(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/02, 13) < home RiV >

Dr. Hermann Langenbek
zum 550. Geburtstag
Teil 2

Im vorigen Heft verfolgten wir Dr. Hermann Langenbecks Lebenslauf bis zur Abreise aus Italien, nunmehr wollen wir uns seinen Hamburger Jahren zuwenden. Am Petritag (22.2.) 1479 - nach alter Tradition der Wahltag, weil später im Jahr Kaufleute und Schiffer wieder auf Reisen waren - wurde Langenbeck zum Ratsherrn gewählt.

Der Rat als Kollegialorgan war die "Obrigkeit". Ihm oblag, ohne daß dies schriftlich oder durch Überlieferung im einzelnen fest umrissen gewesen wäre, die Ausübung aller drei Gewalten. Beherrschende Aufgabe des Rates war die Sorge für den störungsfreien Ablauf des Handels im Inneren wie nach außen. Der Rat - und damit die Geschicke der Stadt - wurden durch die Kaufmannschaft beherrscht, die die politische und wirtschaftliche Führungsschicht der Stadt bildete. Maßgebendes Argument und Prüfstein der jeweiligen Alternativen ihrer Entscheidungen war nahezu ausnahmslos die Frage, für die später Graf Schimmelmann berühmt wurde: "Nützt es der Ökonomie?" Ein Kriterium übrigens, mit dem die wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs meistens gut fuhr, wie sich zeigen wird. Das Wohlergehen der Menschen, der "untere Schichten", spielte dabei keine Rolle. Dies blieb schon zu Zeiten Langenbecks nicht ohne Folgen für den inneren Frieden der Stadt.

Großen Nutzen für die Ökonomie brachte zum Beispiel die im 15. Jahrhundert ungeklärte verfassungsrechtliche Stellung Hamburgs im Deutschen Reich. Die Stadt vertrat grundsätzlich die Auffassung, Hamburg gehöre zur holsteinischen Landesherrschaft. Dieser Meinung waren auch die dänischen Könige, die 1460 die Schauenburger Grafen als Landesherren abgelöst hatten. Kaiser und Reich hingegen maßen Hamburg den Status einer freien und unmittelbaren Reichsstadt zu. 1510 auf dem Reichstag zu Augsburg, der im Stadtschloß des Großkaufmanns Jakob Fugger stattfand, was ebenfalls ein bezeichnendes Licht darauf wirft, welche Mächte – nicht nur zu Langenbecks Zeiten - den Ton angaben, wurde der reichsstädtische Status Hamburgs bekräftigt.

Freiheit, Ehre und nicht zuletzt die mit dem Status verbundene Privilegien waren nicht umsonst zu haben. Das sah man in Hamburg grundsätzlich ein. Unangenehm war es aber doch, zu den finanziellen Lasten einer freien Reichsstadt herangezogen zu werden, insbesondere die geschuldeten Reichssteuern zu entrichten. So konnte es nicht schaden, wenn solche Erklärungen bezüglich des Status nicht allzu genau fixiert wurden und Hamburg bei gehöriger Auslegung auch unter das dänische Territorium fallen konnte.

Diese Unschärfe der Rechtslage war ebenfalls im Verhältnis zum Landesherrn nützlich. Die dänischen Könige ließen Hamburg faktisch eine selbständige Außenpolitik - für sich und im Rahmen der mit ihnen gelegentlich verfeindeten Hanse - betreiben. Hamburg konnte unter ihrer Herrschaft wie ein souveräner Stadtstaat agieren. Aber auch der dänisches König wollte Hamburg ans Portemonnaie. Bei Bedarf machte Hamburg deswegen auch hier Gebrauch von der ungeklärten Position. Immer dann, wenn der dänische König um einen Beitrag zu seinen Finanzen bat, erinnerte sich Hamburg seiner Reichsprivilegien und verweigerte die Zahlung. Kaiser Maximilian durchschaute die Hamburger. Nach der Überlieferung hat er die Hamburger "seltsame Leute" genannt: vor ihm, dem Kaiser beriefen sie sich auf den Landesherrn, bei dem Landesherrn auf den Kaiser; sie "wollten aus ihm wohl einen WaldeseI machen." Manchmal ist es ihnen auch gelungen.

Ebenso „flexibel“ wie die verfassungsrechtliche Stellung im Reich handhabte Hamburg die Mitgliedschaft in der Hanse. Dieser Zusammenschluß einzelner Fernhandels-kaufleute, erstmals 1345 in einem offiziellen Dokument erwähnt als "Universii mercatores de Hansa Theutonicorum" veränderte sich nach und nach zu einem Städtebund, der größte wirtschaftliche und politische Bedeutung im Ost- und Nordseeraum und dessen Hinterland errang. In einer Zeit ohne funktionierende Reichsgewalt, in der es an einer Förderung des Handels, gezielter Bevölkerungsansiedlung und bewußter Wirtschaftsentwicklung fehlte, in der die Sicherheit der Seewege vor Seeräubern und der Landwege vor Wegelagerern und Raubrittern durch den Kaiser oder die Fürsten in keiner Weise gewährleistet wurden, übernahmen die Städte und damit die Kaufleute selbst diese für sie lebenswichtigen Aufgaben. Die Bedeutung der Hanse für die Wirtschaftsentwicklung in Norwegen, Schonen und im gesamten Ostseeraum ist kaum zu überschätzen. Politisch Rechnung getragen wurde dem dadurch, daß z.B. im Stockholmer Rat obligatorisch Hansekaufleute saßen.

