(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/09, 32) < home RiV >

Im Auftrag der EU unterwegs

 

– Diesmal in Kroatien –

 

Nicht nur die Türkei, sondern auch Kroatien gehört zu den Ländern, mit denen die EU über eine Aufnahme verhandelt. Vieles spricht dafür, dass Kroatien in den nächsten zwei Jahren beitreten darf – überraschenderweise vielleicht zusammen mit Island, das angesichts der Finanzkrise die Vorzüge der EU entdeckt und am 22.07.2009 einen Aufnahmeantrag gestellt hat.

 

Wer Kroatien aus dem Urlaub kennt, wird keinen Zweifel daran haben, dass dieses Land mit seiner attraktiven Mischung aus italienischem Flair an der Küste und k.u.k.-Herrlichkeit in der Hauptstadt ein Teil Kerneuropas ist, der in die EU gehört[2]. Ich war deshalb sehr erfreut über das Angebot, die Schulungen zum Verbraucherschutzrecht, die in der Türkei Thema gewesen waren[3], in Kroatien fortzusetzen[4]. Zusätzlich schmackhaft wurde das Angebot durch die Aussage der Projektleitung, man brauche die für die Türkei erstellten Unterlagen ja nur geringfügig anzupassen und spare deshalb viel Zeit bei der Vorbereitung. Nun ja. Tatsächlich ging es auch bei diesem Twinning-Projekt um die Schulung von interessierten Laien in den Bereichen Verbraucherschutzrecht und juristische Methodik. Zielgruppe waren in Kroatien aber Verbraucherberater, nicht – wie in der Türkei – Mitglieder von Schiedskomitees. Die Anpassung an die neue Zielgruppe und die Umstellung sämtlicher Beispielsfälle auf kroatisches Recht waren dann doch sehr aufwändig.

 

Insgesamt drei Reisen nach Kroatien ergaben sich bei diesem Projekt im Jahr 2008, wobei Schulungen in Zagreb, Split und Osijek stattfanden. Die Teilnehmer in Split und Osijek waren beglückt, dass ihnen ein Seminar „vor Ort“ geboten wurde und sie nicht in die Hauptstadt reisen mussten. Das Seminar in Osijek fand in den Räumen der örtlichen Handelskammer statt, die sich ansprechend saniert und gut ausgestattet zeigten. Das benachbarte Gerichtsgebäude wies dagegen noch deutliche Spuren des Bürgerkrieges auf. Wie schon in der Türkei zeigte sich eine große logistische, finanzielle und personelle Unterstützung der Verbraucherorganisationen durch die örtliche Unternehmerschaft. Aus hiesiger Sicht erscheint es doch ungewöhnlich, wenn ein Unternehmer Vorsitzender einer Verbraucherorganisation ist. Die für uns etwas fremde Logik liegt wohl darin, dass sich auf diese Weise „seriöse“ Unternehmer von Bauerfängern absetzen können – egal ob es sich bei den Bauernfängern um internationale Mobilfunkunternehmen oder um fliegende Händler handelt. Ich hatte den Eindruck, dass der Verbraucherschutz jedenfalls in dieser Aufbauphase die tatkräftige Unterstützung der Unternehmerschaft gut gebrauchen kann.

 

Die Teilnehmer der Schulungen kamen aus den verschiedensten Bereichen, es waren Ingenieure, Lehrerinnen, Studentinnen oder pensionierte Beamte darunter, die ehrenamtlich als Verbraucherberater tätig waren. Alle zeigten sich interessiert und aufgeschlossen. Probleme gab es nur mit einzelnen älteren Rechtsanwälten, den einzigen „Profis“ unter den Teilnehmern. Dies war nun das erste Zusammentreffen mit kroatischen Juristen, und ich war gespannt, ob sich das EU-Projekt nicht als unnötig herausstellen würde – immerhin wäre es naheliegend, einheimische Laien durch einheimische Juristen ausbilden zu lassen. Es wäre dann nicht erforderlich, deutsche „Experten“ einfliegen zu lassen.

 

Im Verlauf der Seminare wurde aber deutlich, dass die fachlichen Kenntnisse vieler herkömmlich ausgebildeter Rechtsanwälte es nicht erlauben, diese als Referenten in die Schulungsmaßnahmen einzubinden. Kurz gesagt: Die Warnung einer fachlich vorgebildeten Dolmetscherin scheint zutreffend. Danach galt Jura in Jugoslawien als besonders leichtes Studienfach. Man suchte einen Professor, dessen Buch man auswendig lernte, meldete sich dann zur mündlichen Prüfung bei diesem Professor, repetierte ein wenig aus dem Buch und konnte dann Anwalt werden[5]. Die Phase des Auswendiglernens ließ sich dabei durch Überreichen eines gefüllten Briefumschlags ersetzen[6].

