uns zur VIP-Lounge, wo wir uns mit Spumante und Grappa zuschütten ließen - eine Mischung, die ich jedem empfehlen möchte. Trotz eines Zwischenaufenthalts in Paris bei Charles de Gaul kamen wir erst in Florenz wieder zur Besinnung, als wir recht harsch aufgefordert wurden, das Flugzeug endlich zu verlassen.
Die nicht erwartete Zugabe, während der Reise wie VIP’s behandelt zu werden, hatten wir - wie mir berichtet wurde - dem Justizsenator zu verdanken. Dieser ließ uns auf dem Flughafen in Hamburg ein eigenhändig unterschriebenes Schriftstück überreichen, in dem er uns - auf Umweltpapier - nicht nur eine schöne Reise wünschte, sondern auch darum bat, wir möchten doch erkunden, ob auch Italien an die "Justiz 2000" denkt und das Court Management eingeführt hat.
Natürlich fragte ich auf dem Flughafen in Florenz sofort nach dem nächsten Court Management. Diesem Wunsch entsprach man bereitwillig und wies mir den Weg zum Waschraum. Dieser erste Fehlschlag machte uns während der ganzen Urlaubszeit viel zu schaffen. Immer wieder beschäftigte uns der Gedanke: Wo finden wir das einem Court Management zugehörige Gericht, oder hat - jedenfalls in der Toskana - das dort herrschende Management den Court schon abgeschafft? Aber auch eine andere Frage trieb uns um: Wie erkennt man in der Toskana überhaupt ein Gericht? Hier konnten uns unsere reichen internationalen Erfahrungen von Nutzen sein: In Frankreich erkennt man ein Gericht an den schmucken Polizeibeamten vor dem Portal, in Rußland an den Gitterkäfigen im Verhandlungssaal, in Schweden an der liebevollen Herrichtung der Publikumsbereiche, in Hamburg an den modrigen Fensterrahmen, etwa vergleichbar mit denen des Universitätsklinikums derselben Hansestadt.
Um es vorwegzunehmen: Ein solches Gericht haben wir auf unseren weitgestreuten Reisen durch das Chianti-Land nicht entdeckt, allenfalls einige Typen, die wie Manager aussahen. Hierbei mag auch eine Rolle gespielt haben, daß unsere Blicke stets etwas getrübt waren. Am frühen Morgen, in unserem herrschaftlichen Hotel "Albergo Fattoria Casafrassi", unweit von Siena im Süden und Castellina in Chianti im Norden, erwachend, bevorzugten wir "Franciacorta Brut, Spumante, Magnum", am Vormittag "88er Brunello di Montalcino", gegen Mittag, wenn wir uns zu unserem kargen Mahl in die Weinberge mit Weißbrot und Mozzarella zurückzogen - Essen und Trinken hatten die selbstlosen Gönner vom Landgericht nicht übernommen - "90er Chianti Classico Riserva" aus dem Weingut Valdicava, Montalcino, und am Abend, bei Costini di Polenta, Topini al Cinghiale oder Zuppa d’Agnello und Bistecche alla Cacciatora den köstlichen "83er Barolo, DOCG, 1a Categoria Cannubio" aus dem Weingut Rinaldi, Barolo.
Auf der Suche nach einem richtigen Court durchstreiften wir das ganze Chianti-Land. Wir suchten in Siena, San Gimignano, Volterra, Monteriggioni und Colle Val d.’Elsa. Dabei ließen wir kein Bergdorf und Kloster aus. Aber immer wieder verfingen sich unsere Blicke im Reichtum der Kunstschätze, der Weinberge und der langgestreckten Täler. Im Burgdorf Certaldo, im Palazzo Pretorio des Grafen Alberti, glaubten wir fündig zu werden. Wir entdeckten aber nur das ehemalige Frauengefängnis, neben der Küche des Grafen belegen.
Um wenigstens etwas nach Hamburg zur Drehbahn mitnehmen zu können, beschlossen wir, den beschwerlichen Weg nach Florenz anzutreten, angespornt durch die Nachricht, daß unser Bundeskanzler zu dieser Zeit mit anderen Oberen der Welt in dieser Stadt weilen würde. Nach kurzer Fahrt mit unserem vorzüglichen Mietwagen, Marke Citroen, Mini, RM LG 2000, erachteten wir es für notwendig, ein kleines Mozzarella-Vesper mit Wein am Pinienhang von S. Donato in Poggio einzulegen. Als wir, die Hauptstraße verlassend, den Schotterweg zu unserem Ausflugsziel hochfuhren, sackte unser Gefährt mit seinen beiden rechten Rädern tief im nicht befestigten Wegesrand ab. In trostloser Einsamkeit mußten wir zur Selbsthilfe greifen. Wir nahmen den Wagenheber und hoben mal das vordere, mal das hintere Rad cm für cm in die Höhe und unterfütterten die Reifen immer wieder mit Schotter von der Mitte des Feldweges. Nach mehrstündiger Arbeit gelang es, eine echte Straßenverbreiterung herzustellen und den Wagen wieder flott zu machen. Beim Anfahren sackten leider nunmehr die linken Räder des Wagens in der Kuhle ab, die wir durch Entnahme des Füllmaterials für die rechte Seite zuvor geschaffen hatten. Also begann die Arbeit in umgekehrter Richtung von neuem, dies auch mit dem Ehrgeiz, den alten Zustand des Feldweges wieder herzustellen.
Bei einbrechender Dunkelheit waren die Baumaßnahmen abgeschlossen. Ein letzter Schluck "Chianti Rufina Reserva", und wir kamen zu dem Ergebnis, uns beim Bundeskanzler und dem Court Management in Florenz nicht blicken zu lassen. Auf der Rückfahrt dachten wir darüber nach, ob uns dieses Erlebnis wenigstens bei den Überlegungen zur Justiz 2000 ein Stück weitergebracht hat. Übrig blieb nur die Erkenntnis: Wir buddeln Löcher, die wir anschließend wieder zuschütten.
Das Jahr 2000 brachte uns aber auf eine andere glänzende Idee:
Wenn Ihr am Sievekingplatz in vier Jahren Euer großartiges Reformwerk abgeschlossen habt, laßt uns aus Eurem Budget wieder in die Toskana fahren. Es gibt dort noch viele Weinsorten, die wir unbedingt probieren wollen.
Auf dem Flughafen in Florenz stellten wir unser Fahrzeug ab und gingen eilig davon. Das Wageninnere hatte einen eigentümlichen Geruch vom Saft der Rebe und des Mozzarella angenommen. Der Rückflug begann - nicht als VIP’s.
Ihnen allen sei Dank, grüßt auch den Senator.
Roland Makowka