Zur Zeit Langenbecks war die Hanse allerdings bereits in der Defensive. Die Länder Europas wandelten sich zu Nationalstaaten. Ihre Herrscher erkannten die Chancen, die eine Förderung der eigenen Wirtschaft bot. In England gingen die Rosenkriege zu Ende, die das Land in blutigen Bürgerkrieg gestürzt hatten. Das Haus Tudor gelangte 1485 mit Heinrich VII. an die Macht und begann, ein vergleichsweise stabiles Staatsgefüge zu schaffen. Auch der Krieg mit Frankreich, in dem sich fünf Generationen aufgerieben hatten, war seit dem Sieg der Franzosen in Castillon (1453) eingeschlafen, ohne förmlich beendet worden zu sein. Die Bewohner Frankreichs begann, sich als Mitglieder einer Nation, ähnlich dem modernen Wortsinn, zu fühlen. Mit der Idee eines Frankreich, das unter dem Schutz Gottes all seine Kräfte gegen den englischen Feind mobilisierte, hatte Jeanne d'Arc die zerstrittenen Parteien ihres Landes zum Erfolg geführt. Ludwig XI. nahm diese Gedanken auf und begann, seinem Land eine geordnete, zentralistische Verwaltung zu geben. Bei seinem Tode 1483 hinterließ er ein Land in dem das Mittelalter überwunden worden war und in dem bereits die Grundstrukturen neuzeitlicher Monarchie zu erkennen sind.

In Frankreich herrschte, als Langenbeks Einfluß auf die Politik gewann, seit 1483 Charles VIII. und anschließend (1498-1515) Ludwig XII., unterstützt von beider Ehefrau, der politisch hochbegabten Herzogin Anne de Bretagne. Als Haupt des von Territorialfürsten beherrschten Deutschen Reiches versuchte Maximilian I. Verwaltung und Rechtsprechung zu vereinheitlichen, um seinerseits die Zentralgewalt zu stärken. Dies alles ging zu Lasten der Hanse, deren Rechte einzuschränken leicht war, weil sie als territorial übergreifender Bund ohne staatlichen Schutz agierte. Sie wehrte sich zunächst noch mit kriegerischen Aktionen, lieber allerdings mit Handelsbeschränkungen, die sie gegenüber dem jeweiligen Widersacher verhängte. Konflikte entstanden insbesondere mit den Herzögen von Burgund und ihrer Welthandelsstadt Brügge, aber auch mit den englischen Königen, die versuchten, dem Londoner Stahlhof der Hanse Einschränkungen aufzuerlegen. In der seit dem 14. Jahrhundert entstehenden Organisation englischer Kaufleute und Abenteurer, den "Merchant Adventurers" erwuchs der Hanse eine starke, von der englischen Krone auch schon vor den Zeiten Elisabeth I. zunehmend geförderte Konkurrenz.

Hamburg hielt sich bei Konflikten weitgehend zurück. Wo sich die Interessen der Hanse nicht mehr mit denen der Hamburger Ökonomie deckten, scherte Hamburg aus. So nahm die Stadt an den Kämpfen gegen den eigenen Landesherm, den dänischen König, und bei Aktionen gegen England zu dem beste Beziehungen bestanden, nicht teil. Die Bedeutung des Englandhandels für Hamburg erhellt der von Meister Franke geschaffene Englandfahrer-Altar, der im Auftrag der gleichnamigen Kaufmannsbruderschaft entstand. Im Mittelpunkt des Altars steht die Figur des HI. Thomas von Canterbury, der sowohl für die Bruderschaft als auch für die Merchant Adventurers zum Schutzpatron wurde.

Langenbeck wurde als Ratsmitglied in ein kompliziertes politisches Geflecht gestellt. Er hatte von Beginn seiner Tätigkeit an heikle diplomatische Missionen zu erfüllen und löste diese Aufgaben mit klarem Blick. Er sah durchaus die schwindende Bedeutung der Hanse und das stärker werdende Eigeninteresses seiner Stadt. Reincke attestiert ihm "eine kluge Politik wachsamer Schwäche und Neutralität, die er mit taktischem Geschick handhabte"[1].

Diese Politik, fortgesetzt von seinen Nachfolgern, hat Hamburg die Anpassung an die veränderten Verhältnisse auch des 16. Jahrhunderts ermöglicht. Nicht mehr Nord- und Ostsee oder das Mittelmeer bestimmten Handel und Wandel. Die geographischen Kenntnisse erweiterten sich: Diaz umsegelte das Kap der Guten Hoffnung, Columbus fuhr nach Westen, Vasco da Gama fand den Seeweg nach Indien - es war der direkte Weg zu Seide und Gewürzen. Karten und Atlanten wurden gezeichnet. Man begann, sich ein Bild von der Welt zu machen. Die Schauplätze des Welthandels verlagerten sich. Lübecks Niedergang begann in jenen Jahren. Das Haupt der Hanse paßte sich den Veränderungen nicht an. Es sah nicht über den begrenzten bisherigen Horizont hinaus und suchte sein Heil in immer neuen und zunehmend nicht mehr durchsetzbaren Handelsbeschränkungen. Das Ergebnis ist bekannt: Ein weltwirtschaftlich bedeutungsloses Kulturerbe der Menschheit.

