(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/10, 7) < home RiV >

Vom „Law made in Germany“ zur „Justice made in English“

 

- Was ist gut an Englisch

als Verhandlungssprache? -

 

Justizpolitiker und Verbandssprecher fordern seit einiger Zeit, dass vor deutschen Gerichten auch auf Englisch verhandelt werden kann. Damit wollen sie den Justizstandort Deutschland attraktiver machen und Prozesse in Handelssachen von internationaler Bedeutung verstärkt an deutsche – staatliche – Gerichte ziehen. Das soll nämlich bisher auch daran scheitern, dass ausländische Parteien den in deutscher Sprache geführten Verhandlungen nicht unmittelbar folgen können, während sie Englisch als die „lingua franca“ des globalisierten Handels beherrschen oder doch verstehen. Deshalb, so die Hypothese, wichen viele auf britische oder amerikanische Gerichte oder auf Schiedsgerichte aus bzw. scheuten sie die Vereinbarung deutscher Gerichte als international zuständig. Das wiederum stehe der Anwendung materiellen deutschen Rechts – „Law made in Germany“ – entgegen und lasse interessante und auch gebührenträchtige Prozesse außerhalb der deutschen Grenzen. Daher ist vor einiger Zeit durch Hamburg und Nordrhein-Westfalen mit gewisser Euphorie der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG)[1] – das keinen anderen Zweck verfolgt, als die Prozessbeteiligten Englisch sprechen zu lassen – erarbeitet und vorgestellt worden, der inzwischen in den Bundesrat eingebracht worden ist[2].

 

Mein nachstehender Beitrag will ansatzweise beleuchten, ob die vorangestellte Bedarfsanalyse zutrifft, ob die Einführung von Englisch als Verhandlungssprache dem angenommenen Missstand abhilft, ob und wie dies geschehen kann, ohne tragende Grundsätze unseres Verfahrensrechts zu verletzen, und welche organisatorischen und personellen Voraussetzungen zu schaffen wären. Dass ich dabei Wermutstropfen in die KfiH-Auslese gieße, kann ich nicht vermeiden – auch nicht angesichts der Tatsache, dass ich an dem Entwurf mitgearbeitet habe. Wie manch anderem Teilnehmer ging es mir darum, politisch offenbar längst beschlossene Absichten zumindest praktikabel und an unserem Prozess- und Gerichtsverfassungsrecht orientiert zu gestalten.

 

Um welche Rechtsfälle geht es?

Vernünftigerweise beschränkt sich die Initiative auf bestimmte „Handelssachen“ im Sinne von § 95 Abs. 1 GVG. Vorwiegend wird es um Konflikte aus „grenzüberschreitenden“ beiderseitigen Handelsgeschäften (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG) gehen, auch gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (§ 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG) kommen durchaus in Betracht. Nach dem Bekenntnis der Initiatoren sollen Prozessparteien, von denen zumindest eine ihren Sitz im Ausland hat, davon überzeugt werden, im Streitfall deutsche Gerichte anzurufen, eventuell indem diese bereits im Vertrag oder doch vor Prozessbeginn als zuständig vereinbart werden. Natürlich soll außerdem, soweit zulässig, materielles deutsches Recht gewählt werden – sonst geriete man ja in Konflikt mit dem Komplementärziel „Law – made in Germany“. Die KfiH wird also in Anwendung deutschen Prozess- und Sachrechts, aber zur Erhöhung ihrer Attraktivität auf Englisch verhandeln.