 

Ich halte diese Schilderung zumindest insoweit für glaubhaft, als sich in den Schulungen gezeigt hat, dass den angehenden Juristen bis in die jüngste Zeit keinerlei Kenntnisse über eine systematische Falllösung vermittelt wurden. Typischerweise wird ohne Blick in das Gesetz ein Punkt diskutiert, der wichtig zu sein scheint – auch wenn er nach unseren Maßstäben „unerheblich“ ist. Davon waren die aus der Anwaltschaft stammenden Teilnehmer auch nicht abzubringen. Bei den juristischen Laien hatte ich hingegen ein gutes Gefühl: Ich glaube, dort ist ein juristisches Basiswissen angekommen.

 

Durch die Fürsorge der örtlichen Projektleitung konnte ich Kontakt zu den Organisatoren eines weiteren Projekts[7] in Kroatien aufnehmen – ganz klassisch beim Stehempfang mit Schnittchen durch Visitenkartentausch. So kam ich 2009 zu weiteren drei Einsätzen in Zagreb, das ich auf diese Weise zu allen Jahreszeiten kennen und schätzen gelernt habe[8].

 

Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten ging es hier um die Schulung angehender Richter und Staatsanwälte, vergleichbar unseren Referendar-AG’s. Das Projekt war deshalb auch bei den jeweiligen Justizministerien angebunden und nicht, wie die Verbraucherschutzprojekte, bei den jeweiligen Wirtschafts- bzw. Landwirtschaftsministerien. Ziel des Projekts war einerseits die Schaffung von Rechtsgrundlagen für eine fundierte Juristenausbildung mit objektiven Auswahlkriterien und andererseits die Implementierung einer systematischen Ausbildung der Referendare. Dabei sollte die Referendarausbildung im Ergebnis durch kroatische AG-Leiter erfolgen. Insgesamt ist für die kroatischen Referendare während ihres zweijährigen Referendariats an 60 Tagen die Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft vorgesehen.

(Im Mehrzweckraum des Handelsgerichts Zagreb: Die Referendare arbeiten in Vierergruppen. Hinten die Dolmetscherkabinen.)

 

Der erste Jahrgang dieser kroatischen Referendare stand nun zur Schulung an. Aufgrund der anfangs nur geringen Bereitschaft kroatischer Richter und Staatsanwälte, als AG-Leiter tätig zu werden, war für die nicht anders zu besetzenden Themenblöcke der Einsatz deutscher Experten vorgesehen. Bei meiner „Buchung“ waren die Themen Verbraucherschutz und juristische Methodik unbesetzt, so dass diese Teile mir (gemeinsam mit einer Kollegin vom LG Dresden) übertragen wurden.

Erneut waren die Materialien anzupassen und auf die neue Zielgruppe auszurichten. Der in Zagreb tätige Teamleiter, RiOLG Dr. Rainer Deville vom OLG Düsseldorf, äußerte zudem erhebliche Zweifel, ob die Referendare Fälle methodisch richtig lösen könnten. Deshalb sollte im Rahmen eines weiteren Einsatzes noch einmal auf Examensniveau die Falllösung geübt werden.

Es kam ganz anders. Nachdem sich aus dem Kreis der Gerichtsleitungen und OLG-Richter einige AG-Leiter gewinnen ließen, die mit umfangreichen Skripten und Power-point-Präsentationen in Vorlage traten, waren bald auch die restlichen Themen mit kroatischen Referenten aus der Mitte der Richterschaft besetzt. Auch für das Thema „Verbraucherschutz“ hatten sich zwei Richterinnen aus Zagreb gewinnen lassen. Allerdings ohne dies der Projektleitung mitzuteilen …[9]. Für meine Dresdner Kollegin und mich hatte man höflicherweise noch 45 Minuten zum Thema „Juristische Methodik“ vorgesehen – und wir durften als Zuhörer den gesamten AG-Tag erleben.

 

Das Ergebnis war zwiespältig: Einerseits war es ja gerade das Ziel des Projekts, die Ausbildung vollständig in kroatische Hände zu legen. Andererseits war es doch erschreckend, dass die kroatische Kollegin den Referendaren erklärte, das Verbraucherschutzgesetz erstmals zehn Minuten vor der Veranstaltung gelesen zu haben. Wiederum andererseits war es erfreulich zu sehen, dass die Referendare selbst durchaus über entsprechende Kenntnisse verfügten, was der Referentin sichtlich unangenehm war – ebenso wie der Versuch, einen Fall mit dem Schuldrecht des Jahres 1975 zu lösen, weil man eine aktuelle Falllösung nicht zur Hand habe (und sich offenbar auch nicht zutraute, eine solche zu erarbeiten).