Wenden wir uns nun Langenbecks Aufgaben im Inneren zu: Als Ratsmitglied hatte Langenbeck Recht zu sprechen. Seinem nicht unentwickelten Selbstbewußtsein verdanken wir die bemerkenswerte bildliche Darstellung in dieser Tätigkeit. Unter den Illustrationen zum Stadtrecht von 1497[2] ist eine bürgermeisterliche Dielenaudienz[3] zu sehen. Die Figur des Richters weist außerordentliche Ähnlichkeit mit dem uns aus dem Buxtehuder Altar überlieferten Bild Langenbecks auf. Unverkennbar ist hier der selbe Mann dargestellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein weiteres Portrait Langenbecks als Bürgermeister ist bekannt. Es befand ehemals in schottischem Privatbesitz, wurde dann nach Schweden und Holland verkauft, gelangte 1931 nach Berlin und von dort aus in die Schweinfurter Sammlung Georg Schäfer. 1983 kaufte es das Lübecker Museen für Kunst und Kultur und lieh es der Hamburger Kunsthalle aus, wo es heute besichtigt werden kann. Hierbei handelt es sich um das älteste erhaltene Portrait eines Hamburger Bürgermeisters. Es soll 1515 entstanden sein. Der Maler ist Wilm Dedeke, ein Schüler Notkes. Dedeke - als Hamburger Meister von 1500-1528 geführt - soll auch die genannte Miniatur des Stadtrechts von 1497 geschaffen haben, wie Martin Jank [4]schreibt.

Welches waren nun die rechtlichen Grundlagen und Rechtsquellen für die Rechtsprechung Langenbeks? Diese Frage stellte sich der gerade aus Italien eingetroffene Doktor beider Rechte auch und begann sofort - befähigt durch seine wissenschaftlich systematische Ausbildung am römischen Recht - das geltende Stadtrecht zu sichten und zu ordnen. Er sah die vorhandenen Urkunden durch und faßte ihren Inhalt in "Summen" zusammen - auch dies eine der Beschäftigung mit dem Corpus Iuris entsprechende Ordnungsmethode. Eine besondere Rolle spielten dabei Verträge, Privilegien, politische und rechtliche Garantien der Kaiser und des Landesherrn sowie anderer Fürsten. Der Bedeutung der Seehandelswege entsprechend kam dabei den Abkommen mit Territorialherren an der Elbmündung besonderes Gewicht zu.

Unter den Verträgen fand Langenbeck verschiedene Abkommen mit Lübeck, die anschaulich machen, in welchem Maße beide Städte zusammenarbeiteten:

·       Gegenseitige Gewährung voller Handelsfreiheit der Bürger beider Städte (1230)

·       Vertrag über gemeinsamen Straßenschutz zwischen Hamburg und Lübeck zu gleichen Lasten, Verfolgung von Angriffen gegen die Bürger beider Städte zu gleichen Lasten, Rechtsschutz in jeder Stadt für die beiderseitigen Bürger (1241)

·       Gegenseitige Anerkennung der Verfestung (1241)

·       Münzverein zwischen beiden Städten 1255)

·       Verhandlungen über Abstimmung der beiderseitigen seerechtlichen Bestimmungen (1260)

·       Verbrüderung der beiden Domkapitel (1266)

·       Vertrag über die Anstellung eines gemeinsamen Münzmeisters, gemeinsame Münzprägung, ferner GeleitsteIlung zu gleichen Lasten auf der Straße Hamburg-Lübeck (1304)

Von großer Bedeutung waren auch die von beiden Städten gemeinsam geschlossenen früheren Auslandsverträge - z.B. das holländische Geleitprivileg (1243), das Utrechter Zollprivileg (1244), das große flandrische Privileg (1252), das schottische Privileg (1297), sowie diverse Landfriedensbündnisse mit den Territorialherren in der Nachbarschaft. Aus Langenbeks Arbeit der Sammlung und Ordnung dieser Urkunden entstanden bis 1485 das "Liber privilegiorum" und das "Liber contractum".

Langenbeck fand darüber hinaus als schriftliche Rechtsquelle das Ordeelbok von 1270 und die dazu im 14. Jahrhundert vorgenommenen Überarbeitungen vor, insgesamt ein Werk, das grundlegend für die tägliche Rechtsanwendung war. Daneben wurde das Stadtrecht von 1301, "dat rode bok" herangezogen, das nur zum Teil publiziert und durch Eintragungen neuer Urteile weiterbearbeitet worden war. Ergänzend dazu galten in Hamburg Soester und Lübecker Recht, wobei Lübeck um gutachterlichen Rechtsrat auch in aktuell anstehenden Prozessen gebeten wurde.

