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Frauen in der Justiz

Unter diesem Titel ist in der DRiZ 11/92 (431 ff.) eine empirische Untersuchung über Situation, Karriere und Chancen von Berufskolleginnen vorgestellt worden - in einer Kurzfassung auf 7 Seiten, während der vollständige Bericht über 400 Seiten füllt. Wer das in der DRiZ gelesen hat, konnte sich vielleicht in seiner Meinung bestätigt fühlen, daß die Justiz insgesamt - unbeschadet zahlreicher Probleme im einzelnen - ein ziemlich fairer Betrieb ist und daß diese Tatsache von erfreulich vielen Kolleginnen auch honoriert und anerkannt wird. Wenn aus anderen Bereichen unserer Gesellschaft lautere und zahlreichere Klagen ins Ohr der Öffentlichkeit dringen, so liegt das - könnte man meinen - daran, daß die Frauen dort auch wirklich mehr Grund und Anlaß zum Klagen haben. So mag sich ein Kopf die Welt zusammenreimen; aber diese Lesart ist keineswegs die einzig mögliche. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des Informationsblatts des Deutschen Juristinnenbunds und der Autorin drucken wir einen Kommentar aus der Feder von Hildegard Becker-Tousaint ab, der das zeigt. Vielleicht provoziert er Applaus oder Widerspruch; für beides stünden die Spalten des MHR offen.

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Frauen in der Justiz
Selbsteinschätzung von
Richterinnen und Staatsanwältinnen

- Einige überraschende Ergebnisse einer groß angelegten empirischen Untersuchung im Auftrag des Bundesjustizministeriums -

1988 wurden insgesamt ca. 2.000 Richterinnen und Staatsanwältinnen (sog. "Vollerhebung") u.a. zu folgenden Themen schriftlich befragt: Berufssituation, beruflicher Werdegang, Karrierechancen und -wünsche, Frauenförderung, Verbindung Beruf und Familie, Zufriedenheit.

Die Studie wurde vor ca. sechs Monaten fertiggestellt und bisher wenig diskutiert. Die Ergebnisse sind teilweise überraschend und für viele Mitglieder unseres Verbandes auch eher enttäuschend zu nennen.

Wir sollten uns ernsthaft damit auseinandersetzen, denn sie wirft ein Licht auf die subjektiven Einstellungen der Frauen, die für den Erfolg aller gesetzlichen Gleichstellungsbemühungen von Bedeutung sind.

Die Untersuchung macht deutlich, daß nicht nur objektive, d.h. von außen kommende Umstände eine faktische Gleichstellung der Frauen verhindern. Klar wird, wie sehr auch subjektive Schranken in den Köpfen der Frauen die Emanzipation hindern. Ihre Erkenntnis führt hoffentlich dazu, daß sie eines Tages überwunden werden.

Zumindest zum Zeitpunkt der Untersuchung 1988 zeigt sich, wie wenig sich Frauen - meine Ausführungen beschränke ich auf die Aussagen über die Richterinnen und Staatsanwältinnen - noch von den tradierten Rollenklischees in der Arbeitswelt und in der Partnerbeziehung lösen können. Sie sind vielmehr durchschnittlich mit dem Platz und der Bedeutung zufrieden, die ihnen freiwillig von der Männergesellschaft eingeräumt wird. Erstaunlich viel deutet auf eine Bereitschaft hin, sich mit einem eher randständigen, relativ "windstillen" Plätzchen zufrieden zu geben, ohne Aufstiegschancen, aber auch ohne den Druck zur Profilierung und zur Lösung der mit einer Karriere offenbar stets einhergehenden Probleme in der Partnerbeziehung.

Wie setzt sich nun dieses, in diesem Beitrag der Kürze willen überzogen gezeichnete Bild zusammen?

Ganz klar ist: Die Diskussion der Karrierefragen kann nicht losgelöst von den Aspekten der privaten Familienorganisation der Frauen betrachtet werden. Wesentliche Ergebnisse aus diesem Konfliktzusammenhang sind:

1. Karriereambitionen

Ein Drittel (nur) der Richterinnen/Staatsanwältinnen strebt einen beruflichen Aufstieg an. Ein Drittel will explizit nicht, ein Drittel ist (noch?) indifferent. (Ein Drittel dieses Drittels, also ein Neuntel, will Aufstieg und Kinder miteinander kombinieren).

Im zweitgenannten Drittel sind meist Frauen mit Kindern. Hauptgründe für Karriereverzicht: Zufriedenheit mit der derzeitigen Berufsposition, dann: Versorgung der Kinder, Schwierigkeit, das Abordnungsverfahren, wenn mit Ortswechsel verbunden, zu durchlaufen.

2. Frauenbenachteiligung?

Ein Drittel ist überzeugt, daß die Frauen gegenüber männlichen Kollegen benachteiligt werden. Ein weiteres Drittel kann benachteiligende Mechanismen nicht positiv feststellen. Das restliche Drittel weiß von nichts ("Mein Name ist Häsin"... ?).