 

In Frage stellen kann man vorab, ob es sich wirklich so verhält, wie die Befürworter annehmen. Gewiss werden Prozesse, die auch vor deutsche staatliche Gerichte gebracht werden könnten, vor angelsächsischen Gerichten oder vor Schiedsgerichten, und dann auch in Englisch verhandelt. Gewiss werden – wie aber auch umgekehrt – in internationalen Verträgen deutsche Gerichte nicht prorogiert oder sogar derogiert. Empirische Untersuchungen darüber, dass dies gerade wegen der Gerichtssprache geschieht, fehlen jedoch. Auch wenn die eine oder andere ausländische Partei oder ihr Anwalt ein verständliches Missbehagen wegen der für sie fremden Rechtssprache empfinden und dies auch geäußert haben mag: im Grunde beruft man sich auf unbestimmte Eindrücke. Auch ich habe vereinzelt von ausländischen Schiedsgerichtsparteien gehört, die verlangt haben, dass das Schiedsgericht Englisch spricht – daraus lässt sich aber kein zuverlässiger Schluss auf ein verbreitetes Bedürfnis ziehen.

 

Das Verständigungsproblem beschränkt sich ferner – jedenfalls in der Praxis der Hamburger Kammern – auf die mündliche Verhandlung. Die Hamburger Kammern für Handelssachen sind längst Kammern für internationale Handelssachen, nicht nur aufgrund der Konflikte, die vor ihnen ausgetragen werden, sondern auch wegen der Sprache und wegen des anzuwendenden Rechts. Es gehört zum richterlichen Alltag, dass Vertragsdokumente, vorgerichtliche Korrespondenz und sonstige Anlagen bis hin zu Sachverständigengutachten auf Englisch verfasst sind, selbst bei innerdeutschen Rechtsstreitigkeiten. Und nach hiesiger Praxis werden diese Schriftstücke ohne Übersetzung in das Verfahren eingeführt, bewertet und ggf. auch im Original – etwa im Tatbestand – zitiert. Wenn die vorhandenen Sprachkenntnisse im Einzelfall nicht ausreichen oder Zweifel an der richtigen Übersetzung bestehen, wird eben ein (Fach)Wörterbuch – auch das online-Wörterbuch z.B. von LEO – herangezogen. Ist nach deutschem IPR ausländisches Sachrecht heranzuziehen, wird sich die KfH auch damit befassen, notfalls unter Einschaltung des Max-Planck-Instituts für internationales Recht als Sachverständigen.

Zu den Verhandlungsterminen werden im Bedarfsfall, wenn etwa die Prozessbevollmächtigten angekündigt haben, ihre nicht deutschsprachigen Mandanten mitzubringen, Simultanübersetzer beigeladen.

Es verbleibt als Manko, dass sich die Partei unter Umständen nicht unmittelbar mit dem Gericht mündlich austauschen kann, sei es als Zuhörer und Adressat richterlicher Hinweise, sei es im Rahmen der Anhörung nach § 141 ZPO, sei es bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen – ob diese in Englisch aussagen, ist aber ein ganz anderes Thema. Allein diesem Problem müsste und kann die Initiative begegnen; ich halte es für ein Randproblem.

 

Ob der Umstand, bisher vor deutschen Gerichten nicht Englisch sprechen zu können, ins Gewicht fällt, wenn es darum geht, Deutschland als Justizstandort attraktiver zu machen, ist füglich zu bezweifeln. Von den Ursachen, gegebenenfalls nicht in Deutschland streiten zu wollen, dürfte das Sprachproblem das geringste sein. Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarungen sind Machtfragen: die geschicktere und einflussreichere Partei setzt sich in den Verhandlungen mit ihren Klauseln durch. Und da – so ist zu hören – wird selbst von Lieferanten und Herstellern mit Sitz in Deutschland das Heimatrecht keineswegs blind übernommen; erst recht mögen sich auswärtige Parteien in dieser Rolle nicht mit den käuferfreundlichen Bestimmungen des BGB und des CISG anfreunden, zudem deren Abbedingung über § 307 BGB auch im unternehmerischen Rechtsverkehr nur sehr eingeschränkt zugelassen wird. Und da man befürchten muss, dass die deutschen Gerichte, einmal angerufen, die Absichten der Vertragsparteien wohlmeinend durchkreuzen könnten und auch Rechtswahlklauseln kritisch gegenüber stehen, geht man diesem Risiko lieber aus dem Weg. Zur Steigerung der Attraktivität hier anzusetzen, könnte Erfolg versprechender sein, als bei unveränderter Rechtslage englisch zu verhandeln. Meine Prognose lautet dahin, dass die Werbung für deutsche Gerichte und deutsches Recht allein mit dem Sprachargument das Ziel verfehlen wird. Auch als flankierende Maßnahme für das Projekt „Law – made in Germany“ halte ich diese KfiH für ungeeignet.

