(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/08, 9 ) < home RiV >

Selbstverwaltung

- ein Veranstaltungsbericht -

 

„Selbstverwaltung der Justiz - ein notwendiger Schritt in die Zukunft?“ war das Thema einer Veranstaltung des Hamburgischen Richtervereins und des Vereins Deutscher Juristentag am 10. Juni 2008 in Hamburg. Vor voll besetztem Saal hatte der neue Justizsenator der Hansestadt, Dr. Till Steffen (GAL), seinen ersten justizöffentlichen Auftritt im Amt – und stellte in seinem Vortrag in Aussicht, die Justiz einer Selbstverwaltung näher zu bringen.

Den Rahmen hatte einleitend der Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins, VRiLG Gerhard Schaberg, skizziert: Das in seinen Einzelheiten noch zu diskutierende "Zwei-Säulen-Modell" des Deutschen Richterbundes vom April 2007 zeige konkret auf, wie die Selbstverwaltung von Gerichten und Staatsanwaltschaften in Deutschland auf europäischen Standard angehoben werden könne. Der Koalitionsvereinbarung der neuen Landesregierung Hamburgs sei erstmals die Bereitschaft der Politik zu entnehmen, die Selbstverwaltung der Dritten Gewalt zu einem eigenen Anliegen zu machen.

Dr. Steffen führte, beginnend mit einem Überblick über die ideengeschichtliche Entwicklung von Montesquieu über Art. 20, 92 GG, die Forderungen des 40. Deutschen Juristentags (1953) zur Stärkung der Unabhängigkeit bis zu den Konzepten des Deutschen Richterbundes und der Neuen Richtervereinigung, hin zu einer Betrachtung der gegenwärtig maßgeblichen Impulse für mehr Selbstverwaltung der Justiz sowie zu den damit verbundenen Fragen: Der "fiskalpolitische Einfluss" und die Entwicklung in anderen europäischen Ländern, in denen Formen der Selbstverwaltung zum Teil seit langem praktiziert werden. Dabei umfasse der fiskalische Aspekt sowohl die Ansätze zur ökonomischen Steuerung der Rechtsprechungsfunktion (im Zusammenhang mit einer Binnenverteilung der Mittel) als auch die Bemessung des Justizanteils am Staatshaushalt. Ausgehend von dem Vorwurf der Richterschaft an die Justizminister, sie hätten im Kabinett bei dem Kampf um Haushaltsanteile nicht genügend Gewicht und deshalb sowohl für die Personal- und Sachausstattung, als auch für die Besoldung nicht die erforderlichen zusätzlichen Mittel beschafft, habe sich die Hoffnung entwickelt, als selbstverwaltete Dritte Gewalt von den übrigen Gewalten stärkere Berücksichtigung erwirken zu können. Zu den zentralen Punkten jeder Diskussion um die Unabhängigkeit der Justiz gehöre zudem die Frage, wie das Personal der Gerichte im Eingangs- und Beförderungsamt bestimmt werde.

Unter Berufung auf die Vereinbarung in dem Koalitionsvertrag, die Diskussion über einen Ausbau der Selbstverwaltung der Justiz ergebnisoffen zu führen, betonte der Senator, er verfolge derzeit noch kein bestimmtes inhaltliches Konzept. Gleichwohl gab er eine Reihe von Hinweisen zu seiner Einschätzung einzelner Fragen.

-  Hamburg habe mit dem bestehenden Richterwahlausschuss bereits ein auch im Sinne der Unabhängigkeit geeignetes Gremium zur Personalauswahl, bei dem die Beteiligung durch demokratische Wahlen Legitimierter die zutreffend auch von den Richterverbänden abgelehnte Selbstrekrutierung der Richterschaft vermeide. Zu prüfen sei allerdings, ob die Entscheidungen dieses Gremiums in die Richterschaft hinein noch transparenter gestaltet werden könnten.