Lübecker Recht wandte man in Hamburg an seit Graf Adolf Ill. von Holstein in den Jahren 1188/89 Wirad von Boizenburg mit der Gründung der Hamburger Neustadt beauftragt hatte. Wirad war gräflicherseits ausdrücklich gehalten anzuordnen, daß die Siedler an der Alsterschleife (um die heutige Nikolaikirchenruine) ihre freien Hausgrundstücke nach dem Besitzrecht der Lübecker innehaben und daß sie in Bußfällen Bußgelder nach Lübischem Recht zahlen sollten.

Neben den schriftlichen Rechtsquellen fand Langenbeck eine Fülle gewohnheitsrechtlicher Sätze vor, die sich über die Jahrhunderte hindurch herausgebildet hatten und als geltendes Recht angewandt wurden.

Zunächst zur Erleichterung der eigenen Arbeit, später bewußt zur Fortbildung und Ordnung städtischen Rechts begann Langenbeck mit Notizen zum Ordelbok (Urteilsbuch) von 1270. Es war am 15. Oktober 1270 von dem „Gesamten Rat und den Weisesten" aus der Bürgerschaft angenommen worden. Sein amtlicher Name ist "Dat Ordelbok". In ihm sind zu dauerndem Gedächtnis Aussprüche und Urteile des Rats und des Gerichts zusammengetragen; es handelt sich also um anläßlich konkreter Rechtsfälle gefundene abstrakte Rechtssätze. In zwölf Stücken - dabei eine für die Zeit ungewöhnliche Neigung  zu Vollständigkeit zeigend - werden die Rechtsgebiete dargestellt:

Insgesamt sind 168 "ordele" oder "saken" enthalten. Ein Anhang betrifft das Schiffs- und Seerecht.

Wo die hamburgischen Gewohnheiten dem sächsischen Stammesrecht entsprachen, fügte man einen Hinweis auf die Entsprechung im Sachsenspiegel bei. Ein Menschenalter später wurde das Ordelbok revidiert. In den Jahren nach 1301 folgten weitere Bearbeitungen. Sie betrafen vor allem das eheliche Güterrecht. Hatte man bisher, dem Soester und Lübecker Recht folgend, nur bei beerbter Ehe eine Gütergemeinschaft angenommen, beim Fehlen von Kindern jedoch an der äußerlichen Güterverbindung oder Verwaltungsgemeinschaft festgehalten, so wurde nun für alle Fälle die allgemeine Gütergemeinschaft geltendes Recht. Hiermit wurde das System geschaffen, das in Hamburg bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches galt. Die Rechte des Familienoberhauptes gegen Frau und Kinder, insbesondere seine Vertretungsrechte, wurden verstärkt und in der Gerichtsverfassung die Rechte des gräflichen Vogtes gegenüber den beisitzenden Ratsherren geschwächt. Das Schiffsrecht erhielt die Form eines selbständigen Gesetzes. Dies alles wurde nun aber nicht publiziert, der Rat hielt es vielmehr unter Verschluß, weil angesichts herrschender Tumulte Diskussionen und weitere Unruhe befürchtet wurden. [5]

Langenbek fand das alles nebeneinander vor. Jeder berief sich im Streitfall auf das ihm günstigste Buch. Zunehmend spielte auch das inzwischen im Norden bekannt gewordene römische Recht eine Rolle. Wie man sieht, bedurfte es dringend einer neuen, für alle verbindlichen Niederlegung des Hamburgischen Rechts.

Langenbeck begann zu ordnen. Er versah die diversen Stadtrechtsausgaben mit Anmerkungen zu Parallelstellen aus dem Sachsenspiegel und dem römischen Recht, das ihm aus Rostocker, Greifswalder und vor allem den italienischen Zeiten geläufig war, und mit Notizen über Präjudikate. Mit diesen Aufzeichnungen legte er den Grundstock für die sog. Langenbecksche Glosse, seiner Kommentierung dieses Stadtrechts und zur Herausgabe des Stadtrechts von 1497. Beide Arbeiten sind Leistungen, die für lange Zeit Langenbecks Ruf als "Vater der Hamburgischen Rechtswissenschaft" begründeten. Offenbar ist es ein vergessener Ruf. Hätte man sonst auf ausgerechnet seine Statue über dem Eingang des Ziviljustizgebäudes verzichtet? Vermuten wir, der Grund sei darin zu suchen ist, daß im vorigen Jahrhundert die Forschungen noch kein Abbild Langenbecks zu Tage gebracht hatten………….

