Dr.
Hermann Langenbek
zum 550. Geburtstag
Teil 2
Im vorigen Heft verfolgten wir Dr. Hermann
Langenbecks Lebenslauf bis zur Abreise aus Italien, nunmehr wollen wir uns
seinen Hamburger Jahren zuwenden. Am Petritag (22.2.) 1479 - nach alter
Tradition der Wahltag, weil später im Jahr Kaufleute und Schiffer wieder auf
Reisen waren - wurde Langenbeck zum Ratsherrn gewählt.
Der Rat als Kollegialorgan war die
"Obrigkeit". Ihm oblag, ohne daß dies schriftlich oder durch Überlieferung
im einzelnen fest umrissen gewesen wäre, die Ausübung aller drei Gewalten.
Beherrschende Aufgabe des Rates war die Sorge für den störungsfreien Ablauf
des Handels im Inneren wie nach außen. Der Rat - und damit die Geschicke der
Stadt - wurden durch die Kaufmannschaft beherrscht, die die politische und
wirtschaftliche Führungsschicht der Stadt bildete. Maßgebendes Argument und
Prüfstein der jeweiligen Alternativen ihrer Entscheidungen war nahezu
ausnahmslos die Frage, für die später Graf Schimmelmann berühmt wurde:
"Nützt es der Ökonomie?" Ein Kriterium übrigens, mit dem die
wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs meistens gut fuhr, wie sich zeigen wird.
Das Wohlergehen der Menschen, der "untere Schichten", spielte dabei
keine Rolle. Dies blieb schon zu Zeiten Langenbecks nicht ohne Folgen für den
inneren Frieden der Stadt.
Großen Nutzen für die Ökonomie brachte zum
Beispiel die im 15. Jahrhundert ungeklärte verfassungsrechtliche Stellung
Hamburgs im Deutschen Reich. Die Stadt vertrat grundsätzlich die Auffassung,
Hamburg gehöre zur holsteinischen Landesherrschaft. Dieser Meinung waren auch
die dänischen Könige, die 1460 die Schauenburger Grafen als Landesherren
abgelöst hatten. Kaiser und Reich hingegen maßen Hamburg den Status einer
freien und unmittelbaren Reichsstadt zu. 1510 auf dem Reichstag zu Augsburg,
der im Stadtschloß des Großkaufmanns Jakob Fugger stattfand, was ebenfalls
ein bezeichnendes Licht darauf wirft, welche Mächte – nicht nur zu
Langenbecks Zeiten - den Ton angaben, wurde der reichsstädtische Status
Hamburgs bekräftigt.
Freiheit, Ehre und nicht zuletzt die mit dem Status
verbundene Privilegien waren nicht umsonst zu haben. Das sah man in Hamburg
grundsätzlich ein. Unangenehm war es aber doch, zu den finanziellen Lasten
einer freien Reichsstadt herangezogen zu werden, insbesondere die geschuldeten
Reichssteuern zu entrichten. So konnte es nicht schaden, wenn solche Erklärungen
bezüglich des Status nicht allzu genau fixiert wurden und Hamburg bei gehöriger
Auslegung auch unter das dänische Territorium fallen konnte.
Diese Unschärfe der Rechtslage war ebenfalls im
Verhältnis zum Landesherrn nützlich. Die dänischen Könige ließen Hamburg
faktisch eine selbständige Außenpolitik - für sich und im Rahmen der mit
ihnen gelegentlich verfeindeten Hanse - betreiben. Hamburg konnte unter ihrer
Herrschaft wie ein souveräner Stadtstaat agieren. Aber auch der dänisches König
wollte Hamburg ans Portemonnaie. Bei Bedarf machte Hamburg deswegen auch hier
Gebrauch von der ungeklärten Position. Immer dann, wenn der dänische König
um einen Beitrag zu seinen Finanzen bat, erinnerte sich Hamburg seiner
Reichsprivilegien und verweigerte die Zahlung. Kaiser Maximilian durchschaute
die Hamburger. Nach der Überlieferung hat er die Hamburger "seltsame
Leute" genannt: vor ihm, dem Kaiser beriefen sie sich auf den
Landesherrn, bei dem Landesherrn auf den Kaiser; sie "wollten aus ihm
wohl einen WaldeseI machen." Manchmal ist es ihnen auch gelungen.
Ebenso „flexibel“ wie die verfassungsrechtliche
Stellung im Reich handhabte Hamburg die Mitgliedschaft in der Hanse. Dieser
Zusammenschluß einzelner Fernhandels-kaufleute, erstmals 1345 in einem
offiziellen Dokument erwähnt als "Universii mercatores de Hansa
Theutonicorum" veränderte sich nach und nach zu einem Städtebund, der
größte wirtschaftliche und politische Bedeutung im Ost- und Nordseeraum und
dessen Hinterland errang. In einer Zeit ohne funktionierende Reichsgewalt, in
der es an einer Förderung des Handels, gezielter Bevölkerungsansiedlung und
bewußter Wirtschaftsentwicklung fehlte, in der die Sicherheit der Seewege vor
Seeräubern und der Landwege vor Wegelagerern und Raubrittern durch den Kaiser
oder die Fürsten in keiner Weise gewährleistet wurden, übernahmen die Städte
und damit die Kaufleute selbst diese für sie lebenswichtigen Aufgaben. Die
Bedeutung der Hanse für die Wirtschaftsentwicklung in Norwegen, Schonen und
im gesamten Ostseeraum ist kaum zu überschätzen. Politisch Rechnung getragen
wurde dem dadurch, daß z.B. im Stockholmer Rat obligatorisch Hansekaufleute
saßen.
