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Deutlich sind die
Bilder
der Erinnerung

In den zahlreichen Artikeln dieses Heftes wird Roland Makowka in vielen Facetten beschrieben: Als Menschenfänger, als Ideenvulkan, als Vermittler, als Freund, als Chaot oder Nichtchaot, als jemand, der "auf Frauen gut konditioniert" ist, erscheint er uns. Ich will dem einige Momentaufnahmen meiner Erfahrungen mit Roland Makowka hinzufügen. Viele dieser Begegnungen haben mit Bildern zu tun - inneren und äußeren.

Roland Makowkas Begeisterung für Kunst und Kultur, die eine sehr eigene und ganz und gar nicht akademische ist, darf nicht fehlen, will man den ganzen Roland Makowka fassen. Kreative Menschen ziehen ihn an. Bilder faszinieren ihn. Er scheint sich in der Gesellschaft von Künstlern besonders wohlzufühlen. Sich entspannt zurücklehnend und zufrieden lächelnd sitzt er da, beobachtet, hört zu und macht im entscheidenen Moment eine treffende Bemerkung, die durchaus auch enthüllen kann, wie sehr er die Eitelkeiten durchschaut.

Eines Tages hatte er Professor Dr. Bernd Guggenberger eingeladen, mit dem vielleicht eine Veranstaltung im Rahmen unserer Reihe "Kultur & Justiz" vereinbart werden konnte. Roland Makowka bat mich dazu. Ich war auf eine assistierende Rolle eingerichtet, darauf, die konkrete Organisationsplanung, zu übernehmen, die nicht zu seinen Stärken gehört. Aber der Gastgeber lehnte sich behaglich zurück, zog genüßlich an seiner Zigarette und verfolgte aufmerksam das sich entwickelnde Gespräch über eine gerade beendete Hotelzimmer-Performance, bei dem sich die Besucher als Schattenrisse vom Meister in ihren Lieblingsposen hatten abbilden lassen können. Der Professor war in seinem Element. Er zeigte einen Katalog über das Werk, der mit kleinen Vierzeilern des Künstlers versehen war. Die Verse erwiesen eine überraschende Sensibilität des so extrovertierten Künstlers und Soziologen. Hierüber verwickelten wir uns in ein Gespräch, ohne daß sich Roland Makowka daran beteiligte. Sein Interesse erlahmte aber nicht. Auf eine mir nicht mehr erinnerliche Weise gelangten wir noch zu konkreten Verabredungen. Im Aufbrechen bemerkte Roland Makowka, der Gast habe sich offenbar gut unterhalten. Der Meister habe eine Bewunderin gefunden...............

Ein anderes Bild: Nach einer seiner wenigen und kurzen Urlaubsreisen erzählte Roland Makowka mir mit diebischem Vergnügen, daß er im Süden Frankreichs - war es an der Cô te d’Azur? - während eines Galeriebesuches eines seiner eigenen Aquarelle an das Ende der Ausstellungsreihe gepinnt habe - "und bei einem späteren zweiten Besuch war es immer noch dort an der Wand", freute er sich.

Bilder der Erinnerung. Drei höchst unterschiedliche Bilder waren es, die er mir im Laufe der Jahre zu verschiedenen oder auch gar keinen Anläßen schenkte. Sie zeigen, wie vielfältig seine eigenen Interessen und auch seine Einfühlsamkeit in die anderer sind:

Das erste Bild - eine gestochen scharfe schwarz-weiß Aufnahme des Ziviljustizgebäudes - hatte er aus Lust und Laune von einem Berufsfotografen machen lassen, damit "wir endlich eine ordentliche, aktuelle Aufnahme" hätten. Dies war es natürlich nicht allein. Es war "sein" Gerichtsgebäude. Flure, Säle, die Grundbuchhalle - er hat sie geprägt, sich um ihren Zustand gesorgt, sie mit Bildern versehen, von einem funktionierenden Informations- und Leitsystem geträumt. Ansehnlich sollten sie sein, die Gerichte. Ansehnlich nicht einer abstrakten Würde oder gar richterlichen Geltungsdranges wegen, sondern, damit die Menschen sich ihnen nähern und in ihnen verweilen konnten, sich aufgenommen fühlten und sahen, daß man sich hier mit den Dingen der Welt befaßt.