Langenbecks juristische Arbeiten fallen in die Zeit, in der sich im Deutschen Reich überall die Frage stellte und nach und nach entschied, ob man das Römische Recht übernehmen, anpassen oder abwehren wollte - der Beginn des Vorganges, den wir "Rezeption" nennen. Die Auseinandersetzungen darüber, ob die überlieferten heimischen Rechtsquellen und Rechtstraditionen zugunsten des Gemeinen Rechts aufgegeben werden sollten, gehören zu den bedeutsamsten Ereignissen der deutschen Rechtsgeschichte. Ein Schlaglicht auf Langenbecks Position in dieser Diskussion wirft sein erbitterter Widerstand gegen die Einrichtung des Reichskammergerichts und dessen Zuständigkeit als oberste Instanz auch für Hamburger Streitigkeiten. 1495 beschloß der Reichstag in Worms auf Drängen Kaiser Maximilians die Einrichtung eines obersten Reichsgerichtes im Zuge der allgemeinen Reichsreform. Der Widerstand des Hamburger Rates unter Langenbecks Führung richtete sich vor allem gegen die in der Reichskammergerichtsordnung statuierte grundsätzliche Geltung des Gemeinen Rechts, das bis dahin nur subsidiär angewandt worden war. Inhaltlich wollte die Reichsstadt Hamburg bei ihrem Partikularrecht bleiben; modernisiert durfte das heimische Recht werden, nicht aber gänzlich ersetzt. So Langenbeck - wie immer. Daß bei der Hamburger Zurückhaltung auch das ungelöste Problem der verfassungsrechtlichen Stellung Hamburgs im Reich eine Rolle spielte, liegt auf der Hand.

Den Schritt zur vollständigen Rezeption des Römischen Rechts mochte Langenbeck nicht vollziehen, weil er um die unbegrenzte Justizhoheit des Rates und um den materiellen Bestand des Stadtrechts fürchtete. Verbesserungen und Anpassung an die neue Zeit versprach er sich eher durch seine bereits begonnene systematische Aufbereitung des geltenden Stadtrechts, das er inhaltlich in seiner gewachsenen Form zu erhalten wünschte. Seine Haltung entsprach durchaus dem Verlauf der Rezeption, wie er wohl heute überwiegend eingeschätzt wird: Ihre Bedeutung liegt nicht in der Übernahme des Inhaltes des Römischen Rechtes als in der Verwissenschaftlichung des geltenden Rechts und in der Anpassung und Modernisierung mittelalterlicher Rechtsvorstellungen, insbesondere im Strafrecht und Beweisrecht.

Tragendes Element solcher behutsamer Veränderungen war der Übergang der Rechtsprechung und Rechtsetzung auf einen gebildeten Juristenstand. Die praktischen Konsequenzen sind allerdings nicht mit heutigen Augen zu betrachten. Es darf daran erinnert werden, daß zu Langenbecks Lebenszeit "Der Hexenhammer" erschien (1489), der Anleitungen zur "bürokratisierten" Folterung im Inquisitionsprozeß enthielt und als großer Fortschritt angesehen wurde. Man vertraute auf Hexenproben und Gottesurteile. Der Papst erließ seine "Hexenbulle" wider die Zauberei und Dämonen.

Die Hamburger Reaktion auf den Wormser Beschluß zur Errichtung des Reichskammergerichts war heftig. Die Anrufung dieses Gerichtes wurde Bürgern der Stadt unter Hinweis auf ein Privileg Kaiser Sigismunds von 1421 verboten. Die erste Partei, die es gleichwohl wagte, gegen ein Urteil des hochweisen Rates das Reichskammergericht anzurufen, soll von den Mitbürgern verprügelt, vom Rate bestraft und der Stadt verwiesen worden sein!

Das Stadtrecht von 1497, in das Langenbecks Vorarbeiten mündeten, muß Gegenstand einer besonderen Betrachtung werden. Hier sollen nur die Illustrationen zu den einzelnen Abschnitten des Buches herausgehoben werden, die eine Facette der Vielseitigkeit Langenbecks ausmachen. Die Illustrationen mögen Anfang des 16, Jahrhunderts entstanden sein. Langenbeck beeinflusste sie maßgeblich. Die Bilder bieten reiches Anschauungsmaterial über Rechtsbräuche und Alltagsleben in der Stadt. Kleidung, Habitus, Gewohnheiten, und Gerätschaften sind lebendig dargestellt.

Die Bilder sind eine vorzügliche Illustration auch zu Langenbecks Lebenseinstellung. Obgleich er die italienische Frührenaissance-Kunst erlebt hatte, bevorzugte er für sein Stadtrecht die herkömmliche Kunst, die etwas schwere, naive Darstellung, die weniger auf Schönheit und Individualität als auf das zutreffende Symbol und die Ehrlichkeit des Ganzen sieht. Zu Langenbecks Zeit entstanden die Werke Pachers, Memlings, und Dürers, die in größerer Vollendung als im Hamburger Stadtrecht ebenfalls dem liebevollen Detail huldigen. Im Jahre 1497, in dem Langenbecks Stadtrecht erscheint,  vollendet schon Leonardo da Vinci sein "Abendmahl", sechs Jahre später wird Michelangelos "David" aufgestellt. In diesem gewaltigen Spannungsfeld ästhetischer wie gesellschaftlicher Werte lebten Langenbeck und seine Zeitgenossen.

Daß Langenbeck über aktuelle künstlerische, politische und wissenschaftliche Ereignisse informiert war, dürfen wir annehmen. Die Hanse verfügte schon aus ökonomischen Gründen über ein gut funktionierendes Nachrichtensystem, das ihr die wichtigsten Ereignisse zutrug. Gesandte Hamburgs hatten häufig in Prozeßangelegenheiten in Rom und Avignon zu tun. Jeder Kaufmann brachte Neuigkeiten mit. Und von den Freunden aus italienischen Tagen wird er auch hin und wieder die Aktualitäten erhalten haben.

