(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/08, 6 ) < home RiV >

Was ist deutsche Staatsangehörigkeit heute noch wert?

 

Lohnt es sich wirklich, über „Die Deutsche Staatsangehörigkeit“ ein Buch von mehr als 400 Seiten[1] zu schreiben, wo doch sein Verfasser selbst dieses Rechtsgebiet eine „Dauerbaustelle“ nennt[2]? Wer als Jurist sich mit einschlägigen „Fällen“ plagen muss, ist ohnehin auf die verzweigte Spezialliteratur angewiesen[3]. Und gehört nicht überhaupt der „historische Unglücksfall Nationalstaat“ endgültig der Vergangenheit an, so dass die Zugehörigkeit zu ihm der Betrachtung viel weniger wert erscheint als die bürgerschaftliche Teilhabe an höheren, besseren Gebilden – etwa der EU[4] oder globalen Wertegemeinschaften der Zukunft? Ist schließlich nicht speziell das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht besonders rückschrittlich und darüber hinaus schwer belastet? Ausgerechnet „German blood“ als Entree-Billett des deutschen Staates[5]? Wie sollte man angesichts dessen einer überholten Rechtstradition noch eine Träne nachweinen - oder ihr ein Buch hinterherschicken? Diese Sätze berühren nur einige der Grundfragen, die der Verfasser entfaltet und zur Betrachtung stellt. Er hält mit seiner persönlichen Meinung nie hinter dem Berge, drängt sie dem Leser aber auch nicht auf. Auch für die Gegenmeinung stellt er die Argumente zusammen, die für sie vorgebracht werden oder werden könnten.

 

Im Folgenden kann ich davon nur weniges herausgreifen[6].

 

1.         Was hat Adolf Hitler in einem Buch über Staatsangehörigkeit zu suchen - zu suchen nicht als späterer Reichskanzler und de facto rechtsetzender „Führer“[7], sondern als der Mann vor dem Tor: Emporkömmling, Volkstribun, Putschist, angeklagter Republikfeind und Kämpfer um die Staatsmacht?[8].

 

Hitler war, während er nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland politisch zu agitieren begann, kein Deutscher, sondern Ausländer; nämlich Österreicher, bis er im Jahre 1924 mit seinem Verzicht auf diesen Status staatenlos wurde. Er war am Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht sonderlich interessiert, im Gegensatz zu einigen seiner Anhänger, die dergleichen für psychologisch und taktisch geboten hielten. Eine routinemäßige Einbürgerung Hitlers kam nicht in Betracht, weil ihr sicherlich – schon seines Putsches vom November 1923 („Marsch auf die Feldherrnhalle“) wegen – widersprochen worden wäre, von Preußen, aber wohl auch sonst[9]. So gab es immer wieder Versuche, Hitler auf Umwegen zur deutschen Staatsangehörigkeit zu verhelfen[10]. Eine neue Gelegenheit[11] ergab sich, als am 23.01.1930 in Thüringen mit Wilhelm Frick erstmals einer seiner prominenten Parteigänger in einem der deutschen Länder zum Innen- und Volksbildungsminister aufstieg. Der Trick, der Hitler zum Deutschen machen würde, sollte aus § 14 I des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 gewonnen werden. Danach galt ein Ausländer, wenn er in den Staatsdienst eines deutschen Landes übernommen wurde, als eingebürgert[12]. Deshalb versuchte Frick, Hitler eine Pro-Forma-Anstellung an der Staatlichen Hochschule für Handwerk und Baukunst (dem Nachfolger des berühmten Bauhauses!) zu verschaffen. Doch spielte der für die Anstellung zuständige Regierungsrat – ein pflichtbewusster „Stahlhelmer“ – nicht mit, und das Projekt scheiterte[13]. Dann versuchte Frick, seinem Führer auf anderem Wege zu helfen: Als im Sommer 1930 sein Regierungschef, dessen Widerspruch zu erwarten gewesen wäre, im Urlaub weilte, ließ Frick von zwei Beamten seines Innenressorts für Hitler eine Anstellungsurkunde als „Gendarmeriekommissar von Hildburghausen“ ausstellen. Diese Urkunde bedurfte, um die Einbürgerung zu bewirken, der Entgegennahme durch Hitler und seiner Unterschrift. Hitler aber schwankte, erhob Bedenken, verzögerte alles, nahm die Urkunde schließlich doch an sich und unterschrieb sie, freilich unter dem Vorbehalt des nachträglichen Widerrufs und bestand darauf, die Sache geheim zu halten. Später wurde sie dennoch ruchbar und vom 15. bis 18.02.1932 im thüringischen Landtag debattiert, der zu ihrer Aufklärung einen Untersuchungsausschuss einsetzte. Hitler, dort am 15. März als Zeuge gehört, erklärte, die Anstellungsurkunde am Tage nach ihrer Aushändigung oder tags drauf wieder vernichtet zu haben; er habe von vorn herein keinen Zweifel daran gelassen, sie nicht annehmen zu wollen, weil er dieses unwürdige Theater nicht nötig habe.