Zur Zeit Langenbecks war die Hanse allerdings
bereits in der Defensive. Die Länder Europas wandelten sich zu
Nationalstaaten. Ihre Herrscher erkannten die Chancen, die eine Förderung der
eigenen Wirtschaft bot. In England gingen die Rosenkriege zu Ende, die das
Land in blutigen Bürgerkrieg gestürzt hatten. Das Haus Tudor gelangte 1485
mit Heinrich VII. an die Macht und begann, ein vergleichsweise stabiles
Staatsgefüge zu schaffen. Auch der Krieg mit Frankreich, in dem sich fünf
Generationen aufgerieben hatten, war seit dem Sieg der Franzosen in Castillon
(1453) eingeschlafen, ohne förmlich beendet worden zu sein. Die Bewohner
Frankreichs begann, sich als Mitglieder einer Nation, ähnlich dem modernen
Wortsinn, zu fühlen. Mit der Idee eines Frankreich, das unter dem Schutz
Gottes all seine Kräfte gegen den englischen Feind mobilisierte, hatte Jeanne
d'Arc die zerstrittenen Parteien ihres Landes zum Erfolg geführt. Ludwig XI.
nahm diese Gedanken auf und begann, seinem Land eine geordnete,
zentralistische Verwaltung zu geben. Bei seinem Tode 1483 hinterließ er ein
Land in dem das Mittelalter überwunden worden war und in dem bereits die
Grundstrukturen neuzeitlicher Monarchie zu erkennen sind.
In Frankreich herrschte, als Langenbeks Einfluß
auf die Politik gewann, seit 1483 Charles VIII. und anschließend (1498-1515)
Ludwig XII., unterstützt von beider Ehefrau, der politisch hochbegabten
Herzogin Anne de Bretagne. Als Haupt des von Territorialfürsten beherrschten
Deutschen Reiches versuchte Maximilian I. Verwaltung und Rechtsprechung zu
vereinheitlichen, um seinerseits die Zentralgewalt zu stärken. Dies alles
ging zu Lasten der Hanse, deren Rechte einzuschränken leicht war, weil sie
als territorial übergreifender Bund ohne staatlichen Schutz agierte. Sie
wehrte sich zunächst noch mit kriegerischen Aktionen, lieber allerdings mit
Handelsbeschränkungen, die sie gegenüber dem jeweiligen Widersacher verhängte.
Konflikte entstanden insbesondere mit den Herzögen von Burgund und ihrer
Welthandelsstadt Brügge, aber auch mit den englischen Königen, die
versuchten, dem Londoner Stahlhof der Hanse Einschränkungen aufzuerlegen. In
der seit dem 14. Jahrhundert entstehenden Organisation englischer Kaufleute
und Abenteurer, den "Merchant Adventurers" erwuchs der Hanse eine
starke, von der englischen Krone auch schon vor den Zeiten Elisabeth I.
zunehmend geförderte Konkurrenz.
Hamburg hielt sich bei Konflikten weitgehend zurück.
Wo sich die Interessen der Hanse nicht mehr mit denen der Hamburger Ökonomie
deckten, scherte Hamburg aus. So nahm die Stadt an den Kämpfen gegen den
eigenen Landesherm, den dänischen König, und bei Aktionen gegen England zu
dem beste Beziehungen bestanden, nicht teil. Die Bedeutung des Englandhandels
für Hamburg erhellt der von Meister Franke geschaffene Englandfahrer-Altar,
der im Auftrag der gleichnamigen Kaufmannsbruderschaft entstand. Im
Mittelpunkt des Altars steht die Figur des HI. Thomas von Canterbury, der
sowohl für die Bruderschaft als auch für die Merchant Adventurers zum
Schutzpatron wurde.
Langenbeck wurde als Ratsmitglied in ein
kompliziertes politisches Geflecht gestellt. Er hatte von Beginn seiner Tätigkeit
an heikle diplomatische Missionen zu erfüllen und löste diese Aufgaben mit
klarem Blick. Er sah durchaus die schwindende Bedeutung der Hanse und das stärker
werdende Eigeninteresses seiner Stadt. Reincke attestiert ihm "eine kluge
Politik wachsamer Schwäche und Neutralität, die er mit taktischem Geschick
handhabte"[1].
Diese Politik, fortgesetzt von seinen Nachfolgern,
hat Hamburg die Anpassung an die veränderten Verhältnisse auch des 16.
Jahrhunderts ermöglicht. Nicht mehr Nord- und Ostsee oder das Mittelmeer
bestimmten Handel und Wandel. Die geographischen Kenntnisse erweiterten sich:
Diaz umsegelte das Kap der Guten Hoffnung, Columbus fuhr nach Westen, Vasco da
Gama fand den Seeweg nach Indien - es war der direkte Weg zu Seide und Gewürzen.
Karten und Atlanten wurden gezeichnet. Man begann, sich ein Bild von der Welt
zu machen. Die Schauplätze des Welthandels verlagerten sich. Lübecks
Niedergang begann in jenen Jahren. Das Haupt der Hanse paßte sich den Veränderungen
nicht an. Es sah nicht über den begrenzten bisherigen Horizont hinaus und
suchte sein Heil in immer neuen und zunehmend nicht mehr durchsetzbaren
Handelsbeschränkungen. Das Ergebnis ist bekannt: Ein weltwirtschaftlich
bedeutungsloses Kulturerbe der Menschheit.
Wenden wir uns nun Langenbecks Aufgaben im Inneren
zu: Als Ratsmitglied hatte Langenbeck Recht zu sprechen. Seinem nicht
unentwickelten Selbstbewußtsein verdanken wir die bemerkenswerte bildliche
Darstellung in dieser Tätigkeit. Unter den Illustrationen zum Stadtrecht von
1497[2]
ist eine bürgermeisterliche Dielenaudienz[3]
zu sehen. Die Figur des Richters weist außerordentliche Ähnlichkeit mit dem
uns aus dem Buxtehuder Altar überlieferten Bild Langenbecks auf. Unverkennbar
ist hier der selbe Mann dargestellt.