Zu diesen Neuigkeiten aus der damals bekannten und relevanten Welt gehörte mit Sicherheit auch der Bericht über die Einführung der doppelten Buchführung im Hause Fugger. Fugger finanzierte Kaiser und Reich, eine Aufgabe, an der sich Hamburg ebenfalls – wenn auch in weit bescheidenerem Umfang - beteiligte: 1482 wandte die Stadt 1200 Gulden, Langenbecks juristische Kenntnisse und eine Urkundenfälschung auf, um Kaiser Friedrich III. zur Unterzeichnung eines Stapelprivilegs zu bewegen.

Hamburg hatte sich de facto ein Stapelprivileg für Getreide, Obst, Wein und Bier verschafft. Nachdem die Stadt die EIbe von der Mündung an im 14. Jahrhundert unter ihre Kontrolle gebracht und die Schiffahrt durch Wachschiffe und Barken einigermaßen gegen Seeräuber und sonstige Unbill gesichert hatte, verlangte sie, daß alle von der See her auf der EIbe transportierten Waren auf dem Hamburger Markt feilgeboten wurden, wodurch dieser mit großer Vielfalt an Waren und erstklassiger Qualität des Angebotenen erheblich an Attraktivität gewann. Das lebhafte Treiben ist anschaulich dargestellt auf der Marktrechtsminiatur des Stadtrechtes von 1497 und einem Diorama im Hanseraum des Museums für Hamburgische Geschichte, ein lebhaftes Gewimmel von geschäftigen Menschen, Tieren, Schiffen, Ständen und Waren.

Im Jahre 1470 hatte Kaiser Friedrich III. dem Grafen von MühIingen-Barby das Recht verliehen, Korn, Wein und Bier auf der EIbe nach Hamburg zu bringen, dort zu lagern und unbehindert durchzuführen. Dies bedeutete eine Befreiung vom Stapelzwang und damit die Beeinträchtigung Hamburger Interessen. Das konnte nicht hingenommen werden. Es war eine Herausforderung, die für Langenbeck wie geschaffen war. Tatkraft und Rechtskenntnisse waren gefragt - und Geld:

Unter Anwendung der enormen Summe von 1.200,-- Gulden für den Kaiser und unter Vordatierung einer präjudiziellen Urkunde des Landesherrn Christian I. von Dänemark gelang es 1482, den Kaiser zur Aufhebung des gräflichen Privilegs zu bewegen. Friedrich bestimmte, daß Korn, Roggen, Weizen, Gerste, Mehl, Wein und Bier elbabwärts an Hamburg nicht vorbeigeführt werden durften - alle Waren dieser Art mußten in Hamburg auf den Markt gebracht werden. Die Vorherrschaft Hamburgs war wieder hergestellt.

Aus heutiger Sicht betrachtet lag in diesen Bestrebungen eine Behinderung des freien Handels. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß dieser Handel sich ohne die gewaltigen Anstrengungen Hamburgs zur Sicherung der See- und Landwege nicht hätte entfalten können.[6] Für die Entwicklung der Stadt war das Erreichte ein weiterer wichtiger Schritt, und für Langenbeck war es ein großer Erfolg.

Am 22. Februar 1482 wurde Dr. Hermann Langenbeck nach dem Tod des beliebten Bürgermeisters Hinrich Murmeister zu dessen Nachfolger gewählt. Das hatte es noch nicht gegeben: Der an Lebens- und Amtsjahren jüngste Ratsherr wurde zum Bürgermeister gewählt! Freund Hinrich Böger dichtete:[7]

Vorsitz führen, welche Ehre, wenn sich Los und Sinn vereint!

Doch die Sorge als Begleiter macht die Ehre unheilvoll!

Bleibe, steige, trage, Herre, und zerbrich nicht vor der Last!

Reincke kommentiert das Ereignis in der ihm eigenen deutlichen Art: „Die Bürgermeisterwahl von 1482 hat unter den älteren Herren des Rats, die zum Teil schon fast vierzig Jahre in Ehren der Stadt gedient hatten und nun einem hergelaufenen Jüngling den Vortritt lassen mussten, viel böses Blut erregt.[8]

Der Ärger entlud sich, als im selben Jahre - wir schreiben 1482 - Langenbeck auf Anregung seines Vormunds Halepaghe in die Bemühungen zur Reform des Klosters Herwerdeshude (Harvestehude) eingriff, das als Versorgungsanstalt der Hamburger Bürgertöchter galt. Die Insassinnen nahmen es, wie viele andere Klosterbrüder und -schwestern der Hamburger Klöster, weder mit dem Armutsgelübde, noch mit ihren sonstigen Pflichten allzu genau. Das Kloster Herwerdeshude wurde mit Unterstützung Langenbecks im Herbst 1482 im Zuge religiöser Reformbestrebungen visitiert, um die Zustände in Augenschein zu nehmen und Abhilfe zu schaffen. Dies löste heftige Empörung aus. Die Bürger fürchteten um das bequeme Leben ihrer Töchter. Langenbecks Unterstützung der Reformidee brachte weite Kreise gegen ihn auf. Man erinnerte sich plötzlich daran, daß er als Nichthamburger im Rat saß und in unerhört jungen Jahren - wie ging das damals doch gleich zu? - Ratsherr und Bürgermeister geworden war. Die Vorurteile gediehen. Man beruhigte sich zunächst, aber man vergaß nicht. Zur endgültigen Kraftprobe kam es im folgenden Jahr im Zuge heftiger Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgern.