 

Zu seiner Person hatte er zuvor erklärt:
„Adolf Hitler, 43 Jahre, Regierungsrat und Schriftsteller, München“. „Regierungsrat“ – nicht „Gendarmeriekommissar“! Wie das? Inzwischen schien draußen im Reich das lokale Intermezzo „Hildburghausen“ vergessen worden zu sein; soweit man es dort überhaupt registriert hatte, und Hitler selbst brachte für die „bürokratische“ Frage seiner Staatangehörigkeit nur verächtliches Desinteresse auf.

 

Aber die Szene hatte sich 1932 verändert. Die Wahl des Reichspräsidenten stand an, und Hitler war gegen den zur Wiederwahl gestellten 84jährigen Paul von Hindenburg in den Ring gestiegen. Jetzt kam es auf seine Staatsangehörigkeit unausweichlich an, weil Art 41 II der Reichsverfassung bestimmte, dass nur ein Deutscher zum Reichspräsidenten wählbar sei. Was tun? Diesmal war es der Braunschweigische Staatsminister des Inneren Dietrich Klagges, der seinem Führer zur Hilfe kam. Zunächst versuchte er – ohne Erfolg -, Hitler eine formelle Anstellung im Staatsdienst als außerordentlicher Professor für „Organische Gesellschaftslehre“ zu verschaffen. Eine Woche später, noch rechtzeitig vor dem ersten Wahlgang, gelang es Klagges, Hitler als Braunschweigischen Regierungsrat anzustellen und ihm die freie Planstelle beim Landeskultur- und Vermessungsamt zu verleihen – neben seiner Beauftragung „mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Sachbearbeiters bei der Braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin“.

Angesichts des Wahlkampfes hatte also die Frage, wer dieser Hitler denn – statusrechtlich – eigentlich sei, unversehens publizistisches und öffentliches Interesse gewonnen. Da überraschte am 01.02.1932 das nationalsozialistische Berliner Montagsblatt die Welt mit der Eröffnung, Hitler sei „in einem deutschen Land bereits von einer nationalsozialistischen Regierung – wohl auf dem Wege der Anstellung zum Beamten – eingebürgert“. Am gleichen Tag veröffentlichte die damals einflussreiche Vossische Zeitung ein Rechtsgutachten des Reichsinnenministeriums, in dem es heißt:

„In der Ernennung eines Ausländers, wie es Hitler ist, oder Staatenlosen zum Beamten lediglich zu dem Zweck, ihm die Fähigkeit für die Anwartschaft auf das Amt des Reichpräsidenten zu verleihen, würde kein ernstlich gemeintes Beamtenverhältnis zu erblicken sein. Eine solche Ernennung wäre nichtig und unwirksam“.

Damit war eine Lawine losgetreten.

„Schon am folgenden Tag bot der Posten des Gendarmeriekommissars von Hildburghausen als Sprungbrett für das Amt des Reichspräsidenten einem Teil der nationalen und internationalen Presse Anlass genug, Hitler lächerlich zu machen …: „Seit gestern lacht Europa über Adolf Hitler“ (Tempo).