Das Drittel, das die Benachteiligung bejaht, sieht diese vor allem in der Beförderungspraxis.

3. Naivität oder der fromme Glaube an die Gerechtigkeit

Die Mehrheit der Frauen - frau höre und staune - gelangt zu dem Urteil, daß es derzeit fachliche Qualifikationen und Leistung

sind, die den Aufstieg in der Justiz wesentlich bestimmen. Selten seien Geschlecht, Zufall und Glück wichtig. Der Einfluß der Frauenförderung wird als gering angesehen (letzteres dürfte sich aufgrund der öffentlichen Diskussion verändert haben seit dem Befragungszeitpunkt).

Anders denkt allerdings das Drittel, das (s.o.) in der Justiz eine frauenbenachteiligende Umgebung sieht: Sie glauben nicht an soviel Gerechtigkeit und die Reinheit des Leistungsprinzips. Vielmehr gehen sie davon aus, daß auch Geschlecht, Bekanntheit, Empfehlungen und Frauenförderung Einfluß auf die Karriere haben.

4. Familienbild - Verhältnis der Geschlechter

Ein erstaunlich konservatives Bild bietet sich, wenn man die Verteilung der Familienarbeit anschaut. (Hier deutet sich eine Wiederholung der bekannten Ergebnisse der Brigitte-Studie "Männer" von 1985 an, die u.a. zu Tage brachte, daß kaum ein Ehemann Einwände dagegen hatte, selbst eine Waschmaschine zu bedienen, aber fast keiner hatte sie je bedient...).

Bei den Juristinnen erledigen denn auch trotz voller Berufstätigkeit beider Partner die Frauen 2/3 der Hausarbeit. Die Männer erledigen nicht etwa den Rest. Nein: Das Restdrittel "teilen" sich Haushaltshilfen und Ehemänner/Partner.

Soweit die Frauen (immerhin 2/3) wünschen, von der Hausarbeit weiter entlastet zu werden, wollen sie lieber eine Übertragung auf "Externe", der Partner soll also geschont werden.

Wie sieht es nun mit der Karrierepriorität innerhalb der Partnerschaft aus? Hier erstaunt, daß die Frauen auch bei Kinderlosigkeit fast nie ihre Karriere als vorrangig einschätzen. Explizit räumt fast ein Viertel dem Mann den Vorrang ein, 3/4 sind unentschieden. Von den Frauen mit Kindern gibt fast die Hälfte der männlichen Karriere den Vorzug.

Die jungen Frauen erwarten mit der Geburt eines Kindes gravierende Veränderungen in ihrem Berufsverlauf (zu Recht!). Für den Ehemann erwarten sie dagegen keinerlei berufliche Konsequenzen.

Vor einer Veränderung im herkömmlichen Familienbild und in der tradierten Rollenzuweisung schrecken offenbar viele zurück.

So wollen kaum Frauen das Experiment einer außerhalb der Familie delegierten Erziehung eingehen: Nur ca. 12 % fordern eine Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung, einschließlich: Kinderbetreuung am Arbeitsplatz. Sie haben sich offenbar mit ihrem Los abgefunden, obwohl sie unter der Doppelbelastung leiden: dauernder Zeitdruck, kaum Freizeit, ständige psychische Belastung wegen schlechten Gewissens der Kinder wegen...

Soweit einige Schlaglichter aus der 400 Seiten starken Untersuchung, die viele von uns als Befragte mitgemacht haben. Die geschilderten Befunde sollten uns erstaunen und zur Diskussion anregen. Ich kann aus Platzgründen leider nicht auch alle diejenigen Aussagen in der Studie schildern, die das oben skizzierte, eher passiv-konservative Bild der Richterinnen und Staatsanwältinnen relativieren würden.

Aber als Ausklang sollen doch noch einige ermunternde Ergebnisse mitgeteilt werden:

Die Frauen haben immerhin durchweg beobachtet, daß sich zwar die Einstiegs- nicht aber die Aufstiegschancen in der Justiz seit den 80er Jahren verbessert haben, also: daß das weibliche "Fußvolk" mehr wird, die Spitze aber männlich bleibt.

Nicht einmal die Arbeitsbedingungen für Mütter sehen sie als verbessert an.

Gefordert wird:

· Höhere Beteiligung von Frauen an Personalentscheidungen,

· Verbesserung der Informationspolitik über persönliche Karriereplanung,

· Änderung der Abordnngspraxis für Frauen mit Kindern (kein Ortswechsel),

· Frauenförderung durch eine Verkoppelung des Leistungsprinzips mit einer Quotenregelung.

Renate Jäger war für den DJB, und ich für Hessen im sog. "Beirat", einem Gremium, das die wissenschaftliche Untersuchung begleitet hat. Wir haben uns mit dem 400 Seiten starken Werk redlich gequält, bitte lesen Sie aber zumindest die Kurzfassung und dann: weiter kämpfen - zu Hause und am Arbeitsplatz.

Hildegard Becker-Toussaint