-   Den Ausführungen von Prof. Dr. Röhl anlässlich des Deutschen Juristentags von 2002 folgend sei zu erwägen, dass eine Übertragung von Ansätzen neuer Steuerungsmodelle auf die Justiz nur im Rahmen ihrer Selbstverwaltung tunlich sei. Ohnehin sei eine Zentralsteuerung der Gerichte durch einen Justizminister kaum mit dem allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität, welcher der Entscheidung vor Ort die regelmäßig höhere Sachgerechtigkeit zuerkenne, vereinbar.

-  Ergäben sich aus der Selbstverwaltung Rationalisierungsgewinne, sollten diese der Justiz verbleiben.

- Selbstverwaltung werde ein noch höheres Maß an Kooperation zwischen den Gerichten und Gerichtsbarkeiten erfordern als bislang schon geübt.

- Einerseits sei es naiv zu hoffen, "dass nach der Implementierung der Selbständigkeit der Justiz die Haushaltsansätze im kurz- und mittelfristigen Bereich stark ansteigen" würden. Andererseits sei die – etwa von Prof. Dr. Papier bei dem Hamburgischen Richterverein im Februar 2004 dargelegte - Befürchtung, der eigenständigen Wahrnehmung der Haushaltsinteressen durch Vertreter der Justiz würde das notwendige Gewicht fehlen, nicht zu teilen; die Budgethoheit des Bundesverfassungsgerichts sei ein brauchbares Vorbild.

-  Eine hinzunehmende, möglicherweise sogar in der Justiz erwünschte Folge ihrer direkten Beteiligung am Ringen um Haushaltsmittel werde es sein, dass sie stärker als bisher in "macht- und medienpolitische Prozesse" einbezogen und öffentlicher Kritik ausgesetzt sein werde.

Offen - auch bei Berücksichtigung des gewählten Abstraktionsgrades - blieb, ob bzw. wie die Staatsanwaltschaft in eine selbstverwaltete Justiz integriert werden solle.

Eine verbindliche Ansage gab es demgegenüber zu dem weiteren Verfahren: Anstelle von Schnellschüssen sei eine gründliche, geordnete, auf ein klares Ergebnis bis zum Ende der angelaufenen Legislaturperiode zielende Debatte beabsichtigt. Hieran sei die Richterschaft zu beteiligen, aber auch die übrigen mit der Justiz in unmittelbarem Kontakt stehenden Professionen, vornehmlich die Anwaltschaft und die Wissenschaft. Darüber hinaus sei das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen, um hier den Gedanken einer autonomen Justiz positiv zu verankern und um die Wählerschaft in die Lage zu versetzen, das ihr vorgelegte Konzept einer selbstverwalteten Justiz in ihre nächste Wahlentscheidung einzubeziehen. Hamburg sei wegen seiner kurzen Wege für die Selbstverwaltung der Justiz besonders geeignet und bereit zu einer Vorreiterrolle in Deutschland. Der nächste Verfahrensschritt sei eine Tagung im zweiten Halbjahr 2008 mit einem Schwerpunkt auf einer rechtsvergleichenden Betrachtung der Selbstverwaltungsmodelle insbesondere Spaniens, Italiens, Polens und Schwedens.

Die an den Vortrag anschließende Diskussion wurde zunächst auf dem Podium geführt zwischen dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Oberstaatsanwalt Christoph Frank, dem Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, Rechtsanwalt Axel Filges, und dem ehemaligen Bundesrichter und thüringischen Justizminister, Harald Schliemann. Die Leitung der Diskussion inne hatte der Präsident des Finanzgerichts Hamburg, Dr. Jan Grotheer, seit Jahren maßgeblicher Akteur im Deutschen Richterbund in Sachen Selbstverwaltung.