 

Mag man gleichwohl ein Bedürfnis nach Verhandeln auf Englisch erkennen und mag man es durch die KfiH gestillt sehen, so bleibt ein systematisches und strukturelles Problem kaum lösbar, nämlich: wie drücke ich deutsches Recht – einschließlich des Prozessrechts! – in englischer Sprache zutreffend und verständlich aus?

Es genügt nicht, das angelsächsische Recht zu kennen – und sich auf Englisch darin auszudrücken, wie es der im dortigen Sprachraum erworbene Master of Laws (LL.M.) vermag. Denn er soll ja deutsches Recht anwenden. Dessen Inhalte und Figuren in englischer Sprache wiederzugeben, gehört nicht zu seiner allgemeinen Kompetenz. Deshalb ist der Hinweis auf die Kollegen mit LL.M.-Titel schon im Ansatz verfehlt. Noch weniger reicht es aus, nur die englische Sprache zu beherrschen. Denn gerade Recht und Rechtssprache sind kulturell, historisch, wirtschaftlich und soziologisch geprägt. Schon einzelne Rechtsbegriffe, erst recht aber die Systeme, auf die sie bezogen sind, haben in der Regel keine 1:1-Entsprechung im fremden Recht. Das gilt gerade im Verhältnis des kontinentalen Rechts (Civil Law) zum Common Law und des gesetzten Rechts (Statutory Law) zum Case Law. Eine Fremdsprache zu sprechen und zu verstehen, setzt voraus, dass man in ihr und ihrem soziokulturellen Rahmen denkt.

Es wird daher in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass es möglich sei, den nationalen Rechtsbegriff durch Umschreibungen verständlich zu machen. Das wird, soweit möglich, nur auf Kosten der Präzision gelingen – und dass es in unserem Metier nicht nur gelegentlich auf Nuancen ankommt, ist Allgemeingut. Schon der deutsche Rechtslaie versteht vieles nicht, was er in seinem Prozess erfährt. Wie muss es dann erst dem Ausländer ergehen, dem das schwer Verständliche in seiner Muttersprache nahegebracht werden soll – abgesehen davon, dass nicht nur der native english speaker angesprochen wird, sondern potentiell jede Partei, woher sie auch stamme und in welcher Sprache sie beheimatet sei.

In dieser prinzipiellen Frage sehe ich das Haupthindernis für ein wirkliches Verhandeln in fremder Sprache, d.h. ein Verhandeln in Rede und Gegenrede.

 

Die praktische Umsetzung ist ein weiterer Stolperstein. Was bei ruhiger Lektüre, durch Nachdenken und unter Heranziehung von Übersetzungshilfen durchaus möglich ist, nämlich z.B. auch selbst Texte auf Englisch zu verfassen, sieht in der mündlichen Verhandlung doch ganz anders aus. Hier wird ja neben der Einführung in den Sach- und Streitstand, die man vorbereiten und daher auch auf Englisch halten kann, Spontanität und Flexibilität, das Eingehen auf unerwartete Argumente, häufig auch ein Umdenken oder Umlenken verlangt. Da muss nun, und zwar sofort, korrekt und sicher auf Englisch formuliert werden, wo man doch – Hand aufs Herz – schon beim deutschen Ausdruck manchmal überfordert ist.

 

Ein kleines Beispiel aus der Praxis:

Eine Urkundenklage auf Kaufpreiszahlung aus einem internationalen Warenkauf war bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung statthaft und begründet; die Beklagte verteidigte sich ausschließlich durch Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen aus früheren Geschäften. Die Ware hatte sie zum Teil bereits weiter veräußert – unbekannt und für die Zahlungspflicht auch unerheblich in welchem Umfang. Im Lauf der Güteverhandlung erfahre ich, dass der anwesende und englischsprachige Kläger den Rücktritt vom Vertrag – genauer: dessen Aufhebung nach Art. 64 CISG – erklärt hat.

