(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/04, 46) < home RiV >

Zusammenarbeit im Bereich Justiz/Inneres

in Europa und Norddeutschland

 

Unter diesem Thema diskutierten am 21. Oktober 2004 der Landesfachausschuss Justiz der Hamburger CDU, der Landesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen und die Arbeitsgruppe Recht der CDU-Bürger-schaftsfraktion mit RA Dr. Christian von Boetticher, Mitglied des Europäischen Parlaments 1999 - 2004 und dort tätig im Ausschuss für Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten.

Die Europäische Union wird zunehmend in den Bereichen Justiz und Inneres, den klassischen Hoheitsbereichen der Mitgliedstaaten, tätig. Dies geschieht nicht aus Langeweile oder falsch verstandener Harmonisierungswut. Vielmehr ist diese Entwicklung der weit gehenden Öffnung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten und einer - auch - dadurch stark zunehmenden internationalen Kriminalität geschuldet. Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und andere Bereiche sind überwiegend in Händen organisierter Tätergruppen, die bewusst grenzüberschreitend arbeiten und sich damit häufig dem Zugriff einzelner Behörden entziehen. Hier ist eine europaweit koordinierte Polizei- und Justizzusammenarbeit zwingend erforderlich; nationale und regionale Egoismen sind keinesfalls mehr zeitgemäß oder sachgerecht.

Gleichzeitig werden die finanziellen Spielräume in den öffentlichen Haushalten auch in Hamburg und Schleswig-Holstein tendenziell eher geringer. Der Staat ist daher gezwungen, zunehmend Aufgabenkritik zu betreiben und es muss politisch festgelegt werden, welche Leistungen noch erbracht werden können. Dabei wird es in vielen Bereichen zu Abstrichen kommen, vor allem im Bereich der „freiwilligen Leistungen“ und bei den sog. Zuwendungen. Zunehmend ist aber auch die Frage zu stellen – und rasch zu beantworten –, wo die Grenze dieser Reduzierung liegt, wo also der Kernbereich der staatlichen Aufgaben liegt, in den nicht eingegriffen werden kann und darf, soll nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Legitimität des Staates irreparabel geschädigt werden.

Zu diesem Kernbereich zählen unzweifelhaft die Bereiche Justiz und Inneres. Dies folgt aus dem Gewaltmonopol des modernen Staates, dessen Kehrseite für die Bürgerinnen und Bürger der Anspruch auf Sicherheit und Rechtsgewährung ist. Hier kann es nur sehr begrenzt darum gehen, Aufgaben zu reduzieren. Vielmehr muss die Frage beantwortet werden, wie sich ein hohes Maß an Sicherheit und eine schnelle, verlässliche Rechtsgewährung mit den zur Verfügung stehenden – und künftig weiter sinkenden – Mitteln realisieren lässt. Gleichzeitig sind die - erwähnten - Herausforderungen in einem wachsenden und immer offenerem Europa zu meistern.

Eine Anzahl von Vorschlägen war im Vorwege von einer kleinen Arbeitsgruppe von Jurist(inn)en aus unterschiedlichen Berufsfeldern gesammelt worden und lag den Teilnehmern der Veranstaltung zur Stellungnahme vor. Teile der Einleitung und die Liste der Vorschläge werden im Folgenden zur Diskussion gestellt:

„Zunächst sind dabei alle Möglichkeiten der Binnenrationalisierung auszuschöpfen – von moderner Technik allerorten (z. B. EDV, Funkgeräte) bis zu der Überlegung, ob bestimmte Aufgaben wirklich von den Personen erledigt werden müssen (z. B. reine Bewachungsaufgaben), die es jetzt tun, oder ob diese nicht entsprechend ihrer höheren Qualifikation besser und effizienter einzusetzen sind. Einfachere und überschaubare Aufgaben wären dann von weniger teuer ausgebildeten und bezahlten Kräften wahrzunehmen.

