Anfang des Jahres stieß ich hier im Strafjustizgebäude auf ein Plakat, mit dem die o.g. Gruppe zu einer Tagung "Gewalt in Deutschland - Gewalt aus Deutschland" nach Potsdam lud, wobei mir schon aus einiger Entfernung das Emblem des markigen (vermutlich schwarz-berobten) Raketentreters ins Auge sprang und mir die "Friedensdiskussion" in Erinnerung rief, die auch den Hamburgischen Richterverein im Herbst 1983 wiederholt und heftig bewegt hatte:
(in der Papier-MHR steht hier das Emblem)
Auch anläßlich einer Veranstaltung bei uns zur "Wendezeit" (vgl. "Erinnerung an einen Dialog" MHR 2/91) und schließlich auch während des Golfkrieges (vgl. "Der abgesagte Juristenball" MHR 1/91) hatte es jedenfalls thematisch wieder ein kleines Hin- und Herüber zu den "Friedenskollegen" (um mich nur der Kürze und Schreibbarkeit wegen diese Abbreviatur zu bedienen) gegeben. Sonst waren sie mir persönlich aus dem Blick geraten, so daß erwähntes Plakal mich auf die Idee brachte, den dort mitunterzeichnenden Hamburger Kollegen Bernd Hahnfeld zu bitten, uns seine Gruppe vorzustellen. Ich möchte daran erinnern, daß wir früher - wohl in den 70er Jahren - einmal den Ehrgeiz entwickelt hatten, unterschiedliche politische und auch andere juristische Gruppen, jeweils aus deren eigener Feder ("fremde Federn") im Mitteilungsblatt zu Worte kommen zu lassen. Das war dann, ohne zum Ende gekommen zu sein, eingeschlafen. Unsere Bitte an Bernd Hahnfeld war also zugleich ein Wiederaufgreifen alter Vorsätze.
In einem Brief vom April d.J., mit dem ich Bernd Hahnfeld bat, für uns etwas zu schreiben, hatte ich versucht, jedenfalls anzudeuten, weshalb das Thema jetzt - zur Mitte des Jahres 1994! - wieder besonders interessant sein könnte:
"... Der Golfkrieg 1991 und sein innenpolitisches Drum und Dran bei uns haben Fragen an die pazifistischen Freunde aufgeworfen (siehe dazu Biermann, Enzensberger pp.). Mit der Moral war alles jedenfalls etwas komplizierter, als es 1983 noch den Anschein haben mochte. Daß dann zumal die Balkankrise (und nicht nur sie!) alle Fragen verschärfen mußte und zugespitzt hat, tritt noch hinzu. Aber ich will Sie (Sie persönlich und als Gruppe) durch meine Fragen nicht auf Standpunkte festlegen, die Sie vielleicht gar nicht, oder "nicht s o " vertreten. Ist es vielleicht überhaupt nicht so sehr dieser oder jener (beschreibbare) Standpunkt, der Sie zusammenfügt und - bindet, als vielmehr Ihre (sozusagen "gruppendynamische") gemeinsame Geschichte? Daß man gemeinsam demonstriert und vieles erlebt hat, so daß nicht das "Thema" sich die Gruppe, sondern die Gruppe sich ihr Thema - mit der Zeit wechselnde Themen - sucht?"
Herr Hahnfeld hat sich unserer Bitte freundlicherweise nicht verschlossen, sich vielmehr die Mühe gemacht, ausführlich zu schreiben - nein: er selbst würde "ausführlich" kaum gelten lassen: "... Habe die wichtigsten Ereignisse so knapp wie möglich zusammengefaßt. Bitte keine Kürzungen ohne meine ausdrückliche Zustimmung vorzunehmen ..." Wir haben - selbstverständlich! - nicht eine Silbe fortgelassen, danken dem Verfasser herzlich und möchten die Aufmerksamkeit unserer Leser nunmehr auf den folgenden Beitrag lenken.
