(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/03, 3) < home RiV >

Keine Folter!

 

„Es sind Fälle vorstellbar, in denen auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein können, nämlich dann, wenn dadurch ein Rechtsgut verletzt wird, um ein höherwertiges Rechtsgut zu retten", so in einem Interview Geert Mackenroth, Vorsitzender des Deutschen Richter­bundes.

Diese Äußerung hat in der Öffentlichkeit und bei den Mitgliedern unseres Verbandes erhebliche Irritation ausgelöst. Der Zusammenhang, in dem sie gefallen ist, macht sie zwar verständlich, aber nicht besser:

Ein Kind war in Frankfurt entführt worden, der mutmaßliche Entführer wurde gefasst, erklärte aber nichts über den Verbleib des Kindes. Die Ermittlungsbehörden wollten das Kind unter Einsatz aller Mittel finden. Um den Entführer zu einer Aussage über den Aufenthaltsort des Kindes zu zwingen, drohten sie ihm das Zufügen von Schmerzen an.

Hierzu hat der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Herr Mackenroth, eine befürwortende Position bezogen, die vielfach auf Verwunderung und Ablehnung gestoßen ist.

Unsere Rechtsordnung verbietet ohne Einschränkung den Einsatz von Maßnahmen, die einer Folter gleichkommen.

Das Grundgesetz schließt in Art. 104 Abs. 1, Satz 2 aus, festgehaltene Personen - aus welchem Grund auch immer - seelisch oder körperlich zu misshandeln. In Art. 3 EMRK ist bestimmt, dass niemand der Folter unterworfen werden darf. Dies sind absolute Rechtsgrundsätze, die nicht relativiert werden können. Folter, d.h., Mittel staatlicher Stellen, bei denen mit Zwang ein Mensch zu einer Aussage gebracht werden soll, sind eindeutig untersagt. Hierzu gibt es keine Alternative und keine Möglichkeit der Abwägung im Einzelfall; es gibt damit auch kein Rechtsgut, das bei einer Güterabwägung so hoch eingeschätzt werden kann, dass trotz der eindeutigen grundgesetzlichen Festlegung die Anwendung von Folter gerechtfertigt wäre.

Nun haben sich die Dimensionen von Verbrechen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 deutlich verändert. Es sind Situationen denkbar, in denen es nicht nur um den Schutz eines einzelnen Lebens, sondern um die Abwehr von Gefahren für eine Vielzahl von Menschen gehen kann. Aber ist deshalb Folter ein zulässiges Mittel, um beispielsweise Terroristen, die in einer Stadt einen nuklearen, chemischen oder biologischen Sprengsatz versteckt haben, zu zwingen, das Versteck aufzudecken? Derartige Beispiele werden von Befürwortern solcher Methoden gerne angeführt. Allerdings gefährden auch Dealer, die mit Großmengen von harten Drogen Handel treiben, eine Vielzahl von Menschenleben, ohne dass jemand ernsthaft auf die Idee kommen könnte, sie durch Foltermittel zur Preisgabe ihrer Bezugswege oder Drogenverstecke zu bewegen. Ich räume ein, dass beide Fallgestaltungen hinsichtlich der Gegenwärtigkeit der jeweiligen Gefahren­lage nur eingeschränkt vergleichbar sind. Dies macht aber die Problematik bei der Definition von Lebenssituationen deutlich, bei denen möglicherweise der Einsatz von folterähnlichen Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt sein könnte.

 

Alle diese Fragen zeigen auch, dass die für den Einsatz von Folter geltende absolute Hemmschwelle nicht überschritten werden darf. Es gibt keine Umstände, die es rechtfertigen könnten, die körperliche und seelische Integrität eines Menschen durch Mittel der Folter zu beeinträchtigen.

Wer zur Erreichung bestimmter Zwecke einen anderen Weg unter Einbeziehung von Folter für möglich hält, begibt sich in Bereiche, deren Auswirkungen unabsehbar sind. Unserer Rechtsordnung ist es fremd, ergebnisorientiert jedes Mittel recht sein zu lassen. Dies kann bei Extremsituationen nicht anders sein.

 

 

Damit ist meines Erachtens auch die Frage beantwortet, ob Polizeibeamte, die zur Anwendung einer extremen Gefahr mit Mitteln der Folter eine Aussage erpressen, sich auf rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB berufen können. Ich teile die Meinung, welche die durch Art. 104 Abs. 1, Satz 2 GG und Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter als "notstandsfest" ansieht. Die schwierige Frage, ob es von diesem Grundsatz im Einzelfall Ausnahmen geben kann, muss die Staatsanwaltschaft Frankfurt in dem Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten beantworten, die am Verfahren gegen den mutmaßlichen Mörder Magnus G. mitgewirkt haben.

 

Wer ebenfalls der Meinung ist, dass die durch Art. 104 GG und Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter unantastbar sind und aus keinem Grund eingeschränkt werden dürfen, muss sich damit abfinden, dass

-  nicht alle Konfliktslagen bei polizeilichem Handeln zur Abwehr extremer Gefahren gelöst,

-  der Schutz vor besonders schwerer Kriminalität - und damit auch der Opferschutz - nicht lückenlos gewährt

werden können.

Dies wäre - wie gesagt - nur bei zumindest teilweiser Preisgabe absolut geschützter Rechtsgüter möglich und kommt deshalb trotz der genannten Nachteile nicht in Betracht.

 

Ich bin mir sicher, dass auch dem Vorsitzenden des Deutschen Richter­bundes die Gesamtproblematik durchaus bewusst ist. Dem entsprechen seine nachträglichen Äußerungen in der Öffentlichkeit.

Seine erste Erklärung über die Anwendung von Folter war allerdings unbedacht und "blauäugig". Als Vorsitzender unseres Verbandes und als Richter hätte er bei Meinungsäußerungen zu einem Thema, das so sehr an Tabus rührt und Emotionen freisetzt, zurückhaltender sein müssen.

 

Inzwischen hat Herr Mackenroth gegenüber der Presse und im Verband sein Bedauern über die ursprünglich abgegebenen Äußerungen kundgetan; ein Schritt in die richtige Richtung.

In der Öffentlichkeit, vereinzelt auch in unseren eigenen Reihen, sind Stimmen laut geworden, die einen Rücktritt des Vorsitzenden fordern. Dem sollten wir uns nicht anschließen.

Der Deutsche Richterbund lebt von Meinungsäußerungen, auch solchen, die unbequem und möglicherweise falsch sind. Unsere meinungsbildenden Aktivitäten würden gehemmt, wenn eine fragwürdige Äußerung des Vorsitzenden seinen Rücktritt nach sich ziehen würde.

Zu manchen Fragen sollten wir aber abgewogener Stellung beziehen und missverständlicher Interpretation keinen Raum geben. Das gilt umso mehr für Fragen, die Tabus und Bereiche an der Grenze des Rechts berühren. Dazu gehört mit Sicherheit das Thema Folter.

 

Johann Meyer (stVLOStA),

stellv. Vorsitzender des Richtervereins