Daneben ist aber auch nach Möglichkeiten zu suchen, extern zu rationalisieren, d. h. hier über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus. Dies geschieht schon in einigen Bereichen der Zusammenarbeit (z. B. Rechtspflegerausbildung in Hildesheim, Höherer Polizeidienst in Hiltrup) zwischen mehreren bzw. allen Ländern, stößt aber auch an natürliche Grenzen. Die wirtschaftlich optimale Größe wird schnell überschritten, wenn Einrichtungen aus 16 Ländern zusammen arbeiten wollen, von anderen Hindernisse ganz zu schweigen. Vielmehr zeigen sich die besten Effekte gerade bei einer Zusammenarbeit zwischen wenigen und benachbarten Ländern, die nach Geografie, Struktur und Mentalität viele Gemeinsamkeiten haben und so bestimmte innere Widersprüche von vornherein vermeiden können.

Zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein etwa besteht auf vielen Gebieten seit Jahren eine enge Zusammenarbeit auf vielen Bereichen, auch bei Justiz/Strafvollzug und Polizei:

Ø   gemeinsames Prüfungsamt für das Zweite Juristische Staatsexamen,

Ø   gemeinsame Nutzung von Haftanstalten,

Ø   „grenzüberschreitende“ Polizeieinsätze bei Großdemonstrationen oder im Verkehrsbereich (Autobahnen).

Aus der räumlichen Nähe und der engen historischen Verbundenheit der beiden Länder, den vielfältigen wirtschaftlichen Verflechtungen und den gemeinsamen Problemstellungen, z. B. aus der Erweiterung der EU im Ostseeraum, sowie aus den beiderseits bestehenden finanziellen Zwängen lässt sich ohne Schwierigkeiten der Ansatz herleiten, zukünftig verstärkt zusammenzuarbeiten. Dies geschieht am Besten nicht nur punktuell, sondern zur Erzielung dauerhafter struktureller Einsparungen ohne Abstriche an der Qualität der staatlichen Leistungen durch Errichtung und Nutzung gemeinsamer Institutionen.

Diese sollen gemeinsame Interessen und Bedürfnisse bündeln und kostengünstig die definierten Aufgaben lösen. Dabei darf die Zusammenlegung nicht zu einem Selbstzweck oder einer „Manie“ werden, sondern ist in jedem Einzelfall gründlich und sachgerecht zu prüfen. Dabei sind zu berücksichtigen:

Ø   Effizienzeffekte (optimale Größe),

Ø   kurz- und langfristige finanzielle Auswirkungen,

Ø   Folgen für die betroffenen Nutzer (vor allem Bürgerinnen und Bürger, z. B. Ortsnähe),

Ø   Folgen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Neben der gründlichen wirtschaftlichen Prüfung sind deshalb in jeder Phase die potentiell Betroffenen einschließlich der jeweiligen Personalvertretungen in die Diskussion einzubeziehen und sachgerecht zu beteiligen – dies gilt natürlich auch für politische und ehrenamtliche Gremien auf allen Ebenen.

Vor diesem Hintergrund ist die anhängende Liste nicht als vollständiger, abschließender Katalog zu betrachten, aber auch nicht unbedingt als Aufstellung zeitlich prioritärer Maßnahmen. Sie stellt vielmehr eine aus den Anregungen und Erfahrungen einiger Kolleginnen und Kollegen zusammen gestellte Auswahl möglicher und sinnhafter Projekte dar und kann jederzeit überarbeitet und ergänzt werden.

Generell: alle Querschnittaufgaben, die nicht unmittelbar politische Bedeutung haben oder besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegen (Intendanzbereiche).