Ein weiteres Portrait Langenbecks als Bürgermeister
ist bekannt. Es befand ehemals in schottischem Privatbesitz, wurde dann nach
Schweden und Holland verkauft, gelangte 1931 nach Berlin und von dort aus in
die Schweinfurter Sammlung Georg Schäfer. 1983 kaufte es das Lübecker Museen
für Kunst und Kultur und lieh es der Hamburger Kunsthalle aus, wo es heute
besichtigt werden kann. Hierbei handelt es sich um das älteste erhaltene
Portrait eines Hamburger Bürgermeisters. Es soll 1515 entstanden sein. Der
Maler ist Wilm Dedeke, ein Schüler Notkes. Dedeke - als Hamburger Meister von
1500-1528 geführt - soll auch die genannte Miniatur des Stadtrechts von 1497
geschaffen haben, wie Martin Jank [4]schreibt.
Welches waren nun die rechtlichen Grundlagen und
Rechtsquellen für die Rechtsprechung Langenbeks? Diese Frage stellte sich der
gerade aus Italien eingetroffene Doktor beider Rechte auch und begann sofort -
befähigt durch seine wissenschaftlich systematische Ausbildung am römischen
Recht - das geltende Stadtrecht zu sichten und zu ordnen. Er sah die
vorhandenen Urkunden durch und faßte ihren Inhalt in "Summen"
zusammen - auch dies eine der Beschäftigung mit dem Corpus Iuris
entsprechende Ordnungsmethode. Eine besondere Rolle spielten dabei Verträge,
Privilegien, politische und rechtliche Garantien der Kaiser und des
Landesherrn sowie anderer Fürsten. Der Bedeutung der Seehandelswege
entsprechend kam dabei den Abkommen mit Territorialherren an der Elbmündung
besonderes Gewicht zu.
Unter den Verträgen fand Langenbeck verschiedene
Abkommen mit Lübeck, die anschaulich machen, in welchem Maße beide Städte
zusammenarbeiteten:
·
Gegenseitige Gewährung voller Handelsfreiheit der
Bürger beider Städte (1230)
·
Vertrag über gemeinsamen Straßenschutz zwischen
Hamburg und Lübeck zu gleichen Lasten, Verfolgung von Angriffen gegen die Bürger
beider Städte zu gleichen Lasten, Rechtsschutz in jeder Stadt für die
beiderseitigen Bürger (1241)
·
Gegenseitige Anerkennung der Verfestung (1241)
·
Münzverein zwischen beiden Städten 1255)
·
Verhandlungen über Abstimmung der beiderseitigen
seerechtlichen Bestimmungen (1260)
·
Verbrüderung der beiden Domkapitel (1266)
·
Vertrag über die Anstellung eines gemeinsamen Münzmeisters,
gemeinsame Münzprägung, ferner GeleitsteIlung zu gleichen Lasten auf der
Straße Hamburg-Lübeck (1304)
Von großer Bedeutung waren auch die von beiden Städten
gemeinsam geschlossenen früheren Auslandsverträge - z.B. das holländische
Geleitprivileg (1243), das Utrechter Zollprivileg (1244), das große
flandrische Privileg (1252), das schottische Privileg (1297), sowie diverse
Landfriedensbündnisse mit den Territorialherren in der Nachbarschaft. Aus
Langenbeks Arbeit der Sammlung und Ordnung dieser Urkunden entstanden bis 1485
das "Liber privilegiorum" und das "Liber contractum".
Langenbeck fand darüber hinaus als schriftliche
Rechtsquelle das Ordeelbok von 1270 und die dazu im 14. Jahrhundert
vorgenommenen Überarbeitungen vor, insgesamt ein Werk, das grundlegend für
die tägliche Rechtsanwendung war. Daneben wurde das Stadtrecht von 1301,
"dat rode bok" herangezogen, das nur zum Teil publiziert und durch
Eintragungen neuer Urteile weiterbearbeitet worden war. Ergänzend dazu galten
in Hamburg Soester und Lübecker Recht, wobei Lübeck um gutachterlichen
Rechtsrat auch in aktuell anstehenden Prozessen gebeten wurde.
Lübecker Recht wandte man in Hamburg an seit Graf
Adolf Ill. von Holstein in den Jahren 1188/89 Wirad von Boizenburg mit der Gründung
der Hamburger Neustadt beauftragt hatte. Wirad war gräflicherseits ausdrücklich
gehalten anzuordnen, daß die Siedler an der Alsterschleife (um die heutige
Nikolaikirchenruine) ihre freien Hausgrundstücke nach dem Besitzrecht der Lübecker
innehaben und daß sie in Bußfällen Bußgelder nach Lübischem Recht zahlen
sollten.
Neben den schriftlichen Rechtsquellen fand
Langenbeck eine Fülle gewohnheitsrechtlicher Sätze vor, die sich über die
Jahrhunderte hindurch herausgebildet hatten und als geltendes Recht angewandt
wurden.
Zunächst zur Erleichterung der eigenen Arbeit, später
bewußt zur Fortbildung und Ordnung städtischen Rechts begann Langenbeck mit
Notizen zum Ordelbok (Urteilsbuch) von 1270. Es war am 15. Oktober 1270 von
dem „Gesamten Rat und den Weisesten" aus der Bürgerschaft angenommen
worden. Sein amtlicher Name ist "Dat Ordelbok". In ihm sind zu
dauerndem Gedächtnis Aussprüche und Urteile des Rats und des Gerichts
zusammengetragen; es handelt sich also um anläßlich konkreter Rechtsfälle
gefundene abstrakte Rechtssätze. In zwölf Stücken - dabei eine für die
Zeit ungewöhnliche Neigung zu
Vollständigkeit zeigend - werden die Rechtsgebiete dargestellt:
Insgesamt sind 168 "ordele" oder "saken"
enthalten. Ein Anhang betrifft das Schiffs- und Seerecht.