Günter Bertram
Für den Frieden - Zu Recht werden wir gefragt: Wer ist das nicht? Nicht allen hat diese innere Einstellung ausgereicht. Einige haben sich entschlossen, politisch sichtbar Zeichen zu setzen, Zeichen des Protestes gegen Hochrüstung und Vernichtungsstrategien. Welchen Anteil sie letztlich an der friedlichen Auflösung der Blockkonfrontation und an dem Abbau der größten und gefährlichsten Waffenanhäufung der Menschheitsgeschichte haben, werden vielleicht einmal Historiker feststellen. Wahrgenommen worden sind die zahllosen Friedensaktivitäten in unserem Land und weltweit auf jeden Fall. Positionen und Forderungen, für die früher die Friedensbewegung als wirklichkeitsfremd beschimpft wurde, werden heute wie selbstverständlich in der Politik und in den Medien vertreten.
Für 443 RichterInnen und StaatsanwältInnen begann es mit einer namentlich unterschriebenen Anzeige in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 10.12.82 mit der Überschrift "Keine neuen Atomwaffen in Europa - Schluß mit dem Wettrüsten".
Der folgende 6. Richterratschlag in Gießen im April 83, der eigentlich einem anderen Thema gewidmet war, befaßte sich spontan in einer großen Arbeitsgruppe mit der Frage, ob und gegebenenfalls was wir Justizjuristen zum Protest gegen die sogenannte Nachrüstung mit weiteren und wirksameren Nuklearwaffen beitragen könnten. Nach kontroverser Diskussion wurde beschlossen, am 4.6.83 in Bonn das 1. Friedensforum der "Richter und Staatsanwälte für den Frieden" zu organisieren. Zu diesem kamen ca. 450 KollegInnen aus dem ganzen Bundesgebiet.
In der Beethovenhalle verabschiedeten sie fast einstimmig einen Aufruf an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, in dem die beabsichtigte Stationierung weiterer Atomwaffen als völkerrechts-und verfassungswidrig bezeichnet und an die Bundestagsabge-ordneten appelliert wurde, die Stationierung zu verhindern.
Zudem wurde aufgefordert, die zu erwartenden vielfältigen Formen gewaltlosen Widerstandes nicht lediglich als Regelverstoß zu bewerten.
Die Demonstration nach der Kundgebung (ohne Roben, aber mit Spruchbändern!) ist meines Wissens die erste öffentliche Richterkundgebung in der deutschen Geschichte - wenn man von der öffentlichen Begrüßungsveranstaltung der deutschen Richterschaft bei Hitlers Machtergreifung einmal absieht. Das Aufstellen der nuklearen Pershing II und cruise missiles in der Bundesrepublik hat das Bonner Friedensforum allerdings ebensowenig wie der millionenfache Widerstand der Bevölkerung verhindern können.
Der "massenhafte" Protest auch der RichterInnen
und StaatsanwältInnen begann bundesweit mit der Nachrüstungsdebatte
und setzte sich in den folgenden Jahren fort durch zahlreiche dezentrale
Aktivitäten, darunter die berühmt gewordene Lübecker Zeitungsanzeige
von 35 Richtern und Staatsanwälten des Landgerichtsbezirks Lübeck
gegen die Raketenstationierung in den "Lübecker Nachrichten" vom 6.8.83,
die Justizpolitiker und Gerichte jahrelang beschäftigen sollte. Neben
Zeitungsanzeigen wurden einschlägige Aufsätze veröffentlicht,
Informationsveranstaltungen und Informationsstände organisiert, Kontakte
zu anderen Friedens-
initiativen geknüpft pp.