„Die Witzblätter der ganzen Welt sind für geraume Zeit mit Stoff  versorgt“ (Berliner Tageblatt). „Eine staatsrechtliche Komödie, die später einmal den Weg zur Bühne finden wird“ (Germania). „Der Hildbürger in der Gendarmerieuniform ist das wahre Ideal aller Untertanen, die eine starke Hand küssen und einen Gummiknüppel anbeten müssen“ (Wiener Arbeiterzeitung). „Die ganze Welt lacht über den Gendarmen Adolf Hitler“ (Das Volk)“[14].

 

Man mochte zunächst also lachen – Regierungsrat oder Polizeikommissar? Die Wahl jedenfalls fand statt mit dem Kandidaten Hitler; der die Stichwahl gegen Hindenburg mit 36,7 % : 53 % verlor. Ein knappes Jahr später war er der schrankenlose Herrscher im Reich.

Man hört zuweilen, ohne den Braunschweiger Coup wäre Hitler uns und der Welt erspart geblieben. v. Münch bezweifelt das[15], mit guten Gründen. Zu Hitlers früher Karriere gehören freilich noch zwei weitere statusrechtliche Fehlentscheidungen, über deren historisches Gewicht man gleichfalls nur noch spekulieren kann:

Dem Volkgericht München II, das Hitler wegen seines November-Putsches von 1923 zu Festungshaft verurteilte, war durch das Republikschutzgesetz zwingend vorgeschrieben, ihn als Ausländer (nach Österreich) auszuweisen. Das aber hatten die Richter abgelehnt mit den Worten, von der Vorschrift könne im Falle eines Mannes „der so deutsch denkt und fühlt wie Adolf Hitler“ kein Gebrauch gemacht werden[16]. Schließlich wäre die Abschiebung Hitlers dann später nach seiner vorzeitigen Haftentlassung geboten und wahrscheinlich auch möglich gewesen. Jedenfalls hatte die bayerische Landespolizei das Innenministerium auf Hitlers erwartbare neuen Umtriebe eindringlich hingewiesen und seine Ausweisung empfohlen; aber es blieb bei der Empfehlung[17].

 

2.         Soviel zur verfremdeten Rolle, die man dem deutschen Staatsangehörigkeitsrecht seinerzeit – fatalerweise – aufgedrängt hat. Das ist nun Geschichte geworden.

 

Anderes aber wirkt noch heute nach:

Viele Argumente, die in den hitzigen Reformdebatten zum Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) vorgebracht wurden und werden, entspringen dem Wunsch, einen dicken, sichtbaren Trennungsstrich zur NS-Zeit zu ziehen. So wird, wie eingangs schon angedeutet, die Grundfrage, die sich in jedem Staatsangehörigkeitsrecht der Welt stellt, ob es als seinen primären Anknüpfungspunkt die Abstammung oder den Ort (der Geburt)  wählt, in unseren parlamentarischen Diskussion mit abenteuerlichen Assoziationen belastet. Selbst ein so kluger Mann wie Peter Glotz hatte verlangt, das „verdammte deutsche Blutrecht“ endlich abzuschaffen[18], und die - sonst für das Parlament kaum repräsentative - Ulla Jelpke (PDS) dürfte vielen aus der Seele gesprochen haben mit den Worten:

„ ...Wir halten fest: Das Deutsche Reich ist 1945 untergegangen. Das reaktionäre Blutrecht muss diesem Reich folgen. Es gehört vollständig abgeschafft und ersetzt durch ein wirklich modernes, demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht nach dem Territorialprinzip[19].

