(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/03, 34) < home RiV >

eine Reise nach Italien

 

Zur Zeit wird in der Bundesrepublik intensiv über die Selbstverwaltung der Justiz debattiert. Erinnert sei nur an die Diskussionen auf dem 64. Deutschen Juristentag und dem 18. Deutschen Richter- und Staatsanwaltschafttag. Auch das Papier des Deutschen Richterbundes zur Selbstverwaltung der Justiz hat die laufende Auseinandersetzung beflügelt. Da lohnt es sich vielleicht, einmal über den Tellerrand zu schauen, um zu sehen, wie andere Staaten mit der Selbstverwaltung der Justiz umgehen. (Einen Überblick findet der interessierte Leser in der DRiZ 2003, S. 44, 45)

Da es im Rahmen einer kürzeren Abhandlung nicht möglich ist, alle bestehenden Regelungen darzustellen, habe ich Italien ausgewählt, weil dort die richterliche Selbstverwaltung neben Frankreich am längsten besteht. Darüber hinaus haben Portugal und Spanien nach Überwindung der bestehenden Diktaturen das italienische Modell übernommen

 

GRUNDPRINZIPIEN DER UNABHÄNGIGKEIT

 

Nach der italienischen Verfassung ist die Richterschaft unabhängig, unabsetzbar und autonom (Art. 104, 107). Diese Autonomie und Unabhängigkeit billigt die Verfassung auch den Staatsanwälten zu (Art. 107, 112), die in Italien in vollem Umfang den Richter gleich stehen. Sie sind insbesondere nicht weisungsgebunden. Neben der alleinigen Unterwerfung und Bindung an das Gesetz (Art. 101, 112 für die Staatsanwälte) und der Unabsetzbarkeit (Art. 107), billigt die Verfassung den Richtern und Staatsanwälten gegenüber der Exekutive ihre Unabhängigkeit zu, die darin zum Ausdruck kommt, dass die Personalverwaltung umfassend einem Selbstverwaltungsorgan, dem CSM (Consiglio Superiore della Magistratura), übertragen ist (Art. 105).

 

DER OBERSTE RICHTERRAT

 

Diesem Selbstverwaltungsorgan obliegt es, die eigenen Haushaltsmittel zu verwalten, Richter und Staatsanwälte einzustellen, zu entscheiden, wo sie tätig werden, Beförderungen und Disziplinarmaßnahmen auszusprechen und Versetzungen vorzunehmen (Art. 105). Eine bestimmte Mitgliederzahl schreibt die Verfassung für den CSM nicht vor. Zur Zeit besteht er aus 27 Mitgliedern. Kraft Gesetzes sind Mitglieder:

-  Der Präsident der Republik als Vorsitzender,

-  Der Präsident des Kassationsgerichtshofes und

-  Der Generalstaatsanwalt am Kassationsgerichtshof (Art. 104).

Von den verbleibenden 24 Mitgliedern werden 2/3 (=16) unter paritätischer Berücksichtigung der verschiedenen Gerichtszweige und –regionen aus dem Kreis der Richter und Staatsanwälte gewählt.

1/3 (=8) der Mitglieder werden in einer gemeinsamen Sitzung von beiden Kammern des Parlaments bestimmt. Wählbar sind Universitätsprofessoren und Anwälte mit mehr als 15-jähriger Berufspraxis. Unvereinbar mit der Mitgliedschaft im CSM ist die gleichzeitige Tätigkeit als Anwalt oder die Mitgliedschaft in einem Parlament.

Nach einer Amtsperiode von vier Jahren ist eine direkte Wiederwahl nicht möglich (Art. 104).Der Justizminister kann an den öffentlichen Beratungen des CSM teilnehmen und Erklärungen abgeben, ist aber von den Beschlußfassungen ausgeschlossen.