Die menschen- und grundgesetzwidrige Planung selbstmörderischer Verteidigung durch Massenvernichtungswaffen und das geltende Militärplanungsrecht waren die Themen des 2. Friedensforums in Kassel am 15./16.11.85, an dem unter Beteiligung internationaler Juristen und mit einem großen Medienecho ca. 500 RichterInnen und StaatsanwältInnen teilnahmen. Die Ergebnisse dieses Forums sind in einem Buch dokumentiert worden. In einer differenzierten Auseinandersetzung mit den einschlägigen Gesetzesvorschriften hat das Forum insbesondere das undemokratische, Umweltschutz und Bürgerbeteiligung mißachtende Militärplanungsrecht kritisiert.
Wiederum auf einem Richterratschlag entstand nach langwierigen Diskussionen der Plan einer Gruppe von Ratschlägern, als "Richter und Staatsanwälte für den Frieden" in Mutlangen vor dem dortigen Pershing II-Stationierungsort sitzend zu demonstrieren. 20 KollegInnen fanden sich bei Sonnenschein, aber eisiger Kälte am 12.1.87 zusammen und "blockierten" zwei Stunden lang die Zufahrtskreuzung zu dem Raketenstandort. Festnahme und die Einleitung von Straf- und Disziplinierungsverfahren waren die erwartete Folge - aber auch viele ermutigende Briefe aus der Bevölkerung. Etwas enttäuschend war, daß in den zahlreichen Medienberichten und politischen Stellungnahmen nicht unser eigentliches Anliegen - die lebensvernichtende und völkerrechtswidrige Nuklearrüstung - sondern fast ausschließlich und sehr kontrovers die Frage erörtert wurde, ob ein solches Verhalten mit dem Richteramt vereinbar ist.
Eine Unterstützerkampagne unter Richtern und Staatsanwälten brachte 504 Unterschriften unter eine Zeitungsanzeige, in der Respekt vor dem Verhalten der "Blockierer" bekundet und der Blick auf die in unserem Land stationierten Massenvernichtungswaffen gerichtet wurde. Diese Anzeige wiederum zog in einigen Bundesländern Disziplinarverfahren gegen die Unterzeichner nach sich.
Weitere weniger spektakuläre Aktivitäten folgten, darunter die Reise von 30 norddeutschen RichterInnen in die DDR im Mai 87, auf der (unter Aufsicht!) erstmalig Kontakte zwischen west- und ostdeutschen Juristen hergestellt und Gespräche mit Funktionären und Politikern sowie Vertretern der ostdeutschen (staatlichen und kirchlichen) Friedensbewegung geführt werden konnten.
Die Gefahren der - nicht zu trennenden - zivilen und militärischen Nuklear-Nutzung, insbesondere die geplante Erzeugung des weltweit gefährlichen Giftes Plutonium in der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, veranlaßte uns, im benachbarten Schwandorf im April 88 wiederum mit internationaler Beteiligung ein 3. Friedensforum zu veranstalten, an dem ca. 500 RichterInnen und StaatsanwältInnen teilnahmen. Einstimmig sprachen sich die Versammelten dafür aus, den Weg in eine nuklearfreie Zukunft zu ebnen und den Verzicht auf jegliche militärische nukleare Option in der Verfassung zu verankern sowie sich für wirksame Abrüstungsschritte einzusetzen.
Der Golfkrieg führte die "RichterInnen und StaatsanwältInnen für den Frieden" mit anderen Juristen zusammen. In mehreren überregionalen Zeitungen wurde im Februar 91 eine ganzseitige Anzeige aufgegeben, in der 1.118 namentlich benannte UnterzeichnerInnen "Schluß mit dem Golfkrieg" forderten. Der Militäreinsatz wurde als unverhältnismäßig und damit als völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen bewertet. Die USA und die Alliierten wurden aufgefordert, entsprechend der Resolution Nr. 678 des UN-Sicherheitsrates sich auf Sanktionsmaßnahmen unterhalb des Einsatzes von Streitkräften zu beschränken. Zahlreiche Veröffentlichungen und örtliche Informationsveranstaltungen folgten, darunter am 9.3.91 in Bonn unter Teilnahme von ca. 300 Personen ein Juristenforum. Auf diesem wurde ein Appel an die Bundesregierung (und die UNO) verabschiedet, künftig internationale Konflikte nur noch mit friedlichen Mitteln zu schlichten, jeglichen Export von Waffen und Waffentechnologien zu verbieten und weitergehende Einsätze der Bundeswehr nicht grundgesetzlich zuzulassen. Kritisiert wurde die Einschränkung der Informationsfreiheit auch in der BRD durch Zensur der Berichterstattung über die vernichtenden und zerstörerischen Auswirkungen militärischer Einsätze.