Das zweite Bild ist eine Illustration aus der Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegel. Zwanzig dieser Abbildungen hatte Roland Makowka vergrößern und rahmen lassen, um sie im Durchgang zwischen Alt- und Neubau aufzuhängen. Vorrangig war dabei nicht rechtshistorisches Interesse oder etwa pädagogischer Impetus, vielmehr die Freude, über die schönen Bilder und über die lebendige, volksnahe Darstellung von Rechtssätzen. Nicht umsonst gehörte er einer Kommisson an, die sich mit der Vereinfachung der Rechtssprache beschäftigte.

Das dritte Bild brachte er aus Taiwan mit und schenkte mir eine Reproduktion: Es zeigt ein Gemälde der Künstler Au Ho-nien und Li Chi-mao. Die zugrundeliegende Begebenheit faszinierte Roland Makowka: Eines Tages passierte der Kaiser Wen aus der Han-Dynastie (179-163 B.C) mit zahlreichem Gefolge eine Brücke. Plötzlich kam ein Mann unter der Brücke heraus und erschreckte das Pferd des Kaisers. Der Mann, der damit das Gesetz verletzt hatte, wurde ins Gefangnis geworfen und vor Gericht gestellt. Das Gericht beurteilte den Fall als von minderer Schuld. Der Kaiser war zunächst darüber ungehalten. Der Richter Chang belehrte den Kaiser, daß die Gesetze sorgfältig ausgeführt werden müßten und vor dem Gesetz alle gleich seien, sogar der Kaiser. Da war es Wen zufrieden.

Bilder standen auch am Beginn meiner Bekanntschaft mit Roland Makowka, die Freundschaft zu nennen anmaßend wäre. Es muß in den ersten Jahren seiner Amtszeit als Landgerichtspräsident gewesen sein, als es unter Landrichtern noch üblich war, den Präsidenten in olympischen Höhen Präsident sein zu lassen. Eines Tages bat mich der Präsidialrichter Schumann, dem Präsidenten bei der Ausgestaltung des Raumes 583 zu Repräsentationszwecken behilflich zu sein. Leicht befremdet über diesen so undienstlichen Wunsch, aber voller Neugier ging ich zur bestellten Zeit an den Tatort. Es waren einige Bauhandwerker und Justizbehördenmitarbeiter anwesend - und Roland Makowka. Hätte ich ihn damals schon gekannt, wäre alles kein Problem gewesen. Ich hätte mich nach kurzer Begrüßung dem Raum und den Handwerkern zugewandt und das Nötige besprochen. Ich befand mich jedoch in einer seltsamen Befangenheit angesichts der Tatsache, daß von mir offenbar erwartet wurde, für den schweigend neben mit stehenden Präsidenten, der nur gelegentlich an seiner Zigarette zog und nickte, derartige Gespräche zu führen. Zunehmend wurde mir klar, daß er keineswegs fand, seine Kompetenzen würden dabei verletzt.

Die Auswahl des Bilderschmuckes und die Organsation der Beschaffung und der dazu erforderlichen Einwerbung von Mitteln für Bilderrahmen überließ er mir. So kam es zu der kleinen Sammlung von Bildern der Gerichtsgebäude in Hamburg und später zu einem langen Aufsatz darüber.

Das Maß an Selbständigkeit, das Roland Makowka jedem einräumte, der für ihn Aufgaben erfüllte, habe ich später noch oft erfahren - und auch die Unterstützung und Solidarität, die er damit stets verband, auch wenn etwas daneben ging.

Eigenartig fand ich damals die Bitte, ihn wegen des Raumes 583 zu unterstützen - soetwas war nach meinem Vorstellungsbild Sache der Justizverwaltung und keine richterliche Angelegenheiten. Weit gefehlt. Ich lernte von Roland Makowka: Es gibt nichts, was nicht unsere eigene Sache ist, daß außerhalb der Routineangelegenheiten nichts geht ohne eigene Initiative, ohne Ziel, und manchmal eine gewisse Skrupellosigkeit im Umgang mit bürokratischen Formen nötig ist.