Ähnliche Zitate lassen sich leicht beibringen. Dass ausländische Kommentare nicht selten den Ton aufgreifen, ist schon einleitend bemerkt worden und kann nicht verwundern. Die New York Times etwa vom 11.02.1998 meint unter Germany’s Racist Resurgence“ feststellen zu können: Germany, which still reserves citizenship largely for those with German blood, has never been comfortable with immigrants“. Die Londoner Times anlässlich der hessischen Volksbefragung 1999: „Deutschland ist eines der wenigen Länder in Europa, in denen die Staatsbürgerschaft mit Blut und Erde gleichgestellt wird“. So wird in Parlament und Öffentlichkeit das Abstammungsprinzip als „völkisch“ diskreditiert, ja denunziert, wie der Autor zutreffend anmerkt[20]. Tatsächlich aber ist das Abstammungsprinzip keine deutsche Erfindung, war längst vor der Reichsgründung von 1871 in vielen deutschen Staaten geltendes Recht[21], überwiegt heute wie schon früher in Europa eindeutig und gilt in mehr als 90 % aller Staaten der Erde[22]. Nicht ohne Grund, denn die Vorteile des Geburtsprinzips sind zahlreicher als die des Ortsprinzips, für das es natürlich auch Argumente gibt. Dass in der Praxis nirgends einer der beiden Grundsätze zu 100% gilt, sondern der jeweils andere sich beigemischt findet, ist eine andere Sache; die hier nicht zu verfolgen ist. Mit „Blut“ jedenfalls hat die Angelegenheit überhaupt nichts zu tun. Dass dieses Schlagwort in und mit Bezug auf Deutschland aufkommen und Karriere machen konnte, lag natürlich an der NS-Zeit, seiner Blut-und-Boden-Rhetorik und – natürlich! – an den Nürnberger Gesetzen vom 15.09.1935[23], deren eines („Reichsbürgergesetz“) die „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ als Reichsbürger über alle anderen (gemeint: die Juden) erhebt, deren anderes („Blutschutzgesetz“) die deutschen Juden diffamiert und entrechtet. Trotz seiner blutigen Rhetorik hat selbst dieses Gesetz nichts mit Blut zu tun; es zielt vielmehr auf eine andere „Rasse“ - die Juden -, die es aber (mit Hilfe einschlägiger Verordnungen) gar nicht als „Rasse“ oder „fremdes Blut“ definieren und erfassen kann, so dass dieses „Recht“ (und die mörderische Praxis) dann auf die mosaische Religion seiner Opfer - genauer: die ihrer Vorfahren - zurückgreift[24]. Auch mit der Staatsangehörigkeit – noch viel mehr mit den Staatsangehörigen! - wurde im NS-Staat bekanntlich übel Schindluder getrieben (etwa durch Ausbürgerungen Unliebsamer, späterhin aber auch durch Zwangseinbürgerungen); das lässt sich im rezensierten Buch nachlesen. In unserem Zusammenhang bleibt es allerdings dabei, dass der Status als Deutscher oder Nicht-Deutscher mit „Blut“ nichts zu tun hat, selbst damals nicht hatte oder überhaupt hätte haben können.

 

3.         Nicht nur die zitierte Polemik ist eine Spätfolge der Hitlerzeit; auch die bange Frage, was einem Deutschen seine eigene, inzwischen wiedervereinigte Nation Wert ist und sein darf (eine Frage, wie sie einem Amerikaner, Engländer oder Franzosen nie in den Sinn käme), hat ihre Wurzel eben dort. Alle seit der Wiedervereinigung 1990 geführten Debatten über die deutsche Staatsangehörigkeit („Staatsbürgerschaft“ wurde der bald gängige Begriff, was von Münch mit einem berechtigten Fragezeichen versieht[25]), über den „Doppelpass“, über Einbürgerung, Zuwanderung usw.[26] speisen sich untergründig jedenfalls auch aus dieser mentalen Verunsicherung. Die Entscheidung, ob man die eigene Nation für ein wertvolles Gut hält, so wie andere Völker, oder in erster Linie für eine geschichtliche Bürde und Last, kann nicht folgenlos bleiben, wenn die Frage zu beantworten ist, ob die deutsche Staatsangehörigkeit großzügig ausgeteilt und zugesprochen, gesetzliche Hürden eingerissen[27], oder die gesetzlichen Prinzipien der Staatsangehörigkeit gewahrt und nur mit Augenmaß und Bedacht fortentwickelt werden sollen[28].