Frank betonte, es sei ebenso wichtig wie erfreulich, dass sich nunmehr auch die Politik ernsthaft des Themas annehme. Selbstverwaltung sei anzustreben, um die Defizite im Ansehen der Justiz, ihrer Repräsentanz in Entscheidungsprozessen und ihrer Ausstattung – insbesondere fehlten in Deutschland insgesamt 4.000 Richter- bzw. Staatsanwalts-Stellen – zu beheben. Das Rederecht im Parlament und der direkte Kontakt zu den Finanzministern werde es der Justiz ermöglichen, ihre Bedarfe transparent zu machen. Im Hinblick auf die Unabhängigkeit seiner Justiz sei Deutschland hinter den europäischen Standard zurückgefallen: Wäre es EU-Beitrittskandidat, hätte man es hier zu Änderungen aufgefordert. In dem Netzwerk der europäischen Justizverwaltungsräte (ENCJ) habe Deutschland deshalb nur Beobachterstatus. Selbstverwaltung der Justiz umfasse nach dem Verständnis des Deutschen Richterbundes notwendig die Staatsanwaltschaft; Hamburg sei aufgefordert, den Gesetzesvorschlag des Deutschen Richterbundes zur Weisungsunabhängigkeit der Staatsanwaltschaft zu unterstützen. Insgesamt müsse sich die Justiz darüber im Klaren sein, dass Selbstverwaltung auch einen Zuwachs an Verantwortung bedeute.

Filges wies darauf hin, dass die Bundesrechtsanwaltskammer im Rahmen der allgemein guten Zusammenarbeit mit dem Deutschen Richterbund diesen auch in Sachen Selbstverwaltung unterstützen werde, zumal das Thema auch bei ihr selbst wieder auf der Tagesordnung stehe. Im weiteren Verfahren solle darauf geachtet werden, Schnellschüsse zu vermeiden, weil das an sich sinnvolle Vorhaben auf mächtige Gegner treffen werde. Auch die Selbstverwaltung der Rechtsanwälte unterliege einer laufenden Evaluierung und sei ständig zu verbessern. Die Selbstverwaltungsmodelle im europäischen Ausland seien darauf zu prüfen, inwieweit sie von kulturellen Eigenarten bestimmt seien, welche ihrer Übernahme in Deutschland entgegenstehen könnten. Hier sei die Richterschaft eher statisch, weniger flexibel und nicht durchlässig genug. Fraglich sei zudem, wie nicht nur die Verbände, sondern die Richterschaft insgesamt zu dem Ziel weitgehender Selbstverwaltung stehe. Hierzu fehle es an Empirie. Schließlich bedürfe es der Klärung, wie im Rahmen einer Selbstverwaltung die Verteilung der Ressourcen unter den Gerichten organisiert werden solle; die Bedenken von Prof. Dr. Papier hierzu seien nicht von der Hand zu weisen. Für den Vergleich zwischen der jetzigen ministeriellen Verwaltung und der Selbstverwaltung sei in Bezug auf die Effizienz der Mittelverteilung noch offen, ob sich die bessere Lösung maßgeblich systemisch, d.h. aus einer bestimmten Struktur, oder aber maßgeblich aus den individuellen Fähigkeiten und Vernetzungen der konkret handelnden Personen ergebe.

Schliemann prognostizierte vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Richter wie als Justizminister, dass auch eine selbstverwaltete Justiz einerseits politische Einflüsse auf Rechtsprechung und Personalentscheidungen nicht ausschließen werde, anderseits die von ihm konstatierten derzeitigen Defizite an Flexibilität und Mobilität nicht beheben werde. Für das Ringen um Haushaltsanteile sei die Richterschaft mit ihrer Prägung durch geordnete Verfahren und den Glauben an die Kraft des Sachargumentes ungenügend gerüstet. Mit einem Rederecht im Parlament sei kein nennenswerter Einfluss auf die Etatentscheidung erreicht, denn diese werde außerhalb verabredet. Für die Grundentscheidung über die Selbstverwaltung solle nicht darauf abgestellt werden, ob andere Länder diese eingeführt hätten, sondern darauf, ob die Aufgabe der Justizgewähr dadurch besser erfüllt werden würde. Insoweit werfe der europäische Vergleich erhebliche Zweifel an der Selbstverwaltung auf, da die Rechtsprechungsleistung des deutschen Systems allgemein für deutlich überdurchschnittlich erachtet werde.