Als Roland Makowka mich bat, die zweiten Hamburger Justiztage zu koordinieren, sagte ich ohne weiteres zu. Für gewöhnlich bittet er um nichts direkt: Wenn er es dennoch tut, gibt es keine Wahl für die, die er einmal eingefangen hat.

Sein Mut brachte ihn gelegentlich auch in Bedrängnis. Die Restaurierung der Grundbuchhalle war gelungen. Mittel für die Ausstattung der Grundbuchhalle und der angrenzenden Caféteria mit Stühlen und Tischen gab es nicht. Ein Kommunikationszentrum ohne dieses Zubehör war nun aber schwer vorstellbar. So bestellte er in eigenem Namen Möbel im Werte eines halben Richterjahresgehaltes. Zum ersten Mal bat er die Kollegenschaft ausdrücklich um Hilfe. Und sie wurde reichlich gewährt. Ausreichend viele Kollegen erwarben einen Stuhl (DM 250.-) oder einen Tisch (DM 550.-) manche teilten sich ein Möbelstück. Die Spenderliste war beeindruckend. Ebenso verhielt es sich, als es galt, das Künstlern gegebene Versprechen einzulösen, man werde ihre Bilder kaufen, wenn sie sich an einer Ausstellung "Der Mensch im Gericht" beteiligten. Wer das tun sollte, war am Anfang völlig ungeklärt. Auch hier gelang es mit Hilfe vieler Spender, das nötige Geld aufzutreiben.

Ich lernte von Roland Makowka auch: Wer ein Ziel hat und das wirklich auch verfolgen will, ist durch nichts aufzuhalten. Es mag Rückschläge und Verzögerungen, Hindernisse aller Art geben, der entschlossene und realistische Visionär wird sein Ziel erreichen.

Sie alle kennen Beispiele: Der Richteraustausch mit Schweden, Frankreich, Russland und Taiwan, die Veranstaltungsreihe "Kultur & Justiz", zwei Hamburger Justiztage, die Ausgestaltung der Gerichtsflure, die Restaurierung der Grundbuchhalle und ihr Ausbau zu einem Kommunikations- und Veranstaltungszentrum.

Diese Projekte beruhten auf einem Grundgedanken: Die Persönlichkeit der Richter kann nur dann als prägendes Element der dritten Gewalt wirken, wenn sie sich aus den Fesseln der eigenen Biographie, der eigenen, begrenzten Erlebniswelt löst und auf die Suche geht nach Neuem, nach Anderem, immer voller Neugier auf das Leben in seinen Ausprägungen. Wie sonst könnte der Richter, die Richterin, Gesprächspartner sein für die Rechtssuchenden? "Der Richter zwischen Topmanager und Beichtvater" beschreibt Roland Makowka sein Richterbild. Kein Zweifel besteht daran, daß er trotz Verwendung der männlichen Form gerade auch Richterinnen in seine Vorstellungen vom neuen Richterbild einbezieht.

Den kritischen Graphiker Klaus Staeck einzuladen, um seine Werke auszustellen, war Mitte der Achtziger Jahre auch in der Hamburger Justiz ein Wagnis. Roland Makowka fand aber, das müsse sein und unterstützte die Idee des Arbeitskreises "Kultur & Justiz". Es war ein beeindruckendes Bild: Die damals noch unrenovierte Grundbuchhalle war mit Wäscheleinen ausgestattet worden. Daran hingen die Plakate. "Bibliotheken sind eine Brutstätte des Geistes" hieß es da, und: "Die Mietsache (die Erdkugel) ist unbeschädigt zurückzugeben" und "Arbeiter, die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen"................

