(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/05, 9) < home RiV >

Urlaubswiderruf als unzulässige Maßnahme der Dienstaufsicht

 

Urteil des Schleswig-Holsteinischen Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Kiel vom 01.02.2005 (Az.: 27-1 DG 1/04; nicht rechtskräftig)

 

Leitsatz:

Ein Urlaubswiderruf mit dem Ziel, einen Richter zur beschleunigten Absetzung eines in einer mündlichen Verhandlung verkündeten Beschlusses in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anzuhalten, stellt einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit und damit eine unzulässige Maßnahme der Dienstaufsicht dar, soweit die spätere Absetzung des Beschlusses keine gesetzlichen Fristen verletzt.

 

Entscheidungsgründe

...

Nach ständiger Rechtsprechung des Dienstgerichtes des Bundes, der sich das erkennende Gericht anschließt, unterliegt die richterliche Amtsführung insoweit der Dienstaufsicht, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufes, die äußere Form der Erledigung der Amtsgeschäfte oder um solche Fragen geht, die dem Kernbereich der Rechtsprechung soweit entrückt sind, dass sie nur als zur äußeren Ordnung gehörig anzusehen sind (vgl. BGH NJW 1988, 421 m.w.N.).

Die Gewährung oder Versagung von Erholungsurlaub und dementsprechend auch der Widerruf bereits gewährten Erholungsurlaubes ist demnach eine grundsätzlich zulässige Maßnahme der Dienstaufsicht. Dieses gilt auch für die Urlaubsabwicklung von Richtern, weil auch insofern die Entscheidung über die Unterbrechung der Dienstgeschäfte zum Zwecke eines Erholungsurlaubes von Gesetzes wegen dem Dienstvorgesetzten und nicht dem einzelnen Richter anvertraut ist.

Die gemäß § 6 Abs. 1 LRiG i. V. m. § 105 Abs. 1 S. 2 Landesbeamtengesetz auch für Richter geltende Erholungsurlaubsverordnung macht die Gewährung und Abwicklung des Urlaubes von der Gewährleistung des Dienstbetriebes abhängig.

Die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes eines Gerichts zur Sicherstellung des Justizgewährungsanspruches ist keine Einflussnahme auf den Kernbereich richterlicher Tätigkeit. Allein in der Gewährung oder Versagung eines beantragten oder dem Widerruf eines bewilligten Urlaubes kann vom Grundsatz her ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit nicht gesehen werden (vgl. NJW 1988, 1094).

Der grundsätzlich zulässige Urlaubswiderruf wird vorliegend aber dadurch zu einer Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit des Antragstellers (RiVG), weil der Antragsgegner (Präsident des VG) damit Einfluss auf die Sachbehandlung eines konkreten Verfahrens genommen hat, indem er mit dem Widerruf unstreitig den Zweck verfolgte, den Antragsteller zur kurzfristigen Absetzung der Beschlussgründe in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren 10 B 144/04 zu veranlassen. Damit hat der Antragsgegner die Urlaubsgewährung von einer ganz bestimmten Art und Weise der Erledigung seiner richterlichen Aufgaben durch den Antragsteller abhängig gemacht und damit die Ausführung der Dienstgeschäfte des Antragstellers inhaltlich beeinflusst.

Diese Einflussnahme auf die Art und Weise der Erledigung eines konkreten Dienstgeschäftes ist zugleich eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit für den Antragsteller. Der Dienstvorgesetzte eines Richters darf zwar Maßnahmen treffen, um die gesetzmäßige Erledigung der richterlichen Aufgaben grundsätzlich zu gewährleisten. Er darf aber nicht einzelfallbezogene Regelungen für die richterliche Sachbehandlung treffen, die das Gesetz dem Richter nicht auferlegt, weil dieser gemäß Art. 97 Abs. 1 GG nur dem Gesetz unterworfen ist.

 Insofern unterscheidet sich der streitgegenständliche Urlaubswiderruf grundsätzlich von dem Sachverhalt, der dem Urteil BGH NJW 1988, 1094 zu Grunde lag. In jenem Verfahren bezweckte der Urlaubswiderruf die Einhaltung der Frist des § 275 Abs. 1 StPO, weil die drohende Fristüberschreitung für das Absetzen der Urteilsgründe gemäß § 338 Nr. 7 StPO einen absoluten Revisionsgrund darstellt.

Die Verpflichtung des Richters gemäß § 275 Abs. 1 StPO innerhalb mehrerer Monate ein Strafurteil abzusetzen, gehört zur gesetzlich normierten äußeren Ordnung strafrichterlicher Tätigkeit. Eine unverzügliche Beschlussabsetzung vor Antritt seines Erholungsurlaubs war dem Antragsteller vorliegend jedoch von Gesetzes wegen nicht geboten.

Entgegen seiner geltend gemachten Rechtsansicht war der Antragsgegner gerade nicht berechtigt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Antragsteller dazu anhalten, den Beschluss kurzfristig abzusetzen oder ihm jedenfalls eine kurzfristige Beschlussabsetzung zu ermöglichen, weil insoweit eine gesetzliche Pflicht des Antragstellers nicht bestand. Insbesondere ergibt sich eine solche Pflicht für den Antragsteller auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG.