Schwerwiegende innerstädtische Zwistigkeiten entstanden in den Jahren 1481-1483. Die Chronisten erwähnen extreme Trockenheit, strenge Winter und Sturmfluten, die in ganz Norddeutschland, sowie in Mittel- und Ostdeutschland zu Mißernten führten. Der Geldwert verfiel, es kam zu Teuerung und Hungersnöten. Die Preis für getreide und Fleisch vervierfachten sich. 1483 erreichten die Ereignisse in Hamburg ihren Siedepunkt: Die sozialen Spannungen des ausgehenden und in seiner wirtschaftlichen Expansion erlahmenden Mittelalters entluden sich, die Naturkatastrophen zum Anlaß nehmend, in heftigen Unruhen, die von weiten Kreisen der Bevölkerung getragen wurden. Diese argwöhnte, daß sich Hamburger Großkaufleute trotz des Hungers der Mitbürger an der höchst lukrativen Ausfuhr des knappen Getreides beteiligen und dabei maßlose Gewinne erzielten. Ja, es hielten sich Gerüchte, daß sogar Ratsmitglieder an diesem Handel verdienten, ein Grund mehr zu höchster Verbitterung. Auch Langenbeck geriet in Verdacht, sich bereichert zu haben.

Langenbeck selbst geht in seinem anschließend verfaßten Bericht über die Unruhen auf solche Vorwürfe ein, indem er schreibt, man verdächtige in Hamburg

"de rikesten und  mögenhaftigsten borger und koplude, dat korn und andere lyftucht uptokopen und in frembde gegende to schicken, dem gemenen manne to merklichen nadeel ...".

Besonderer Verdacht richtete sich auf Bürgermeister Johann Huge, mit dem Langenbeck in allen politischen Angelegenheiten eng zusammenarbeitete. Huge erscheint in den auf die Teuerung folgenden Jahren mit ungewöhnlich hohen Beträgen auf dem Rentenmarkt. Er legte 1471-1490 11.310 Mark Lübische (ML), etwa 550.000 EUR heutiger Währung zinsbringend an, davon in den Jahren 1484-1487 allein 8.250 ML. Auch Langenbeck selbst erscheint in den seit dem 13. Jahrhundert vorliegenden Rentenbüchern mit 7.395 ML für die Jahre 1484-1497. Gabrielsson[9] spricht denn auch davon, es habe 1483 in der Hamburger Kaufmannschaft "Krisengewinnler" gegeben. Der Verdacht, auch Langenbeck habe dazu gehört, wirft einen Schatten auf das Bild des Juristen. Die Hungersnot hatte verheerende Auswirkungen auf Bevölkerungsschichten, die ohnehin im Elend lebten. Hierfür empfanden die Ratsherren keine Schuld. Sie machten ihre Geschäfte, stifteten Altäre und gaben Almosen. Die Gewinnler unserer Zeit tun häufig nicht einmal dies.

Als jene Unruhen am Himmelfahrtstag des Jahres 1483 (8. Mai) ausbrachen, nahm Langenbeck gerade in Lübeck an einem Städtetag des wendischen Viertels der Hanse teil, sehr gesellige und unterhaltsame Veranstaltungen übrigens, diese Städtetage. Den von 1483 sollte man sich vor und in der Kulisse des Lübecker Rathauses vorstellen. Langenbeck wurde eilig nach Hause gerufen, richtete aber angesichts der aufgebrachten Bürger zunächst auch nichts aus. Als das Volk - wohl weniger die auch empörten Bürger – unter der Wortführerschaft des Brauermeisters Hinrich vam Lo am 24.6.1483 das am Neß gelegene Rathaus[10] stürmte, floh Langenbeck nach Buxtehude.

Nach dem Sturm auf das Rathaus schlug in Hamburg die Stimmung um. Dieser Rechtsbruch einiger Aufständischer erschreckte die Mehrzahl der Bürger doch. Langenbeck kehrte zurück und vollbrachte, wie Reincke meint, sein "Meisterstück"[11]. Es kam zur entscheidenden Szene, die man sich in erwartungsvoller Spannung der Beteiligten vorstellen sollte:

Langenbeck stieg auf einen Sägebock (!) und rief der Menge zu:

"Wer Gnade will, kann ohne Gefährde
Gnade erwerben!"
[12]

Dies könne durch Nachsprechen eines Bürgereides geschehen, sagte er. Die erleichterten und vom Pöbel erschreckten Bürger jubelten. Sie drängten sich, den von Langenbeck spontan - wohl in allmählicher Verfertigung der Gedanken beim Reden - formulierten Eid zu leisten. Er lautet in hochdeutscher Übersetzung[13]