Filges ergänzte, der Umstand, dass die deutsche Rechtsprechungsleistung im internationalen Vergleich gut sei, solle das deutsche Rechtssystem nicht davon abhalten, Verbesserungen in der Justizorganisation anzustreben. Eine Evaluation der verschiedenen ausländischen Modelle der Selbstverwaltung könne auch zu neuen, eigenen Lösungen führen.

Auf den Hinweis aus der Zuhörerschaft, bei dem Blick auf die im europäischen Umfeld bestehenden Modelle der Selbstverwaltung sei von besonderer Bedeutung, wie dort eine angemessene Mittelzuweisung und eine sachgerechte Verteilung der Ressourcen zwischen den verschiedenen Gerichten und Gerichtsbarkeiten gesichert werde, führte Frank aus, die Systeme seien unterschiedlich. In manchen Ländern gebe es feste Quoten für den Justizhaushalt, in anderen nehme die Justiz teil an dem Ringen um den jeweiligen Haushalt, teils sei die Anmeldung der Justiz auch in dem Sinne tabuisiert, dass sie schlicht übernommen werde. Für Deutschland sei die Lösung über Transparenz im Parlament zu suchen; er sei überzeugt, dass die Justiz mit wenig mehr Geld sehr viel mehr bewirken könne. Sie müsse nur die Gelegenheit erhalten, dies öffentlich darzustellen. Das Modell des Deutschen Richterbundes repräsentiere alle Gerichtsbarkeiten in dem Justizverwaltungsrat. Die Unabhängigkeit der einzelnen Richter solle nicht angetastet werden, ebenso wenig die Funktion der Gerichtspräsidenten. Die Regeln zur Versetzbarkeit seien nicht zu ändern; in einer selbstverwalteten Justiz könne aber mit solidarischerem Verhalten der Richterschaft gerechnet werden. Die Leistungsfähigkeit des deutschen Rechtssystems im internationalen Vergleich ergebe sich derzeit nur aus der Qualität seiner Akteure; komme noch ein zeitgemäßes System der Selbstverwaltung hinzu, werde dies die Eignung des Systems als Exportartikel wesentlich verstärken.

Die Frage, ob eine selbstverwaltete Justiz einen angemessenen Anteil am Haushalt werde erringen können, griff Schliemann mit dem Hinweis auf, die Gerichte der Länder könnten nicht davon ausgehen, mit demselben Respekt behandelt zu werden, wie er der Haushaltsanmeldung des Bundesverfassungsgerichts entgegengebracht werde. Die Budgetinteressen für Bildung oder Soziales würden in der öffentlichen Wertung die Justiz schnell überwiegen. Ein Selbstverwaltungskonzept müsse sich auf diese Realitäten des politischen Alltags einstellen.

Filges riet demgegenüber zu mehr Optimismus. Die Justiz müsse ihre Bedeutung deutlich machen, so dass in den Haushaltsberatungen darüber diskutiert werde, wie viel Justiz sich die Gesellschaft leisten wolle. Aus der Zuhörerschaft erhielt er hierfür Unterstützung; eine selbstverwaltete Justiz werde selbstbewusster auftreten und der Öffentlichkeit den Wert der Justizleistung besser vermitteln können. Frank ergänzte, der gegenwärtige Zustand sei in den meisten Bundesländern so unbefriedigend, dass der Weg über eine Strukturveränderung kaum zu Verschlechterungen führen könne.

Grotheer schloss die Diskussion mit dem Hinweis auf ein Diktum Heribert Prantls: "Die deutschen Richter sind unabhängig, die deutsche Justiz ist es nicht." Nun sei Abhilfe in Aussicht; ein Prozess mit rechtshistorischem Potential habe jetzt begonnen.

Michael Bertram