 

Der CSM übt zwar Verwaltungstätigkeit aus, ohne jedoch als Selbstverwaltungsorgan der Justiz Teil der öffentlichen Verwaltung zu sein. Seine Machtbefugnisse werden wiederum kontrolliert durch die an den Berufungsgerichten bestehenden Richterräten (consigli guidiziari), die alle zwei Jahre von den dort tätigen Richtern und Staatsanwälten gewählt werden. Diese Richterräte sind insbesondere beteiligt an der Beschlußfassung des CSM zur „Geschäftsverteilung“ und der Zuweisung der Richter und Staatsanwälte zu den einzelnen Gerichten. Weil das italienische Recht eine „Geschäftsverteilung“ wie in Deutschland nicht kennt, wird in einem relativ komplizierten Verfahren durch den CSM unter Beteiligung der Richterräte nach vorhergehender Prognose jährlich neu eine Stellenbedarfsplanung und –zuweisung vorgenommen.

 

RICHTERAUSBILDUNG

 

Da der CSM auch zuständig ist für die Einstellung der Richter, sei noch darauf verwiesen, dass derzeit in Italien ähnlich wie in Deutschland die Juristenausbildung reformiert wird, weil die bisherige universitäre Ausbildung den Anforderungen nicht mehr genügt. Dabei spielt sicher auch der Umstand eine Rolle, dass in Italien ca. 80% der Studienabgänger nach dem Examen keinen juristischen Beruf ergreifen. Ca.11 % arbeiten nach dem Studium als Rechtsanwälte oder Notare und lediglich ca. 6% als Richter und Staatsanwälte. Beabsichtigt ist, einem 3-jährigen Grundstudium mit Abschluß ein „Aufbaustudium“ folgen zu lassen, dass für alle an der Rechtsprechung beteiligten Berufe, also Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare, obligatorisch ist. So soll bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung eine Qualitätsvereinheitlichung der juristischen Berufe erreicht werde. Auch das „Aufbaustudium“ muß mit einem Examen abgeschlossen werden.

Um Richter werden zu wollen, gibt es zwei Wege, die beide die „Wahl“ durch den CSM voraussetzen:

Ein Rechtsanwalt, der noch keine 45 Jahre als ist und über mindestens 5 Jahre Berufserfahrung verfügt, kann sein Berufung in das Richteramt beantragen.

Ein Studienabgänger kann die Übernahme in das mindestens 1-jährige Referendariat und nach erfolgreicher Beendigung die Übernahme als Richter anstreben. Auf diesem Weg wird ca. 90 % des Stellenbedarfs gedeckt. Da es in Italien nur etwa 9000 Richter und Staatsanwälte gibt, ist die zentrale Ernennung durch den CSM zahlenmäßig zu bewältigen.

 

RICHTERLAUFBAHN

 

Laufbahn und Besoldung der Richter zeichnen sich dadurch aus, dass nach zwei Jahren Richter aus dem Eingangsamt zum Richter am Landgericht, diese nach 11 Jahren zum Richter am Berufungsgericht und diese nach 7 Jahren zum Richter am Kassationsgericht ernannt werden können. Nach weiteren 8 Jahren am Kassationsgericht kommen Richter für höhere Ämter in Betracht. Das Fortschreiten in der Laufbahn und die damit verbundene höhere Besoldung bedeutet nicht zwangsläufig auch den Einsatz beim „Besoldungsgericht“. Ohne finanziellen Nachteil kann ein ausgezeichneter Richter der ersten Instanz dort verbleiben, obwohl er besoldungsmäßig am Kassationsgerichtshof angesiedelt ist.

 

Geht die Diskussion in Deutschland momentan darum, die richterliche Selbstverwaltung zu stärken, versuchen die italienischen Richter und Staatsanwälte Angriffe auf ihre Unabhängigkeit durch die derzeitige Regierung abzuwehren. Sie tun dies vor dem Hintergrund, dass in Mailand die UN-Grundprinzi­pien über die Unabhängigkeit der Gerichte formuliert worden sind, und der Sonderberichterstat­ter der UN in seinem Bericht über Italien festgestellt hat, dass die „Unabhängigkeit der Richter und der Staatsanwälte nicht nur in der Verfassung sondern auch in der Kultur und Tradition verankert sind“.

EINLADUNG:

 

Turiner Staatsanwälte und Richter sind bereit, diese und andere interessierende Themen mit Hamburger Richtern und Staatsanwälten im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung zu diskutieren. Das Goethe-Institut in Turin hat seine Hilfe bei der Durchführung  angeboten. Wer Interesse an einem Besuch in Turin etwa in der ersten Oktober-Hälfte 2003 hat, kann sich bei mir melden.

 

Gerhard Schaberg