Wie erkläre ich ihm jetzt schnell und zuverlässig auf Englisch, dass er seiner Urkundenklage den Boden entzogen hat, was er tunlichst erklären möge; ob vielleicht eine Klagänderung gegeben ist, wenn er jetzt zum Teil Herausgabe, zum Teil Wertersatz verlangt; wie er seine neuen Ansprüche darlegen und beweisen kann, etc.? Hut ab vor dem Kollegen, dem jetzt spontan auch die prozessrechtlichen Begriffe in englischer Entsprechung – gibt’s die überhaupt? – einfallen und der den Parteien ihr Rechtsverhältnis nach Vertragsaufhebung darlegen kann!

 

Neben dem Vorsitzenden müssen aber auch die Handelsrichter diese Sprachkompetenz haben. Diese mögen zwar ihre Kontrakte durchaus in Englisch abschließen – Rechtsfolgen aus Störungen dieser Geschäfte zu verbalisieren, ist schon im Deutschen eine ganz andere Sache. In einem Frühstadium der Entwurfsberatung wurde daher der Vorschlag gemacht, die KfiH nur mit Berufsrichtern zu besetzen. Er wurde mit Recht fallen gelassen, denn damit hätte man eine Zivilkammer geschaffen, die sich mit Handelssachen nur bei deren internationalem Bezug befassen würde.

Auch das gesamte Personal des mit dem Rechtsstreit befassten nichtrichterlichen Dienstes wäre intensiv zu schulen und geschult zu halten: vor allem Protokollführer, Schreibdienste, der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle. Wo bliebe sonst die Urkundsfunktion des Protokolls?

 

Die Problematik der Umgehung des gesetzlichen Richters durch die Behauptung eines internationalen Bezugs des Rechtsstreits dürfte der Entwurf befriedigend gelöst haben, indem er von der angedachten Lösung qua Geschäftsverteilung zur gesetzlichen Zuständigkeit der KfiH gelangt ist und das Einverständnis beider Parteien erforderlich ist.

 

Für weiterhin ungelöst halte ich hingegen den Umgang mit der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung, die bekanntlich Menschenrechts[3]- und Verfassungsrang[4] hat. Es tröstet mich wenig, dass laut Umfrage und Selbsteinschätzung 67% der über 16jährigen Deutschen Englisch „einigermaßen gut sprechen und verstehen können“ – würden dieselben auch einer im doppelten Sinne vollkommen auf Englisch geführten Gerichtsverhandlung, d.h. einer elaborierten und schnell gesprochenen Fachsprache, folgen und so ihre Kontrolle der dritten Gewalt ausüben können?

 

Zum Schluss dieser Betrachtung will ich eine Warnung aussprechen: Ich sehe die Gefahr, dass „Englisch als Verhandlungssprache“ sich entgegen der guten Absicht zum Trojanischen Pferd für die Einführung des dazu gehörigen Rechtssystems qua Rechtswahl entwickeln kann: Wenn man schon Englisch spricht, warum dann noch „Law – Made in Germany“ anwenden? Und weiter aus Sicht einer potentiell betroffenen ausländischen Partei: Wenn die deutschen Gerichte sich offenbar selbst nicht zutrauen, in meiner Sache deutsch zu verhandeln – warum sollte ich dann ihre Zuständigkeit vereinbaren? Diesen Effekt könnte man eines Tages nicht einmal als Danaergeschenk bezeichnen – denn dieses Geschenk hätten sich die Trojaner selbst beschert!

 

Wolfgang Bernet


[2] dazu u.a.: Müller-Piepenkötter, DRiZ 10, 2 ff.

[3] Artikel 6 Abs. 1 EMRK; brandaktuell hierzu: EGMR NJW 2009, 2873

[4] z.B. Art. 90 BayLVerf