Wo die hamburgischen Gewohnheiten dem sächsischen
Stammesrecht entsprachen, fügte man einen Hinweis auf die Entsprechung im
Sachsenspiegel bei. Ein Menschenalter später wurde das Ordelbok revidiert. In
den Jahren nach 1301 folgten weitere Bearbeitungen. Sie betrafen vor allem das
eheliche Güterrecht. Hatte man bisher, dem Soester und Lübecker Recht
folgend, nur bei beerbter Ehe eine Gütergemeinschaft angenommen, beim Fehlen
von Kindern jedoch an der äußerlichen Güterverbindung oder
Verwaltungsgemeinschaft festgehalten, so wurde nun für alle Fälle die
allgemeine Gütergemeinschaft geltendes Recht. Hiermit wurde das System
geschaffen, das in Hamburg bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches
galt. Die Rechte des Familienoberhauptes gegen Frau und Kinder, insbesondere
seine Vertretungsrechte, wurden verstärkt und in der Gerichtsverfassung die
Rechte des gräflichen Vogtes gegenüber den beisitzenden Ratsherren geschwächt.
Das Schiffsrecht erhielt die Form eines selbständigen Gesetzes. Dies alles
wurde nun aber nicht publiziert, der Rat hielt es vielmehr unter Verschluß,
weil angesichts herrschender Tumulte Diskussionen und weitere Unruhe befürchtet
wurden. [5]
Langenbek fand das alles nebeneinander vor. Jeder
berief sich im Streitfall auf das ihm günstigste Buch. Zunehmend spielte auch
das inzwischen im Norden bekannt gewordene römische Recht eine Rolle. Wie man
sieht, bedurfte es dringend einer neuen, für alle verbindlichen Niederlegung
des Hamburgischen Rechts.
Langenbeck begann zu ordnen. Er versah die diversen
Stadtrechtsausgaben mit Anmerkungen zu Parallelstellen aus dem Sachsenspiegel
und dem römischen Recht, das ihm aus Rostocker, Greifswalder und vor allem
den italienischen Zeiten geläufig war, und mit Notizen über Präjudikate.
Mit diesen Aufzeichnungen legte er den Grundstock für die sog. Langenbecksche
Glosse, seiner Kommentierung dieses Stadtrechts und zur Herausgabe des
Stadtrechts von 1497. Beide Arbeiten sind Leistungen, die für lange Zeit
Langenbecks Ruf als "Vater der Hamburgischen Rechtswissenschaft"
begründeten. Offenbar ist es ein vergessener Ruf. Hätte man sonst auf
ausgerechnet seine Statue über dem Eingang des Ziviljustizgebäudes
verzichtet? Vermuten wir, der Grund sei darin zu suchen ist, daß im vorigen
Jahrhundert die Forschungen noch kein Abbild Langenbecks zu Tage gebracht
hatten………….
Langenbecks juristische Arbeiten fallen in die
Zeit, in der sich im Deutschen Reich überall die Frage stellte und nach und
nach entschied, ob man das Römische Recht übernehmen, anpassen oder abwehren
wollte - der Beginn des Vorganges, den wir "Rezeption" nennen. Die
Auseinandersetzungen darüber, ob die überlieferten heimischen Rechtsquellen
und Rechtstraditionen zugunsten des Gemeinen Rechts aufgegeben werden sollten,
gehören zu den bedeutsamsten Ereignissen der deutschen Rechtsgeschichte. Ein
Schlaglicht auf Langenbecks Position in dieser Diskussion wirft sein
erbitterter Widerstand gegen die Einrichtung des Reichskammergerichts und
dessen Zuständigkeit als oberste Instanz auch für Hamburger Streitigkeiten.
1495 beschloß der Reichstag in Worms auf Drängen Kaiser Maximilians die
Einrichtung eines obersten Reichsgerichtes im Zuge der allgemeinen
Reichsreform. Der Widerstand des Hamburger Rates unter Langenbecks Führung
richtete sich vor allem gegen die in der Reichskammergerichtsordnung
statuierte grundsätzliche Geltung des Gemeinen Rechts, das bis dahin nur
subsidiär angewandt worden war. Inhaltlich wollte die Reichsstadt Hamburg bei
ihrem Partikularrecht bleiben; modernisiert durfte das heimische Recht werden,
nicht aber gänzlich ersetzt. So Langenbeck - wie immer. Daß bei der
Hamburger Zurückhaltung auch das ungelöste Problem der
verfassungsrechtlichen Stellung Hamburgs im Reich eine Rolle spielte, liegt
auf der Hand.
Den Schritt zur vollständigen Rezeption des Römischen
Rechts mochte Langenbeck nicht vollziehen, weil er um die unbegrenzte
Justizhoheit des Rates und um den materiellen Bestand des Stadtrechts fürchtete.
Verbesserungen und Anpassung an die neue Zeit versprach er sich eher durch
seine bereits begonnene systematische Aufbereitung des geltenden Stadtrechts,
das er inhaltlich in seiner gewachsenen Form zu erhalten wünschte. Seine
Haltung entsprach durchaus dem Verlauf der Rezeption, wie er wohl heute überwiegend
eingeschätzt wird: Ihre Bedeutung liegt nicht in der Übernahme des Inhaltes
des Römischen Rechtes als in der Verwissenschaftlichung des geltenden Rechts
und in der Anpassung und Modernisierung mittelalterlicher Rechtsvorstellungen,
insbesondere im Strafrecht und Beweisrecht.
Tragendes Element solcher behutsamer Veränderungen
war der Übergang der Rechtsprechung und Rechtsetzung auf einen gebildeten
Juristenstand. Die praktischen Konsequenzen sind allerdings nicht mit heutigen
Augen zu betrachten. Es darf daran erinnert werden, daß zu Langenbecks
Lebenszeit "Der Hexenhammer" erschien (1489), der Anleitungen zur
"bürokratisierten" Folterung im Inquisitionsprozeß enthielt und
als großer Fortschritt angesehen wurde. Man vertraute auf Hexenproben und
Gottesurteile. Der Papst erließ seine "Hexenbulle" wider die
Zauberei und Dämonen.