 

4.         So verwundert es nicht, dass Mehrfach-Staatsangehörigkeit (die viel weiter gehen kann als nur bis zum „Doppelpass“) von den einen prinzipiell begrüßt, den anderen grundsätzlich verworfen wird. Der Autor, selbst durchaus skeptisch, widmet dem Für und Wider breiten Raum[29]. Der „Doppelpass“ findet vorzugsweise auf zwei Wegen seinen Einzug: Durch § 4 (3) des StAG i.F. des Gesetzes vom 15.07.1999, der jetzt unter ziemlich leicht zu schaffenden Voraussetzungen hier geborenen Ausländerkindern die deutsche Staatsangehörigkeit zuspricht, und durch eine durchgreifende Erleichterung der Einbürgerung: „unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit“, wie § 87 des Ausländergesetzes in der Fassung vom 23.07.2004 bestimmt. Zwar sieht § 29 des StAG vor, dass Doppelstaatler kraft Geburt bei Volljährigkeit zwischen der deutschen und ihrer alten Staatsangehörigkeit wählen müssen und gegebenenfalls die deutsche verlieren. Eine entsprechende Wahlpflicht gilt auch für die Einbürgerung – als Grundsatz. Praktisch werden die Ausnahmeklauseln, die schon jetzt in großer Zahl in den Gesetzen stehen, den Gang der Entwicklung bestimmen. Der Verfasser fragt, ob die großzügige Zulassung der Mehrfach-Staatsangehörigkeit, in der schließlich eine massenhafte Privilegierung gegenüber dem „normalen“ Bürger liege, mit dem Gleichheitssatz des GG vereinbar sei, meint aber schließlich, die dem Gesetzgeber immer wieder eingeräumte Gestaltungsfreiheit werde ihn wohl vor einem Nichtigkeitsverdikt bewahren[30]. Kontrovers jedenfalls bleibt die soziologische, sozialpolitische und psychologische Frage, ob die pauschale Passverleihung – auf welchem Wege auch immer – der Integration dient oder überhaupt dienen kann[31]. Der Verfasser bezweifelt das – mit einer Fülle eindrucksvoller Gründe und Belege aus jüngerer und jüngster Praxis[32].

 

5.         Zurück zum Anfang:

Ist die Ära der Nationalstaaten – nicht nur Deutschlands – vorbei, sind sie heute nur noch (wie man so sagt) „Auslaufmodelle“ -, was dann auch für das StAG gelten würde?

Man mag dafür zunächst die EU mit ihrem Art. 17 des EG-Vertrags anführen:

 „Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt“.

Allerdings heißt es anschließend: Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Sie ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht“[33]. Vielleicht ist es auch dem Maastrichturteil des BVerfG vom 12.10.1993[34] zu verdanken, dass wie hier so auch anderswo der simplen Tatsache gedacht wird, dass es die europäischen Staaten sind, die das Rückgrat der EG/EU bilden, der die Staatsqualität abgeht und auf absehbare Zeit fehlen wird. Helmut Schmidt hatte zum „Maastricht“-Streit schon 1991 deutliche Worten gefunden: Die These vom geschichtlich erledigten Nationalstaat sei eine arrogante Intellektuellen-Attitüde, während es doch kein Volk in Europa gäbe, das bereit sei, auf seine nationale Identität zu verzichten, und zwar mit Recht nicht [35]. Die deutsche Staatsangehörigkeit bleibt also „auf der Agenda“, und man sollte ihre Entwicklung, die ihr vermutlich durch eine schwer durchschaubare, redselige, vielfach undurchdachte, hektische Gesetzgebung weiterhin aufgenötigt werden wird, mit Argusaugen verfolgen und mit kritischen Einwürfen begleiten. Das hier vorgestellte Buch wäre dafür ein nützliches vademecum, das so schnell nicht veralten wird.

 

Günter Bertram


[1] Ingo von Münch: Die deutsche Staatsangehörigkeit: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Berlin 2007, 411 Seiten, 68 Euro.