Die Gesamtheit der Bilder um Roland Makowka wäre nicht vollständig, ließe man die Szenen aus, in denen er vor einem gebannt lauschenden Auditorium sprach. Ich sehe viele der sogenannten Richterbierabende des Landgerichts im Januar jeden Jahres vor mir, deren Schauplatz in den letzten Jahren die schöne, weite Grundbuchhalle war. Hier trug er die launigen Szenen aus dem Justizleben vor, in denen er Streifzüge durch die Gerichtsgebäude unternahm und seine wahren oder phantasierten Begegnungen sarkastisch, ironisch, liebevoll skizzierte. Mancher bekam sein Fett weg. Im Plenarssaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts, während seiner gefürchteten Attacken gegen die Politik im Rahmen der Mitgliederversammlungen des Hamburgischen Richtervereins, waren es die schärferen Töne. Immer wieder beschwor er die richterliche Unabhängigkeit. Er selbst lebte sie jederzeit vor. Launig oder scharf, Roland Makowkas Reden waren stets auf den Menschen gerichtet, auf das Bild des Richters und der Richterin, auf die Nöte der Geschäftsstellenmitarbeiter, auf die Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft. Er verstand es, ein Gefühl wechselseitiger Verantwortung aufkommen zu lassen. Mit Kritik sparte er dabei nicht:

Ihn störte vieles. Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit der Richter gegenüber dem Schicksal der Betroffenen ebenso wie die Nichtbeachtung der Sorgen des nichtrichterlichen Dienstes. Ihn störte die nach seiner Beobachtung zunehmende politische Anpassung der Richterschaft, die sich nicht zu geduckten Aktenerledigern degradieren lassen dürfe. "Die Unfähigkeit des Richters zur Rebellion", das hätte er sich gewünscht als Titel für ein kritisches Justizbuch. Die Gewaltenteilung ist für ihn ein Verfassungsprinzip, das erst im Alltag Leben und Kontur erhält. Richter und Staatsanwälte haben außer ihrem Amt im engeren Sinne auch eine soziale Verantwortung. "Wer hätte denn mehr ein Recht zu sagen, was er denkt, als der unabhängige Richter......", liest man bei Roland Makowka.

In diesem Sinne haben wir immer versucht, das Mitteilungsblatt des Richtervereins zu gestalten. Auch und gerade wenn der Protest der von unseren Artikeln getroffenen Mächtigen stark war, hat Roland Makowka uns unterstützt und selbst dagegengehalten. Auch dies ist eines der Bilder meiner Erinnerung.

Dort wo Mut gefordert ist, muß ein Richter ihn aufbringen und Zivilcourage üben gegenüber den Mächtigen, auch wenn er lieber in Gelassenheit und Harmonie lebte. Dies war eine der behutsam vermittelten Botschaften Roland Makowkas. Gefordert hätte er diese Courage selten ausdrücklich, aber enttäuscht war er immer, wenn sie fehlte.

Die bewegensten Bilder um Roland Makowka haben mit menschlichen Begegnungen zu tun, kleine Begebenheiten manchmal nur, in denen ein großes Gefühl von Gemeinsamkeit entstand. Wir konnten sie auf unseren Reisen zu Kollegen in andere Länder und bei deren Besuchen in Hamburg erleben. Mir ist der Schlußabend der Zweiten Hamburger Justiztage, der 22. Mai 1992, in solcher bildhaften Erinnerung. Das Fest in der Grundbuchhalle war zu Ende gegangen. Die erleichterten Organisatoren fanden sich in Raum 583 zusammen. Die Tür ging auf und herein strömten die Mitglieder des aus Lund eingeladenen schwedischen Studentenchores. Sie waren gerührt über die Einladung, über das Fest, über das Publikum; sie waren, wie wir auch, glücklich und müde und ein bißchen sentimental wegen des Weines - kurzum, sie wollten vor lauter Rührung nicht nach Hause fahren, ohne "ihrem Roland" noch ein Ständchen gebracht zu haben. Und das taten sie dann auch. Im Halbkreis um ihn stehend, sangen sie ein herzzerreißend trauriges Lied. Und wir stimmen heute leise ein.

Karin Wiedeman