Die Hamburger Reaktion auf den Wormser Beschluß
zur Errichtung des Reichskammergerichts war heftig. Die Anrufung dieses
Gerichtes wurde Bürgern der Stadt unter Hinweis auf ein Privileg Kaiser
Sigismunds von 1421 verboten. Die erste Partei, die es gleichwohl wagte, gegen
ein Urteil des hochweisen Rates das Reichskammergericht anzurufen, soll von
den Mitbürgern verprügelt, vom Rate bestraft und der Stadt verwiesen worden
sein!
Das Stadtrecht von 1497, in das Langenbecks
Vorarbeiten mündeten, muß Gegenstand einer besonderen Betrachtung werden.
Hier sollen nur die Illustrationen zu den einzelnen Abschnitten des Buches
herausgehoben werden, die eine Facette der Vielseitigkeit Langenbecks
ausmachen. Die Illustrationen mögen Anfang des 16, Jahrhunderts entstanden
sein. Langenbeck beeinflusste sie maßgeblich. Die Bilder bieten reiches
Anschauungsmaterial über Rechtsbräuche und Alltagsleben in der Stadt.
Kleidung, Habitus, Gewohnheiten, und Gerätschaften sind lebendig dargestellt.
Die Bilder sind eine vorzügliche Illustration auch
zu Langenbecks Lebenseinstellung. Obgleich er die italienische Frührenaissance-Kunst
erlebt hatte, bevorzugte er für sein Stadtrecht die herkömmliche Kunst, die
etwas schwere, naive Darstellung, die weniger auf Schönheit und Individualität
als auf das zutreffende Symbol und die Ehrlichkeit des Ganzen sieht. Zu
Langenbecks Zeit entstanden die Werke Pachers, Memlings, und Dürers, die in
größerer Vollendung als im Hamburger Stadtrecht ebenfalls dem liebevollen
Detail huldigen. Im Jahre 1497, in dem Langenbecks Stadtrecht erscheint,
vollendet schon Leonardo da Vinci sein "Abendmahl", sechs
Jahre später wird Michelangelos "David" aufgestellt. In diesem
gewaltigen Spannungsfeld ästhetischer wie gesellschaftlicher Werte lebten
Langenbeck und seine Zeitgenossen.
Daß Langenbeck über aktuelle künstlerische,
politische und wissenschaftliche Ereignisse informiert war, dürfen wir
annehmen. Die Hanse verfügte schon aus ökonomischen Gründen über ein gut
funktionierendes Nachrichtensystem, das ihr die wichtigsten Ereignisse zutrug.
Gesandte Hamburgs hatten häufig in Prozeßangelegenheiten in Rom und Avignon
zu tun. Jeder Kaufmann brachte Neuigkeiten mit. Und von den Freunden aus
italienischen Tagen wird er auch hin und wieder die Aktualitäten erhalten
haben.
Zu diesen Neuigkeiten aus der damals bekannten und relevanten Welt gehörte mit Sicherheit auch der Bericht über die Einführung der doppelten Buchführung im Hause Fugger. Fugger finanzierte Kaiser und Reich, eine Aufgabe, an der sich Hamburg ebenfalls – wenn auch in weit bescheidenerem Umfang - beteiligte: 1482 wandte die Stadt 1200 Gulden, Langenbecks juristische Kenntnisse und eine Urkundenfälschung auf, um Kaiser Friedrich III. zur Unterzeichnung eines Stapelprivilegs zu bewegen.
Hamburg hatte sich de facto ein Stapelprivileg für
Getreide, Obst, Wein und Bier verschafft. Nachdem die Stadt die EIbe von der Mündung
an im 14. Jahrhundert unter ihre Kontrolle gebracht und die Schiffahrt durch
Wachschiffe und Barken einigermaßen gegen Seeräuber und sonstige Unbill
gesichert hatte, verlangte sie, daß alle von der See her auf der EIbe
transportierten Waren auf dem Hamburger Markt feilgeboten wurden, wodurch dieser
mit großer Vielfalt an Waren und erstklassiger Qualität des Angebotenen
erheblich an Attraktivität gewann. Das lebhafte Treiben ist anschaulich
dargestellt auf der Marktrechtsminiatur des Stadtrechtes von 1497 und einem
Diorama im Hanseraum des Museums für Hamburgische Geschichte, ein lebhaftes
Gewimmel von geschäftigen Menschen, Tieren, Schiffen, Ständen und Waren.
Im Jahre 1470 hatte Kaiser Friedrich III. dem
Grafen von MühIingen-Barby das Recht verliehen, Korn, Wein und Bier auf der
EIbe nach Hamburg zu bringen, dort zu lagern und unbehindert durchzuführen.
Dies bedeutete eine Befreiung vom Stapelzwang und damit die Beeinträchtigung
Hamburger Interessen. Das konnte nicht hingenommen werden. Es war eine
Herausforderung, die für Langenbeck wie geschaffen war. Tatkraft und
Rechtskenntnisse waren gefragt - und Geld:
Unter Anwendung der enormen Summe von 1.200,--
Gulden für den Kaiser und unter Vordatierung einer präjudiziellen Urkunde des
Landesherrn Christian I. von Dänemark gelang es 1482, den Kaiser zur Aufhebung
des gräflichen Privilegs zu bewegen. Friedrich bestimmte, daß Korn, Roggen,
Weizen, Gerste, Mehl, Wein und Bier elbabwärts an Hamburg nicht vorbeigeführt
werden durften - alle Waren dieser Art mußten in Hamburg auf den Markt gebracht
werden. Die Vorherrschaft Hamburgs war wieder hergestellt.
