(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/09, 18) < home RiV >

 

Juristensöhne als Dichter

 

Hans Fallada, Johannes R. Becher und Georg Heym

- der Konflikt mit der Welt ihrer Väter in ihrem Leben und ihrem Werk

 

Unter diesem Titel zeichnet der langjährige Chefredakteur der NJW Hermann Weber drei tragische Biographien nach1[1], die fragen lassen, ob unserem Beruf vielleicht die Gefahr innewohnt, düstere Schatten auf die Lebenswege unserer Kinder zu werfen. Er weist aber zugleich auf den allgemeinen Epochenbruch zwischen Jahrhundertwende und erstem Weltkrieg hin, der damals die Generationen entfremdet und getrennt hatte, was im Juristenmilieu offensichtlich noch schroffer als gemeinhin verlaufen konnte.

Wir kennen Johannes R. Becher (1891 -1958) heute wohl nur noch als den ersten Kulturminister der DDR, den Dichter von deren Na-tionalhymne (1949) „Auferstanden aus Ruinen…“[2], als literarischen Stalin-Verehrer (bis 1956) und zwielichtige Figur bei Ulbrichts Schauprozess gegen Walter Janka (1957)[3]. Von Hans Fallada, der mit bürgerlichem Namen Rudolf Dietzen hieß (1993 – 1958), dürfte „Kleiner Mann – was nun?“[4] heute noch bekannt sein; und Georg Heym (1887 – 1912) ist ein Geheimtipp – doch nur für Liebhaber expressionistischer Lyrik[5].

Ihren Vätern war gemeinsam, dass alle drei als Juristen im Staatsdienst hoch aufgestiegen waren – bis zum Reichsgericht (Wilhelm Dietzen), zum Bayerischen Obersten Landesgericht (Heinrich Becher) und Reichsanwalt beim Reichsmilitärgericht (Hermann Heym) -, dass die Väter ungewöhnlich tüchtig waren: rechtlich hoch gebildet, kaisertreu - sozusagen bis in die Schnurrbartspitzen[6] -, von strenger Staatsgläubigkeit und -loyalität, aber (wenn und soweit man den Söhnen folgen kann) ohne Organ oder jegliches Verständnis für alles, was außerhalb ihres begrenzten Horizontes lag, und das waren eben (auch) ihre Söhne mit ihrer Leidenschaft für Dichtung, Kunst, Literatur, kurzum ihrem Drang nach wirklichem Leben.

Aus Bechers Tagebuch: „Der Vater behandelte mich immer als den Angeklagten – von Kindheit an war ich angeklagt und hatte den Vater als Richter vor mir, der mich ununterbrochen schuldig sprach und ein Urteil nach dem anderen fällte“[7].

Weber: „Nicht zuletzt der Vater-Sohn-Konflikt ist ein durchgängiger Topos der Beziehung der Generationen in der Epoche unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg: In der Sicht der Söhne erscheinen die Väter als Teil der unerschütterlichen Macht der bürgerlichen Gesellschaft, als tyrannische Autoritäten, die von den Heranwachsenden nicht mehr akzeptierte Normen der Gesellschaft transportieren, in der Sicht der Väter die Söhne als Missratene und Verlorene“[8]. Dabei war Heym, der seinem Juristen-Hass den exzessivsten Ausdruck verleiht[9], nicht nur Juristensohn, sondern hatte dieses Studium selbst ergriffen, war darin aber gescheitert, hatte es letztlich darauf auch wohl angelegt[10], und als er mit nur 25 Jahren beim Schlittschuhlaufen zusammen mit einem Freunde in der Havel ertrank[11], war er Sinne einer „bürgerliche Existenz“ vordergründig ein Nichts geblieben; aber sein Nachruhm ließ nicht lange auf sich warten[12].

Es sind chaotische Lebensläufe, deren Stationen der Autor an Hand einer Fülle von Quellen, die er sich zum Teil offenbar im Verlaufe seiner ausgedehnten Studien noch selbst hat erschließen können (etwa durch Aktenstudium), vor dem Leser mit höchster Akribie und großer Farbigkeit entfaltet. Ausgeschlossen, hier sozusagen ein „Reader’s Digest“ daraus zu machen! Gescheiterte Liebesbeziehungen, Selbstmordversuche, Einweisungen in die Psychiatrie, Straftaten, Depressionen: all’ dies und mehr dergleichen verschlingen und verknüpfen sich in den Existenzen in unterschiedlichen Mischungen. Becher rettet sich in die Politik; von seinem KPD-Beitritt 1923 ab ist seine Literatur „Bestandteil der organisierten, planmäßigen, vereinigten kommunistischen Parteiarbeit[13]. Als die Nazis kommen, geht er ins Moskauer Exil. „Die Zeit des Terrors nach 1936 überleben Becher und seine Frau, weil er in entscheidenden Situationen wegsieht, schweigt, Selbstkritik übt und im Notfall wohl auch vor Denunziationen nicht zurückschreckt“[14].

Als Becher nach dem Krieg 1945 wieder in Berlin angekommen und später Vorsitzender des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ geworden ist, stellt er den Kontakt zu Rudolf Dietzen/Hans Fallada her, der sich mit Ach und Krach über die NS-Zeit hinweggerettet hatte und in alkoholischen Exzessen und Depressionen steckte. Er hilft ihm, „holt ihn aus seiner Apathie heraus“[15], wenn auch nicht ganz uneigennützig, denn Fallada soll zur DDR-Literatur den großen antifaschistischen Roman beisteuern. Aber sein Leben verlischt; die Drogen fordern immer mehr Geld, mit seinen persönlichen Beziehungen kommt er nicht zurecht; er stirbt am 05.02.1947; im letzten Brief an seine Mutter heißt es am Schluss: „Irgend etwas in mir ist nie ganz fertig geworden, irgend etwas fehlt mir, so dass ich kein richtiger Mann bin, nur ein alt gewordener Mensch, ein alt gewordener Gymnasiast, wie Erich Kästner von mir gesagt hat“[16].