Der Dienstaufsichtsbeschwerdeführer hätte als Antragsteller des Sozialhilfeverfahrens unmittelbar nach der Verkündung des ablehnenden Beschlusses in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren 10 B 144/04 noch am Tage der mündlichen Verhandlung Beschwerde einlegen können.  ... (wird ausgeführt) ...

Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller tatsächlich, wie nunmehr vom Antragsgegner geltend gemacht wird, in der mündlichen Verhandlung zu Unrecht den Anschein erweckt habe, die Einlegung einer Beschwerde sei von der Vorlage vollständig abgesetzter Beschlussgründe abhängig. Auch zur Abwehr dieses möglicherweise bei dem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer durch den Antragsteller erweckten unzutreffenden Eindrucks hinsichtlich der Rechtslage, war der Antragsgegner nicht berechtigt, auf den Antragsteller zum Zwecke kurzfristiger Beschlussabsetzung einzuwirken.

Im Übrigen war das von dem Antragsgegner bezweckte Absetzen der Gründe nicht erforderlich, um für den Dienstaufsichtsbeschwerdeführer den Justizgewährungsanspruch in erster Instanz zu verwirklichen und ihm den Zugang zur Rechtsmittelinstanz zu eröffnen. Vielmehr hätte der Antragsgegner die Dienstaufsichtsbeschwerde zum Anlass nehmen können, den Dienstaufsichtsbeschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass er bereits gegen den verkündeten Beschluss Beschwerde einlegen kann. Auch insoweit kann es dahinstehen, welchen Eindruck der Antragsteller bei dem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer über die ihm zustehenden Rechtsmittel erweckt hat, weil jedenfalls ein zutreffender Hinweis des Antragsgegners auf die Rechtslage zu den Rechtsmitteln ausgereicht hätte, um eine Überprüfung des Beschlusses durch das Oberverwaltungsgericht zu ermöglichen.

Nach alledem war der Urlaubswiderruf zur Gewährleistung des Dienstbetriebes weder geeignet noch erforderlich. Die sachliche Rechtfertigung einer Dienstaufsichtsmaßnahme ist jedoch zwingende Voraussetzung für ihre Zulässigkeit gemäß § 26 Abs. 1 DRiG (vgl. GKÖD, § 26 DRiG). Mit dieser Einflussnahme auf die Absetzung des Beschlusses hat der Antragsgegner auch in den Kernbereich richterlicher Tätigkeit des Antragstellers eingewirkt.

Das Absetzen der Entscheidung gehört zu den eigentlichen richterlichen Dienstgeschäften (vgl. NJW 1988, 1094). Die Begründung einer Entscheidung ist nicht allein dem sogenannten Bereich der äußeren Ordnung der richterlichen Tätigkeit zuzuordnen, die der Dienstaufsicht unterliegen kann. Zur Art der Ausführung der richterlichen Amtsgeschäfte gehört es, dass der Richter überhaupt Sachentscheidungen trifft und seine Entscheidungen begründet. Indessen ist es eine inhaltliche Frage der Amtsführung, mit welcher Argumentation und mit welcher Ausführlichkeit eine Entscheidung begründet wird. Es gehört zum Kern der richterlichen Tätigkeit, in den Gründen einer Entscheidung darzulegen, wie die entscheidungserheblichen Tatsachen gewürdigt wurden, welcher Rechtsauffassung das Gericht folgen will und ob möglicherweise in Rechtsstreitigkeiten von grundsätzlicher Bedeutung den Beteiligten über den Einzelfall hinausgehende Rechtsausführungen als Hinweis gegeben werden sollen.

Diese inhaltliche Unabhängigkeit des Richters ist untrennbar verbunden mit seiner Organisationsfreiheit, Zeit, Ort und Umfang des Absetzens der Begründung unbeeinflusst von äußeren, dem Gesetz nicht innewohnenden Vorgaben, zu bestimmen. Insoweit sind allein die Vorgaben des Prozessrechtes zu beachten. Unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben muss der Richter frei sein in seiner Zeiteinteilung zur Absetzung der Gründe, die er im Übrigen mit der Erledigung seiner sonstigen Dienstgeschäfte abstimmen muss. Dabei obliegt es alleine dem Richter und gehört zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit, die Prioritäten zu setzen.

Der Versuch, den Richter in einer seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigender Weise zu einer bestimmten Art der Erledigung der Dienstgeschäfte zu veranlassen, ist unzulässig (BGH, NJW 1988, 421). Insbesondere ist die Ausübung von Zeitdruck zur bevorzugten Erledigung einer bestimmten Rechtssache unzulässig. Wegen der Zweckbildung des Urlaubswiderrufs war auch nicht nur die Freizeitgestaltung des Antragstellers betroffen, sondern inhaltlich seine Richtertätigkeit, unabhängig davon, dass der Beschlusstenor wegen der vorangegangenen Verkündung nicht mehr beeinflusst werden konnte.