Aus heutiger Sicht betrachtet lag in diesen
Bestrebungen eine Behinderung des freien Handels. Es darf jedoch nicht vergessen
werden, daß dieser Handel sich ohne die gewaltigen Anstrengungen Hamburgs zur
Sicherung der See- und Landwege nicht hätte entfalten können.[6] Für die Entwicklung der Stadt war das Erreichte
ein weiterer wichtiger Schritt, und für Langenbeck war es ein großer Erfolg.
Am 22. Februar 1482 wurde Dr. Hermann Langenbeck
nach dem Tod des beliebten Bürgermeisters Hinrich Murmeister zu dessen
Nachfolger gewählt. Das hatte es noch nicht gegeben: Der an Lebens- und
Amtsjahren jüngste Ratsherr wurde zum Bürgermeister gewählt! Freund Hinrich Böger
dichtete:[7]
Vorsitz führen, welche Ehre, wenn sich Los und
Sinn vereint!
Doch die Sorge als Begleiter macht die Ehre
unheilvoll!
Bleibe, steige, trage, Herre, und zerbrich nicht
vor der Last!
Reincke kommentiert das Ereignis in der ihm eigenen
deutlichen Art: „Die Bürgermeisterwahl von 1482 hat unter den älteren Herren
des Rats, die zum Teil schon fast vierzig Jahre in Ehren der Stadt gedient
hatten und nun einem hergelaufenen Jüngling den Vortritt lassen mussten, viel böses
Blut erregt.[8]
Der Ärger entlud sich, als im selben Jahre - wir
schreiben 1482 - Langenbeck auf Anregung seines Vormunds Halepaghe in die Bemühungen
zur Reform des Klosters Herwerdeshude (Harvestehude) eingriff, das als
Versorgungsanstalt der Hamburger Bürgertöchter galt. Die Insassinnen nahmen
es, wie viele andere Klosterbrüder und -schwestern der Hamburger Klöster,
weder mit dem Armutsgelübde, noch mit ihren sonstigen Pflichten allzu genau.
Das Kloster Herwerdeshude wurde mit Unterstützung Langenbecks im Herbst 1482 im
Zuge religiöser Reformbestrebungen visitiert, um die Zustände in Augenschein
zu nehmen und Abhilfe zu schaffen. Dies löste heftige Empörung aus. Die Bürger
fürchteten um das bequeme Leben ihrer Töchter. Langenbecks Unterstützung der
Reformidee brachte weite Kreise gegen ihn auf. Man erinnerte sich plötzlich
daran, daß er als Nichthamburger im Rat saß und in unerhört jungen Jahren -
wie ging das damals doch gleich zu? - Ratsherr und Bürgermeister geworden war.
Die Vorurteile gediehen. Man beruhigte sich zunächst, aber man vergaß nicht.
Zur endgültigen Kraftprobe kam es im folgenden Jahr im Zuge heftiger
Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgern.
Schwerwiegende innerstädtische Zwistigkeiten
entstanden in den Jahren 1481-1483. Die Chronisten erwähnen extreme
Trockenheit, strenge Winter und Sturmfluten, die in ganz Norddeutschland, sowie
in Mittel- und Ostdeutschland zu Mißernten führten. Der Geldwert verfiel, es
kam zu Teuerung und Hungersnöten. Die Preis für getreide und Fleisch
vervierfachten sich. 1483 erreichten die Ereignisse in Hamburg ihren Siedepunkt:
Die sozialen Spannungen des ausgehenden und in seiner wirtschaftlichen Expansion
erlahmenden Mittelalters entluden sich, die Naturkatastrophen zum Anlaß
nehmend, in heftigen Unruhen, die von weiten Kreisen der Bevölkerung getragen
wurden. Diese argwöhnte, daß sich Hamburger Großkaufleute trotz des Hungers
der Mitbürger an der höchst lukrativen Ausfuhr des knappen Getreides
beteiligen und dabei maßlose Gewinne erzielten. Ja, es hielten sich Gerüchte,
daß sogar Ratsmitglieder an diesem Handel verdienten, ein Grund mehr zu höchster
Verbitterung. Auch Langenbeck geriet in Verdacht, sich bereichert zu haben.
Langenbeck selbst geht in seinem anschließend
verfaßten Bericht über die Unruhen auf solche Vorwürfe ein, indem er
schreibt, man verdächtige in Hamburg
"de rikesten und
mögenhaftigsten borger und koplude, dat korn und andere lyftucht
uptokopen und in frembde gegende to schicken, dem gemenen manne to merklichen
nadeel ...".
Besonderer Verdacht richtete sich auf Bürgermeister
Johann Huge, mit dem Langenbeck in allen politischen Angelegenheiten eng
zusammenarbeitete. Huge erscheint in den auf die Teuerung folgenden Jahren mit
ungewöhnlich hohen Beträgen auf dem Rentenmarkt. Er legte 1471-1490 11.310
Mark Lübische (ML), etwa 550.000 EUR heutiger Währung zinsbringend an, davon
in den Jahren 1484-1487 allein 8.250 ML. Auch Langenbeck selbst erscheint in den
seit dem 13. Jahrhundert vorliegenden Rentenbüchern mit 7.395 ML für die Jahre
1484-1497. Gabrielsson[9]
spricht denn auch davon, es habe 1483 in der Hamburger Kaufmannschaft
"Krisengewinnler" gegeben. Der Verdacht, auch Langenbeck habe dazu gehört,
wirft einen Schatten auf das Bild des Juristen. Die Hungersnot hatte verheerende
Auswirkungen auf Bevölkerungsschichten, die ohnehin im Elend lebten. Hierfür
empfanden die Ratsherren keine Schuld. Sie machten ihre Geschäfte, stifteten
Altäre und gaben Almosen. Die Gewinnler unserer Zeit tun häufig nicht einmal
dies.