Auch über Bechers Ende waltet Tragik: Er hatte es in der DDR von Anfang an verstanden, sein lyrisches Talent notfalls in parteifromme Alltagsverse umzumünzen. So wurde auch in Parteikreisen halb anerkennend, halb herabsetzend kolportiert, man brauche eine Sache („Bestleistung in der Produktion“ udgl.) dem Kulturminister nur telefonisch mitzuteilen, dann bekomme man von ihm, ohne den Hörer erst auflegen zu müssen, prompt den verlangten, passenden Reim zurück. Aber dennoch wird er im Herbst 1957 von der SED gezwungen, die Bitte auszusprechen, von seinen Ämtern zurücktreten zu dürfen; er muss Selbstkritik üben und sich demütigen[17]. In einer „Lebensbeichte“, die erst 30 Jahre nach seinem Tode publiziert wird, bezeichnet er sein früheres Verständnis des Sozialismus als „Grundirrtum meines Lebens“, und er klagt sich selbst der Lebenslüge an durch falsches Schweigen und falsches Reden[18]. Der Autor zitiert einen Becher-Biographen:

Vergleicht man einmal die Lebensläufe von Vater und Sohn Becher miteinander, dann sieht man, wie ähnlich sie waren. Gleiche charakterliche Anlagen mit vergleichbaren Folgen: beide waren hartnäckig, fleißig, autoritätsgläubig und pflichtdurchdrungen. In beiden tobte die Angst vor dem sozialen und metaphysischen Nichts, weshalb beide in einem bürokratischen Apparat Karriere machten, dem sie loyal bis zum Ende des Lebens dienten.“ [19]

Für Fallada und Heym wäre das Fazit durchaus anders zu formulieren. Bei allen dreien aber muss man, will man zu einem gerechten Urteil gelangen, die Schuld der Väter, die Umstände der Zeit und die – überaus facettenreiche, fatale! - rein subjektive Problematik der Söhne selbst auseinander zu halten versuchen, die dann mehr oder weniger blind gerade auch auf die Väter projiziert wird[20]. Dass Weber auch dieser Aufgabe mit bewundernswerter Akribie – soweit die Quellen dies irgend erlauben - gerecht wird, ist nur eine der Qualitäten seiner kleinen Schrift, die man der Lektüre wärmstens empfehlen kann.

 

Günter Bertram

 


[1] Berlin 2009, 150 Seiten, 39,00 Euro. Ein Teil von Hermann Webers ungezählten Ausflügen in die Literatur sind den Lesern der NJW aus deren „Literaturheften“ (dazu Hermann Weber: Juristische Zeitschriften des Verlages C.H. Beck, 2007, dort: „Goethes 150. Todestag und die „Literaturhefte“ der NJW“, S. 180 ff) wohlbekannt. Weber leitet auch die alle zwei Jahre abgehaltenen Rendsburger-Nordkolleg-Tage „Recht und Literatur“; zur diesjährigen (fünften) Tagung vgl. MHR 2/2009, S. 33; siehe dazu jetzt Martin Roeber „5. Rendsburger Tagung zum Thema Literatur, Recht und Religion“, NJW Heft 48/2009, S. XVII/XVIII

[2] die Heribert Prantl dem Deutschlandlied als zweite Strophe anhängen wollte, vgl. Prantl in SZ vom 24.04.2009: „Längere Nationalhymne“

[3] vgl. dazu Weber (Anm. 1) aaO. Seiten V. und
78 - 84: „noch einmal Becher“

[4] der 1932 zum Welterfolg und 1933 verfilmt wird, Weber aaO. S. 68

[5] vgl. aber jetzt Hans Christoph Buch in der Frankfurter Anthologie (FAZ) vom 14.11.2009: Georg Heym: „Lichter gehen jetzt die Tage“ zur Werkausgabe Georg Heym, Stuttgart (Reclam) 2006; 9,60 Euro; Marcel Reich-Ranicki in FAZ v. 18.10.2003: „Der Lyriker und Novellist (Heym) wäre vielleicht einer der größten Dichter Deutschlands geworden ….“, zit. bei Weber aaO. S. 101

[6] So glichen die Väter H. Becher und W. Dietzen einander „bartmäßig“ fast wie ein Ei dem anderen, vgl. Weber aaO. S. 31, Abb. 13 und 14

[7] Weber aaO. S. 35 und Fn. 81/99

[8] Weber aaO. S. 32

[9] vgl. Weber aaO. S. 112 – 114

[10] vgl. dazu Weber aaO. S. 105 - 110

[11] Es bleibt wohl letztlich offen, ob es ein Unfall war oder Suizid, dazu Weber aaO. S. 116 – 121 und Fn. 398

[12] dazu Weber aaO. S. 118, auch oben Fn.4

[13] Weber aaO. S. 50

[14] Weber aaO. S. 55, Fn. 164

[15] zit. bei Weber aaO. S. 72, Fn. 223

[16] dazu näher Weber aaO. S. 72 ff: Fallada und Becher

[17] Das ist bolschewistischer Stil, dem sich am Schluss ihrer Karrieren selbst Ulbricht und Honecker haben unterworfen müssen.

[18] Weber aaO. S. 81 – 83

[19] Weber aaO. S. 37, Fn. 105

[20] vgl. Weber aaO. S. 32 f. S. 88 - 93 speziell zu Becher, seinen psychoanalytischen Fantasien und Zuschreibungen; S. 58 – 61 zu „ Falladas „Pubertätstragödie“; S. 120 f. zu Heym