 

Schon in Osijek hatte mir eine Studentin, kurz vor dem juristischen Examen stehend, erklärt, sie habe bisher nie etwas von „Subsumtion“ gehört. Es war klar, dass wir die Referendare nicht in den verbleibenden 45 Minuten mit der juristischen Methodik[10] vertraut machen konnten. Umso wichtiger war für uns die Analyse des Erlebten: Wie kommt es, dass es den Referendaren und vielen unserer Berufskollegen in Kroatien so fremd ist, systematisch an eine Falllösung heranzugehen? Warum schaut man nicht ins Gesetz, sondern diskutiert frei drauflos – zu allen möglichen Aspekten, mögen sie erheblich sein oder nicht? - Abgesehen davon, dass systematisches Arbeiten nie vermittelt worden ist, sind auch die Umstände verantwortlich: Es gibt keine Gesetzessammlung wie den Schönfelder! Und Kommentare erscheinen nicht jährlich neu. Das Arbeitsmaterial unserer kroatischen Kollegen besteht deshalb z.B. aus einem gedruckten Schuldrecht von 1993, einem Kommentar von 1998 und einigen Kopien aus dem Gesetzblatt oder handschriftlichen Änderungs-Notizen. Im Internet sind zwar alle Gesetze abzurufen, aber es gibt keine konsolidierte Fassung, sondern nur jedes Änderungsgesetz einzeln. Wenn man dann noch das Richterzimmer mit der Schreibkraft teilen muss, ist konzentriertes Arbeiten schwer möglich. Wer in dieser Situation dann eine Sache vom Obergericht zurückverwiesen erhält, weil einem Beweisangebot nicht nachgegangen wurde (obwohl es einen ersichtlich unerheblichen Punkt betrifft!), wird daran zweifeln, ob systematische Arbeit überhaupt Sinn macht.

 

Dennoch bin ich optimistisch. Bei meinem letzten Aufenthalt konnte ich eine Block-AG zum Handels- und Gesellschaftsrecht miterleben (und selbst, weil sich dafür nun wirklich niemand gefunden hatte, zum Thema „Internationales Transportrecht“ referieren). Die dortigen AG-Leiter und Referenten aus der Handelsgerichtsbarkeit zeigten sich kenntnisreich, aufgeschlossen und didaktisch hervorragend. Auch ein Besuch beim Handelsgericht und dem dortigen Handelsregister zeigte einen hohen Standard.

 

Die Ausbildung der nachrückenden Juristen wird ihren Teil dazu beitragen, dass das Niveau rasch steigt. Die im Rahmen des Projekts entwickelten Rechtsgrundlagen erschweren unfaires Fortkommen deutlich, indem z.B. eine bestimmte Mindestpunktzahl in den anonymisierten Klausuren erreicht werden muss[11]. Eine Jura-Studentin im achten Semester berichtete, von den 1.400 Erstsemestern seien aufgrund der gestiegenen Anforderungen grade noch 40 übrig, die sich nun auf das Examen vorbereiteten. Sie werden sich – nach einem EU-Beitritt – mit Kollegen aus anderen EU-Ländern messen lassen müssen, die von international tätigen Anwaltskanzleien „importiert“ werden.

 

Niels Focken


[2] Auch wenn hinter der Fassade die Mafia ihr Unwesen treiben und die Korruption blühen soll, vgl. taz vom 08.10.2008.

[3] Hierzu der Bericht in MHR 1/2009, S. 18 - 21

[4] Twinning Project „Further Capacity Building in the Area of Consumer Protection“

[5] Nach anderer Quelle waren zusätzlich zwei Klausuren zu bestehen, nicht anonymisiert und beliebig oft zu wiederholen.

[6] Siehe hierzu den Artikel im Spiegel vom 19.09.2008 über eine Großrazzia an der Universität Zagreb: “Die Armen müssen halt lernen”, www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,579121,00.html . Zu Korruptionsfällen an deutschen Universitäten vgl. die aktuelle Berichterstattung, z.B. in der Süddeutschen Zeitung vom 24.08.2009

[7] EU Phare Project: Support to the Judicial Academy of Croatia: Developing a training system for future judges and prosecutors.

[8] Nicht zu Unrecht wird für jede Übernachtung in Zagreb eine „Kurtaxe“ von 7 Kuna (rund 1 Euro) erhoben.

[9] Die Projektleitung ihrerseits hatte uns allerdings vorgewarnt, dass wir mit einer solchen Entwicklung rechnen müssten.

[10] „Juristische Methodik“ meint hier das, was man in Deutschland vorwiegend beim Repetitor lernt, ohne wissenschaftlichen Anspruch.

[11] Obwohl ein Anteil der schriftlichen Arbeiten von nur 30% in der Examenswertung für uns immer noch als „verkehrte Welt“ erscheint.