Als jene Unruhen am Himmelfahrtstag des Jahres 1483
(8. Mai) ausbrachen, nahm Langenbeck gerade in Lübeck an einem Städtetag des
wendischen Viertels der Hanse teil, sehr gesellige und unterhaltsame
Veranstaltungen übrigens, diese Städtetage. Den von 1483 sollte man sich vor
und in der Kulisse des Lübecker Rathauses vorstellen. Langenbeck wurde eilig
nach Hause gerufen, richtete aber angesichts der aufgebrachten Bürger zunächst
auch nichts aus. Als das Volk - wohl weniger die auch empörten Bürger –
unter der Wortführerschaft des Brauermeisters Hinrich vam Lo am 24.6.1483 das
am Neß gelegene Rathaus[10]
stürmte, floh Langenbeck nach Buxtehude.
Nach dem Sturm auf das Rathaus schlug in Hamburg
die Stimmung um. Dieser Rechtsbruch einiger Aufständischer erschreckte die
Mehrzahl der Bürger doch. Langenbeck kehrte zurück und vollbrachte, wie
Reincke meint, sein "Meisterstück"[11]. Es kam zur entscheidenden Szene, die man sich in
erwartungsvoller Spannung der Beteiligten vorstellen sollte:
Langenbeck stieg auf einen Sägebock (!) und rief
der Menge zu:
"Wer Gnade will, kann ohne Gefährde
Gnade erwerben!"[12]
Dies könne durch Nachsprechen eines Bürgereides
geschehen, sagte er. Die erleichterten und vom Pöbel erschreckten Bürger
jubelten. Sie drängten sich, den von Langenbeck spontan - wohl in allmählicher
Verfertigung der Gedanken beim Reden - formulierten Eid zu leisten. Er lautet in
hochdeutscher Übersetzung[13]
"Ich gelobe und schwöre zu GOTT dem Allmächtigen,
daß ich diesem Rat und dieser Stadt will treu und hold sein, ihr Bestes suchen
und Schaden abwenden, so gut ich es kann und vermag, auch keinen Aufruhr gegen
diesen Rat und diese Stadt machen, weder mit Worten noch Werken, und falls ich
etwas erfahre, das gegen diesen Rat und diese Stadt wäre, dies getreulich
vermelden will. Ich will auch mein jährliches Schoß, einschließlich Türkensteuer,
Zulage, Zöllen, Akzise, Matten[14],
und was sonst zwischen einem Ehrbaren Rat und der Erbgesessenen Bürgerschaft
ausgemacht und bewilligt wird, getreulich und unweigerlich nach meinem Wissen
entrichten und bezahlen. So wahr mir Gott helfe und sein Heiliges Wort."
In niederdeutscher Sprache blieb dieser Eid bis
1844 in Hamburg gültig; formell abgeschafft wurde er erst 1918.
Zugleich mit dieser Eidesleistung der Bürger
vereinbarten Rat und Bürgerschaft einen Rezeß, in dem Regelungen über
Marktrechte, Münzwesen, Kornexporte, Ämterverteilung und viele andere akute
Streitpunkte getroffen wurden. Dieser Rezeß von 1483, an dessen Bestimmungen
sich beide Seiten in der Folgezeit gewissenhaft hielten, sicherte bis in die
Tage der Reformation, in denen es aus anderen Gründen zu Unruhen kam, den
inneren Frieden in der Stadt.
Über Langenbecks Privatleben in den Hamburger
Tagen sprudeln die Quellen nicht so reich wie über die italienische Zeit - es
fehlte sein Freund Böger, der uns den Helden des Berichts begeistert schildern
könnte. Etwas ist gleichwohl bekannt:
Im Jahre seiner RatswahI, am 3.5.1479, heiratete er
die am 5.2.1459 geborene Anna Bremer, die Tochter des Bürgermeisters Detlev
Bremer d.Ä. Nach ihrem Tode am 3.12.1485 ging er 1490 eine zweite Ehe mit
Cecilia von Sottrum aus Buxtehude ein. Sie starb 1526 oder 1527. Über beide
Ehefrauen ist nichts Näheres zu erfahren. Aus den Ehen stammten insgesamt 12
Kinder, von denen insbesondere Hermann zu nennen ist, der - wie sein Vater - in
Italien Rechtswissenschaft studierte und Prokurator der Deutschen Nation in Rom
wurde. Er arbeitete als Rechtsanwalt in Hamburg und war später für die Hanse
in diplomatischen Missionen tätig. Verheiratet war Hermann mit der Tochter des
"Kriegsgewinnlers" Bürgermeister Johann Hüge.
Der Enkel Detlev Langenbeck - ebenfalls Jurist -
wurde von den Zeitgenossen seiner Rechtsgelehrtheit wegen der "Bartolus
unserer Tage" genannt. Er studierte die Rechte in Bologna, wurde dort
Magister und war ab 1506 an der Römischen Kurie tätig. Notar und Prokurator an
der Rota Romana war Detlev und Bauherr der deutschen Nationalkirche S.Maria delI
'Anima in Rom. Er starb 1510, als er soeben zum Domdekan in Lübeck ernannt
worden war. Georg Langenbeck - im 17. Jahrhundert braunschweigisch-lüneburger
Kanzler - und im 18. Jahrhundert Senator Dr. Hermann Langenbeck - und
Herausgeber des ältesten Seerechts-Handbuches - sind als weitere Nachkommen zu
nennen.
Über Langenbecks wirtschaftliche Situation ist
bekannt, daß er schon in der Jugend "sicher unter dem Schilde des
Reichtums stand“ (tutus divite scuto). Er hinterließ mehrere Grundstücke und
7.000 ML. an Renten. Hinzu kommen 3.000 ML, die er 1514/15 für die Stadt
verauslagte und eine Abfindung von 3.000 ML, die 1529 an eine Tochter aus dem
bis dahin ungeteilten Nachlaß gezahlt wurden. Zusammen ergibt sich damit
mindestens der Betrag von 18.000 ML, etwa EUR 900.000 heutiger Währung. Dies
stellte in Hamburg um 1500 das Vermögen eines wohlhabenden Bürgers dar. Die
Spitzenvermögen jener Zeit lagen bei etwa EUR 2,5 Mio, wobei Angaben über den
jeweiligen Geldwert und die Kaufkraft nur mit größter Vorsicht möglich sind.
