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Buchbesprechung

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144 S., 12 Abb., 20,5 x 12 cm, geb., 12,90 €; ISBN 978-3-86108-996-4; Erscheinungsdatum: April 2007

Der wohl allen Hamburger Kollegen bekannte Gerichtsreporter des „Hamburger Abendblatts“ Ralf Nehmzow hat ein Buch geschrieben, in dem er eine Auswahl von 56 Berichten über teils kuriose und teils tragische Gerichtsverhandlungen veröffentlicht. Nehmzow war Autor u.a. bei der „Welt am Sonntag“ und berichtete aus Hamburg, Berlin, Frankfurt und Washington. Seit 1994 ist er Redakteur beim „Hamburger Abendblatt“. Die Illustratorin des Buches, Nancy Tilitz, stammt aus Hamburgs Partnerstadt Chicago und lebt als freie Künstlerin ebenfalls in Hamburg.

Eine Lesung zum Buch mit Martin Wilhelmi und Gerhard Strate als Vortragenden wird der KommuVerein zusammen mit der Buchhandlung Mauke am 17.04.2007 um 19:00 Uhr im Plenarsaal des Ziviljustizgebäudes veranstalten. 

Die von Nehmzow beschriebenen Fälle spielen durchweg vor Hamburger Gerichten, in der Regel vor den Strafabteilungen des Amtsgerichts, gelegentlich auch vor den Zivilgerichten. Die Sachverhaltsschilderungen sind von einer Kürze und Prägnanz, wie man sie manchem Urteilstatbestand wünschen möchte (wenn dem nicht gelegentlich rechtliche Gründe entgegenstehen würden). Kleine Häppchen - die Berichte sind in der Regel zwei kurze Seiten lang - können deshalb gut mal so zwischendurch gelesen werden. In der Regel handelt es sich nicht um spektakuläre Fälle und schon gar nicht um vom Autor zum Spektakel aufgebauschte Fälle. Vielmehr geht es um menschliche Begebenheiten in den unterschiedlichsten Lebensfacetten. Die Fälle sind in unterschiedlichem Maße lesenswert; manche leben nur von der laxen Ausdrucksweise des jeweiligen Richters, andere von der Erscheinungsweise des Angeklagten.

Der Verlag hat aus den 56 Titeln des Inhaltsverzeichnisses folgende Geschichten besonders hervorgehoben:

Die Leuchtwäsche und die Tänzerin

HSV-Fans mit reinem Gewissen?

Der raue Wind von St. Georg

Gedächtnislücke nach Sex-Party

Der feine Baumsäger vom Falkenstein

Pizza-Fahrer gegen Dreikäsehoch

„Warum parken Sie Ihr Auto nicht in München?“

Rentner kollidiert mit Autowerkstatt

Frustzündeln nach der Weihnachtsfeier

Tödliches Hobby

Mysterium eines Millionengeschäfts

Blutiges Schäferstündchen am Elbdeich

Ausgerechnet auf der Reeperbahn

Ich habe das Pferd nicht gestohlen!

Die Teufelsaustreiberin

Fälle mit Bäumen scheinen besonders häufig vor den Strafgerichten zu landen: zu dem bereits aufgelisteten Baumsäger vom Falkenstein gesellen sich ein Pärchen, das zum Protest gegen das Waldsterben den Weihnachtsbaum am Mönckebergbrunnen malträtiert hat, sowie ein Hundebesitzer, der auf der Reeperbahn seinen Kampfhund derart gegen einen Baum hetzte, dass der Hund die ganze Borke abriss.

Wie es sich für Hamburg gehört, kommt auch das Maritime nicht zu kurz und wird die Kollision zwischen einem Hafenschlepper und einer Elbfähre behandelt, die zur Anklage des Schlepperkapitäns führte.

Folgender Fall sei aus dem Buch gesondert herausgegriffen und im Volltext wiedergegeben, weil er mit unserem Berufsstand besonders verbunden ist, denn ein Richter ist darin in besonderer Weise Zeuge. Vorangestellt ist eine Illustration von Nancy Tilitz:


Von der Party in die Zelle

Von „Partylümmeln“ und „Flohzirkus“ spricht der Amtsrichter, als der die Akte aufklappt - ein Fall mit bizarrem Hintergrund. Es geht um eine rauschende Party bei einem Ex-Rechtsreferendar und jetzigem Richter, Sohn eines früheren Gerichtspräsidenten. Die Polizei, einst von einem Nachbarn zur Party wegen Ruhestörung gerufen, nahm zwei der Angetrunkenen fest und ließ sie bis zum Morgen in einer Zelle „zur Ausnüchterung“ - unter anderem jenen Rechtsreferendar und heutigen Richter. Freiheitsberaubung, lautet die Anklage gegen Polizeihauptkommissar Thomas R. (35). Er war an jenem 1. Februar verantwortlicher Reviereinsatzführer. Um 2.30 Uhr wurden die Partygäste festgenommen, gegen 5.30 Uhr kamen sie frei.

Rückblende: Feuchtfröhlich feierte der angehende Volljurist mit Freunden seine bevorstehende Fernreise. Bei der ersten Lärmstörung zogen die Beamten wieder ab. Doch: Die beschwingten Juristen mochten auf die laute Musik nicht verzichten. Beim zweiten Mal eskalierte das Geschehen: Der Herr Rechtsreferendar „war uneinsichtig“, erinnert sich ein weiterer Polizist, der damals mit vor Ort erschien: „Es war massiv laut.“ Man habe einen Partygast festgenommen, weil er renitent wurde. Als der Referendar protestierte, indem er „rumpöbelte und an meiner Kleidung zog“, kam auch er in Haft.

Der Referendar habe später auf der Wache gesagt, „ob wir wüssten, dass er Sohn eines Gerichtspräsidenten sei, und gemeint, wir könnten froh sein, wenn wir bald überhaupt noch Tickets auf der Straße schreiben dürften“, erinnert sich der Angeklagte. Der Amtsrichter grübelt: „Nur“ rund 1,1 Promille Alkohol hätten die Festgenommenen im Blut gehabt - warum man sie über Stunden in der Zelle zur Ausnüchterung festhielt, obwohl die Ruhestörung längst beseitigt war, will der Richter wissen. Der Angeklagte hält sich für unschuldig und sucht Erklärungen: Man habe Personalien feststellen müssen, und dann rief der Papa des in Haft Genommenen an, der besagte Herr Gerichtspräsident. Aber „der Vorgang musste gefertigt werden, unser EDV-System ist auch nicht das schnellste“.

Wegen des Vorfalls war bereits früher ein Strafverfahren (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) gegen den aufmüpfigen Ex-Rechtsreferendar gegen die Zahlung von 1.000 Euro Geldbuße eingestellt worden. „Richter“, gibt dieser nun als Zeuge dem verdutzten Amtsrichter als Beruf an, als er im Prozess gegen den Kommissar aussagen soll. Es sei damals bei dem Vorfall „unschön von beiden Seiten gewesen“, räumt er kleinlaut ein. In Handschellen kam er auf die Wache – „Das war ein Schock!“

Die Staatsanwältin fordert 1.800 Euro Geldstrafe, der Verteidiger Freispruch. Das Urteil: Thomas R. wird schuldig gesprochen und verwarnt. Die Verurteilung zu 1.550 Euro Geldstrafe wird vorbehalten. Das bedeutet: „Geldstrafe auf Bewährung“. Die Betroffenen so lange festzuhalten, dazu bestand kein Anlass, so der Richter: „Sie haben Bürgern die Freiheit genommen.“

Wolfgang Hirth