 

Justiz:

 

Ø Zusammenlegung von Obergerichten

Ø Zusammenlegung von Registern/ -gerichten

Ø Zusammenlegung des Mahnwesens

Ø Zusammenlegung des Gerichtsvollzieherwesens

Ø Zusammenlegung der zentralen Verwaltungsbereiche

o     Personalverwaltung,

o     Revisoren,

o     Justizkasse,

o     Gebäudemanagement,

o     Justizmodernisierung / Organisation,

o     Controlling,

o     Justitiariat,

o     soziale Dienste

Ø Angleichung der Informationstechnik (Hard- und Software)

Ø Zusammenlegung des Fortbildungswesens

Ø Gemeinsame Ausbildung des mittleren/gehobenen Justiz-/ Justizvollzugsdienstes

Ø Strukturierte gemeinsame Nutzung von JVAen

Ø Gemeinsame Personalbeschaffung und -entwicklung

Ø Vereinheitlichung der juristischen Ausbildung ab dem Ersten Staatsexamen – Gemeinsames Prüfungsamt 1. Ex. (für den staatlichen Pflichtteil)

Ø Gemeinsames Beschaffungswesen, soweit kartellrechtlich zulässig

Ø Überprüfung der Grenzen der Gerichtsbezirke

Ø Zusätzlich gemeinsame BR-Initiative: Personalverantwortung der RichterInnen für ihr Geschäftsstellenpersonal Inneres / Polizei

Ø Zusammenlegung der zentralen Verwaltungsbereiche

o   Personalverwaltung,

o   Gebäudemanagement,

o   Verwaltungsmodernisierung und Organisation,

o   Controlling,

o   Justitiariat.

Ø Gemeinsame Ausbildung des mittleren/gehobenen Polizeivollzugsdienstes/Feuerwehr

Ø Zusammenlegung des Fortbildungswesens

Ø Zusammenlegung von Verfassungs- und Datenschutzämtern/LKA

Ø Gemeinsame Bereitschaftspolizei

Ø Gemeinsames Beschaffungswesen, soweit kartellrechtlich zulässig“.

Einige dieser Punkte wurden bereits von den Landesregierungen in Hamburg und Schleswig-Holstein aufgegriffen und in eine Vereinbarung eingebracht. In der Diskussion am 21. Oktober 2004 fand sich eine breite Unterstützung für die Kernaussagen. Hingewiesen wurde vor allem darauf, dass sich Effizienzgewinne in der Praxis aus unterschiedlichen Gründen weniger leicht realisieren lassen als in der Theorie, und dass deshalb alle Vorhaben sorgfältig und umfassend „durchgerechnet“ werden müssten. Betont wurde auch die teilweise schon bestehende gute Zusammenarbeit der Länder, die weitere erfolgreiche Projekte möglich machen sollte, z.B. in der Finanzverwaltung beim Versand von Bescheiden oder der Fortbildung. Besonders im Bereich der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit wurde auf bestehende Erfahrungen (Zollsenat des FG Hamburg) und mögliche Steigerungen auch der Entscheidungsqualität - mehr Fälle nach Zusammenlegung, vgl. OVG Münster - verwiesen.

 

Bestehende Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern, etwa bei der Ausbildung der Gerichtsvollzieher, könne bestehen bleiben, solle aber in jedem Einzelfall überprüft werden. Gleichzeitig wurde angeregt, bestimmte Funktionsbereiche gezielt in sog. strukturschwache Regionen zu (ver)legen, auch um nicht den Verdacht einer Hamburger Dominanz zu schüren. Besondere Unterstützung aus der gerichtlichen Praxis erfuhr der Vorschlag, Richter/innen für ihr Geschäftsstellenpersonal die Personalverantwortung zu übertragen.

Die Verfasserinnen und Verfasser des Diskussionspapiers, das in verschiedenen Gremien in beiden Bundesländern vorliegt, sind sehr daran interessiert, weitere Vorschläge und Anregungen gerade auch aus dem Leserkreis der MHR, also der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis, zu erhalten. Vielleicht nutzen Sie die Ruhe „zwischen den Jahren“ auch, um uns ein wenig Futter zu liefern für die weitere Diskussion in und mit der Politik. Oder Sie warten bis Sylvester und geben uns dann ordentlich „Zunder“ ... Wir freuen uns darauf! Sie erreichen uns über die Redaktion der MHR oder per e-mail: hape-law-hh@t-online.de.

 

RA Hans Arno Petzold