Zur Charakterisierung der Persönlichkeit
Langenbecks sei Reincke zitiert:
"Ein ungemein geschickter, hartnäckiger
Politiker, herbe, ohne persönlichen Charme, ein gewandter Unterhändler, der
seine Stadt in gefahrvollen, zeitweise fast verzweifelten Zeitläufen über
manche Klippe hinweggesteuert hat. Im Grunde ein Verächter der Menschen und des
Geldes, obwohl er ohne beides nicht leben konnte, ein weitschauender
Wirtschafts- und Geldpolitiker, ein Förderer der Künste, ein wirksamer
Schriftsteller, vor allem aber eben ein großer Jurist."
Dr. Hermann Langenbeck starb – 65 Jahre alt -
am 30. April 1517. Sechs Monate später, am 31. Oktober desselben Jahres
schlug Martin Luther seine Thesen an das Portal der Schloßkirche zu Wittenberg.
Eine neue Zeit begann. Langenbeck wurde im Dom St. Marien zu Hamburg vor den
Stufen des Chores neben der Gruft der Schauenburgischen Grafen von Holstein
beigesetzt. Sein Grabstein nannte nur den Namen, das Datum seines Sterbetages
und das Lebensalter. In der Ratslinie wurde sachlich vermerkt:
"Ein weiser, vortrefflich geschickter Mann,
ist vielfältig in Legationen verwandt und hat viel Sachen zum glücklichen Ende
gebracht."[15]
Der Mariendom wurde 1806 abgerissen. Die Ökonomie
verlangte es. Der Unterhalt wurde zu teuer. Man errichtete das Johanneum auf dem
Platz, der traditionell als der Standort der Hammaburg angenommen wird, auch das
Johanneum verfiel dem Abriß. Ein Parkplatz entstand. Was aus den Gebeinen
geworden ist? Vielleicht wurden sie
auf den Friedhof vor dem Dammtor gebracht. Dort steht heute die Hamburg Messe.
Was uns greifbar bleibt, ist die wunderbare Bilderhandschrift. Sie hat alle
Zeitläufte, Brände und Bomben überstanden und wird im klimatisierten Keller
des Staatsarchives aufbewahrt. Sicher hat Langenbeck sie in der Hand gehalten.
Vielleicht auch hat er zusammen mit Wilm Dedeke davor gestanden und kundig die
gemeinsam erdachten symbolhaften Details betrachtet. Vielleicht.
Was uns sonst noch bleibt? Natürlich sein
Stadtrecht selbst, besonders das Schiffsrecht, das der eigenständige Beitrag
Langenbecks war. Dessen Regeln geltend in der internationalen Schiffahrt zwar
noch heute, werden aber zunehmend ignoriert, wie z.B. diese Regel aus den
Artikeln über den "schipbroke": "So wann eyn schip tobrickt, so
schal de shipher aldererst bergen de lude unde darna dat rede gudt, unde darna
moet he wol berghen sin tow eft he mach, unde darna schal he den vrachtluden dat
boet lenen dat se er gudt mede berghen, eft se dat willen.".
Wenn Sie das nicht gleich verstehen, hilft es, den
Text laut zu lesen, sich des Plattdeutschen und des Englischen zu erinnern. Dies
ist Langenbecks Sprache. Deutlich, klar, bestimmt, entschlossen. So ein Mensch
war er wohl auch. Und doch trieb es ihn, den Halephagen-Altar zu stiften und
sich darauf als frommer Stifter in Gestalt des HI. Hieronymus darstellen zu
lassen. Hieronymus? Ja, Hieronymus, Patron der Asketen, Gelehrten, Schüler,
Studenten, Theologen und Übersetzer. Dies alles war Hermann Langenbeck auch. Daß
der Internationale Seegerichtshof heute in seiner Stadt ein außerordentlich
ansehnliches Gebäude mit Blick auf die Elbe erhalten hat und damit die
internationale Bedeutung Hamburgs für das Seerecht unterstreicht, das hätte
Langenbek sehr bewegt.
Karin
Wiedemann
[1]
Reincke, Skizzen und Forschungen zur Hamburgischen
Geschichte, Hambzrg, 1951, Seite 273
[2]
Anfang des Textes zu Abschnitt A
[3]
In der Dielenaudienz wurden eilige oder geringfügige Streitigkeiten sowie
schiedsrichterliche Verfahren behandelt. Richter waren Senatoren.
[4] "Leben und Wirken des Buxtehuder Magisters Halpaghe", Buxtehude 1984, Seite 15
[5]
Reincke,
Die Bilderhandschrift des Hamburgischen Stadtrechts von 1497, Hamburg 1919,
Seite 7
[6]
Auf Melchior Lorichs Elbkarte von 1568 ist die große
Anzahl von Seezeichen zu sehen, die Hamburg
errichtet hat hatte und unterhielt.
[7]
Deutsche
Übersetzung von Heinrich Reincke, aaO, Seite 264
[8]
Reincke aaO, Seite 265
[9] Zitiert nach Loose, aaO, Seite 131
[10] an der Stelle, an der heute das Gebäude der Patriotischen Gesellschaft steht
[11] Reincke, Forschungen und Skizzen, Seite 272
[12] Reincke aaO Seite 271
[13] zitiert nach Klessmann, Seite 60
[14] Unter Matten verstand man die Angabe von einem Zwanzigstel des zum Mahlen gebrachten Getreides als Entlohnung für den Müller
[15]
Zitiert
nach Reincke, aaO, Seite 274