Das nach der Vereinigung Deutschlands starke Anwachsen fremdenfeindlicher Ausschreitungen und Mordanschläge führte auf dem 18. Richterratschlag in Biberach am Oktober 92 zu Diskussionen, ob und in welcher Weise wir Justizjuristen politisch Stellung beziehen sollten. Im Ergebnis wurden ein Aufruf gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, eine bundesweite Mahnwachenaktion und ein 4. Friedensforum zu den Themen "Gewalt in Deutschland - Gewalt aus Deutschland" beschlossen. Die "5 nach 12" am Buß- und Bettag 92 bundesweit an etwa 18 Orten vor Asylbewerber-Heimen gleichzeitig durchgeführten Mahnwachen von RichterInnen und StaatsanwältInnen fanden ein breites Echo in regionalen und überregionalen Medien. Aufgerufen haben wir zum Schutze des Rechtes auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Ausländer, gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit und zur konsequenten Anwendung des Strafrechts gegen die Täter.
Zu dem folgenden 4. Friedensforum in Potsdam im Januar 94 kamen nur noch etwa 200 Teilnehmer, meist KollegInnen, die sich von früheren Aktivitäten bereits persönlich kannten, so daß trotz aller sachkundigen Diskussion die Atmosphäre beinahe familiär war. Die Beiträge werden in Buchform veröffentlicht werden.
Zwölf Jahre Friedensinitiative "RichterInnen und StaatsanwältInnen für den Frieden" sind ein erstaunliches und weltweit wohl einmaliges Phänomen. Es hat den Anschein, daß den "rebellischen" oder auch nur einfach nachdenklichen RichterInnen und StaatsanwältInnen die Themen nicht ausgehen werden. Die Gruppe ist offen. Jeder, der sich aktiv für Frieden und Abrüstung, für Verständigung und soziale Gerechtigkeit einsetzen möchte, ist herzlich zum Mitmachen eingeladen.
Nachzutragen bleibt, daß sich ebenfalls seit 82 in Hamburg eine kleine Initiative "Hamburger Juristen für den Frieden" hält, die sich unregelmäßig trifft, diskutiert und gelegentlich Veranstaltungen durchführt.
Bundesweit mit 200 Mitgliedern und international in über 20 Ländern gibt es seit 1988/89 die IALANA (International Association of Lawyers Against Nuklear Arms), die Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen, einen eingetragenen gemeinnützigen Verein. Bei den regelmäßigen und arbeitsintensiven Treffen befassen sich Vorstand und Mitglieder derzeit mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen für sog. "Blauhelm-Einsätze", mit geplanten Verfassungsänderungen, mit der fortdauernden Stationierung von Atomwaffen in Deutschland und mit den unten genannten Themen der internationalen IALANA. IALANA gibt eine Schriftenreihe heraus und hat zu der beabsichtigten Verfassungsänderung einen Vorschlag zur Neufassung der den Frieden und die Verteidigung betreffenden Verfassungsbestimmungen vorgelegt.
International strebt IALANA eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag über die Frage der Völkerrechtswidrigkeit der Androhung und des Einsatzes von Nuklearwaffen an, ein internationales Abkommen über die Reduzierung und letztlich Abschaffung des internationalen Waffenhandels, die Fortsetzung und Verbesserung des NPT (Atomwaffensperrvertrages) sowie die weltweite Stärkung des Völkerrechts zur nichtmilitärischen Konfliktschlichtung.
Bernd Hahnfeld