Der Verfasser, geb. 1932 in Berlin, 1973 bis1998 Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Hamburg (zuvor 1966 bis 1973 Ruhruniversität Bochum), hatte nach der Wende an der Universität Rostock gelehrt - um ein reiches Wissenschaftlerleben mit ein paar äußeren Daten zu umreißen. Wenn ich außerdem erwähne, dass von Münch ab 1958 der FDP angehört, 1985 ihr Hamburger Landesvorsitzender wurde, der FDP in der Wahl vom Juni 1987 zum Wiedereinzug in die Bürgerschaft verhalf und dass er von 1987 bis 1991 Hamburger Senator für Wissenschaft und Kultur und Zweiter Bürgermeister war, so liegt auch das nicht neben dem Thema: Der Verfasser pocht von Anfang bis Ende darauf, in seinem Buch ein hochpolitisches Thema – kein „rein wissenschaftliches“ – zu traktieren. Mit Recht, denn gerade darin liegen Farbigkeit, Fülle und Reiz.

 

[2] Einleitung S. XXXIX; auch S. 293: „Steinbruch“. Bezeichnend, wenn „Sartorius aktuell“ (78. Ergänzungslieferung) zum „Gesetz zur Änderung des Aufenthalts und weitere Gesetze vom 14.03.2005“ bemerkt, es könne in weiten Teilen als „Reparaturgesetz“ bezeichnet werden – mit Auswirkungen auf zahlreiche weitere (auch statusrechtliche) Vorschriften. Die Bauarbeiten begannen bald nach der Wiedervereinigung Deutschlands und werden schwerlich je zum Ende kommen.

 

[3] so auch v. Münch im Vorwort, S. X, Ziffer 7

 

[4] vgl. EGV vom 07.02.1992, Art. 17

 

[5]„... legal connection between citizenship and the scientifically dubious concept of German blood “, las man in der Washington Post vom 27.02.1993, zit v. Münch S.147, Fn. 447

 

[6] Eine knappe Skizze des Stoffes bietet das
Vorwort in 10 Punkten (S. VII–XI); ein konzentrierter Problemaufriss – quasi als tour d’horizont - folgt mit gut 20 Seiten in der Einführung (S. IXX-XLI).

 

[7] praktisch ab 30.01.1933; vgl. nur (anlässlich des 30.06.1934: „Römputsch“) Carl Schmitt: Der Führer schützt das Recht, DJZ 1934, 945–950. Dass der zur Herrschaft gelangte Nationalsozialismus tiefe Spuren auch im Staatsangehörigkeitsrecht hinterlassen hat (ein Stichwort neben anderen: Nürnberger Gesetze vom 15.09.1935 - „Reichsbürgergesetz“ und „Blutschutzgesetz“, vgl. Ingo von Münch (Hrsg.), Gesetze des NS-Staates, 3. Aufl. 1994 (unveränderter Nachdruck Mauke 2004), S. 119 ff), wird vom Autor im IX. Kapitel (S. 59–76) dargestellt.

 

[8] vgl. im Einzelnen Kpt. VIII (S. 412-58): Die Zeit der Weimarer Republik. Und: Hitler wird Deutscher

 

[9] näher zu diesem Hindernis kraft Verfassung s. v. Münch aaO., S. 44 f

 

[10] Nachweise bei v. Münch aaO, Anm. 144, auch 143

 

[11] über früher gescheiterte vgl. v. Münch aaO. S. 46 und dort Fn. 144

 

[12] näher v. Münch aaO. S. 43 f

 

[13] näher dazu v. Münch aaO. S. 47 f

 

[14] v. Münch aaO. S. 52; zu seinen Quellen vgl. dort Anm. 163 und 144

 

[15] v. Münch aaO. S. 54

 

[16] vgl. dazu Joachim Fest, Hitler, 1996, S. 278; Otto Gritschneider, Der Hitler-Prozess, München 2001; ders. in SZ vom 30.03.1999: Sympathisanten in Richterrobe; Wilhelm Hoegner, Die verratene Republik 1979, S. 190 f mit dem Resumee: „Nie in der Gerichtsgeschichte hat der Rechtsbruch eines Gerichts für Staat und Volk eine so verhängnisvolle Auswirkung gehabt wie der, den sich das Münchener Volksgericht  zuschulden kommen ließ.“

 

[17] vgl. dazu Alan Bullock, Hitler – Eine Studie über Tyrannen, 1959, S. 124; Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich – Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 1988, S.31–37. Da die NSDAP während Hitlers Haft ohne seine beherrschende Gegenwart verfiel und sich zerstritt, hätte entschlossenes Durchgreifen zu dieser frühen Zeit sicherlich mehr Chancen gehabt als später, wo man es mit einer mächtig ins Kraut geschossen, dynamischen Kraft zu tun hatte.

 

[18] Zitat bei v. Münch aaO, S. 146

 

[19] Zitat bei v. Münch aaO. S. 147

 

[20] so aaO. S. 146 und passim

 

[21] vgl. den römischen Begriff „ius sanguinis“- gegenüber dem „ius soli“. Dass sein Bezug auf „sanguis“ („Blut“, allerdings auch „Abkömmling“, „Kind“) verwirrt hätte, ist zu bezweifeln; 2000 Jahre lang hat er niemanden irre geführt.

 

[22] vgl. v. Münch aaO, S. 151 mit Fn. 465 f, sonst dazu Kpt. XV. – XVI. passim

 

[23] zu den Texten s.o.  Anm. 7)

 

[24] näher v. Münch aaO. S. 62 f

 

[25] v. Münch aaO. S. XX ff, 17 ff

 

[26] ausführlich dazu v. Münch aaO. insb. Kapitel XIII –XVII und XX

 

[27] man könnte diese Haltung auf die spitze Formel bringen: wenn man schon deutsch sein müsse, sei es jedenfalls besser, dieses Schicksal mit möglichst vielen zu teilen.

 

[28] dazu v. Münch aaO. S. 128 mit Fn. 406

 

[29] vgl. v. Münch aaO. insb. Kap. XVII, S. 159 ff

 

[30] vgl. v. Münch aaO. S. 185; zum Ganzen S. 159 ff

 

[31] Reiches Erfahrungsmaterial, das tiefste Skepsis rechtfertigt, bei Stefan Luft: Ausländerpolitik in Deutschland, 2. Aufl. 2003, dort z.B. „Die doppelte Staatsangehörigkeit“, „Integration erfolgt nicht automatisch“ und „Ich-Schwäche deutscher Integrationspolitik“, S. 343 – 356 und passim.

 

[32] Die Vielzahl anschaulicher Belege macht einen besonderen Reiz des Buches aus. Dementsprechend schreibt Prof. Fritz Sturm (in „Das Standesamt“ Nr. 61/3, S. 88) in seiner Rezension u.a.: „... Überall ist das Tagesgeschehen präsent, gleich ob es um Spitzensportler, Sprachtests, das Stadt-Land-Fluss-Spiel, Treueeid, feierliches Bekenntnis, Übergabe der Einbürgerungsurkunde, Deutschenmacher Jürgen Hass oder Beanspruchung von Sozialleistungen durch Unionsbürger geht. Auf Schritt und Tritt begegnet man der FAZ“.

Am 10.02.2008 – dem Tag der Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Köln vor einer großen Menge durch eine Falschmeldung in Erregung versetzter Landsleute – lag v. Münchs Buch längst vor. Sonst hätten Erdogans Ausfälle gegen das Menschheitsverbrechen Integration/Assimilation dort gewiss noch einen prominenten Platz bekommen, vgl. auch Erdogans Abschwächungsversuch im Interview mit der FAZ vom 13.03.08 („Der Westen, der Westen, der Westen“), wo er auf die Frage: „Gegenüber wem sollen sie (scil: die 800 000 Türken mit deutschem Pass) loyal sein – gegenüber Deutschland oder der Türkei?“ nun ausweichend erklärt: „Im Grunde genommen sollten sie gegenüber beiden loyal sein“.

 

[33] vgl. v. Münch aaO. Kap. XXV: „Staatsangehörigkeit und EU-Bürgerschaft“

 

[34] vgl. NJW 1993, 3047 - 3058; zum Thema EU - Nationalstaat vgl. auch von Arnim: Wohin treibt Europa? NJW 2007, 2531.

[35] Deutschlands Rolle im neuen Europa in: Europa-Archiv 21/1991; Quelle bei Hans Schauer: Europa der Vernunft – Kritische Anmerkungen nach Maastricht, 1993, S. 20