"Ich gelobe und schwöre zu GOTT dem Allmächtigen, daß ich diesem Rat und dieser Stadt will treu und hold sein, ihr Bestes suchen und Schaden abwenden, so gut ich es kann und vermag, auch keinen Aufruhr gegen diesen Rat und diese Stadt machen, weder mit Worten noch Werken, und falls ich etwas erfahre, das gegen diesen Rat und diese Stadt wäre, dies getreulich vermelden will. Ich will auch mein jährliches Schoß, einschließlich Türkensteuer, Zulage, Zöllen, Akzise, Matten[14], und was sonst zwischen einem Ehrbaren Rat und der Erbgesessenen Bürgerschaft ausgemacht und bewilligt wird, getreulich und unweigerlich nach meinem Wissen entrichten und bezahlen. So wahr mir Gott helfe und sein Heiliges Wort."

In niederdeutscher Sprache blieb dieser Eid bis 1844 in Hamburg gültig; formell abgeschafft wurde er erst 1918.

Zugleich mit dieser Eidesleistung der Bürger vereinbarten Rat und Bürgerschaft einen Rezeß, in dem Regelungen über Marktrechte, Münzwesen, Kornexporte, Ämterverteilung und viele andere akute Streitpunkte getroffen wurden. Dieser Rezeß von 1483, an dessen Bestimmungen sich beide Seiten in der Folgezeit gewissenhaft hielten, sicherte bis in die Tage der Reformation, in denen es aus anderen Gründen zu Unruhen kam, den inneren Frieden in der Stadt.

Über Langenbecks Privatleben in den Hamburger Tagen sprudeln die Quellen nicht so reich wie über die italienische Zeit - es fehlte sein Freund Böger, der uns den Helden des Berichts begeistert schildern könnte. Etwas ist gleichwohl bekannt:

Im Jahre seiner RatswahI, am 3.5.1479, heiratete er die am 5.2.1459 geborene Anna Bremer, die Tochter des Bürgermeisters Detlev Bremer d.Ä. Nach ihrem Tode am 3.12.1485 ging er 1490 eine zweite Ehe mit Cecilia von Sottrum aus Buxtehude ein. Sie starb 1526 oder 1527. Über beide Ehefrauen ist nichts Näheres zu erfahren. Aus den Ehen stammten insgesamt 12 Kinder, von denen insbesondere Hermann zu nennen ist, der - wie sein Vater - in Italien Rechtswissenschaft studierte und Prokurator der Deutschen Nation in Rom wurde. Er arbeitete als Rechtsanwalt in Hamburg und war später für die Hanse in diplomatischen Missionen tätig. Verheiratet war Hermann mit der Tochter des "Kriegsgewinnlers" Bürgermeister Johann Hüge.

Der Enkel Detlev Langenbeck - ebenfalls Jurist - wurde von den Zeitgenossen seiner Rechtsgelehrtheit wegen der "Bartolus unserer Tage" genannt. Er studierte die Rechte in Bologna, wurde dort Magister und war ab 1506 an der Römischen Kurie tätig. Notar und Prokurator an der Rota Romana war Detlev und Bauherr der deutschen Nationalkirche S.Maria delI 'Anima in Rom. Er starb 1510, als er soeben zum Domdekan in Lübeck ernannt worden war. Georg Langenbeck - im 17. Jahrhundert braunschweigisch-lüneburger Kanzler - und im 18. Jahrhundert Senator Dr. Hermann Langenbeck - und Herausgeber des ältesten Seerechts-Handbuches - sind als weitere Nachkommen zu nennen.

Über Langenbecks wirtschaftliche Situation ist bekannt, daß er schon in der Jugend "sicher unter dem Schilde des Reichtums stand“ (tutus divite scuto). Er hinterließ mehrere Grundstücke und 7.000 ML. an Renten. Hinzu kommen 3.000 ML, die er 1514/15 für die Stadt verauslagte und eine Abfindung von 3.000 ML, die 1529 an eine Tochter aus dem bis dahin ungeteilten Nachlaß gezahlt wurden. Zusammen ergibt sich damit mindestens der Betrag von 18.000 ML, etwa EUR 900.000 heutiger Währung. Dies stellte in Hamburg um 1500 das Vermögen eines wohlhabenden Bürgers dar. Die Spitzenvermögen jener Zeit lagen bei etwa EUR 2,5 Mio, wobei Angaben über den jeweiligen Geldwert und die Kaufkraft nur mit größter Vorsicht möglich sind.

Zur Charakterisierung der Persönlichkeit Langenbecks sei Reincke zitiert:

"Ein ungemein geschickter, hartnäckiger Politiker, herbe, ohne persönlichen Charme, ein gewandter Unterhändler, der seine Stadt in gefahrvollen, zeitweise fast verzweifelten Zeitläufen über manche Klippe hinweggesteuert hat. Im Grunde ein Verächter der Menschen und des Geldes, obwohl er ohne beides nicht leben konnte, ein weitschauender Wirtschafts- und Geldpolitiker, ein Förderer der Künste, ein wirksamer Schriftsteller, vor allem aber eben ein großer Jurist."

Dr. Hermann Langenbeck starb – 65 Jahre alt -  am 30. April 1517. Sechs Monate später, am 31. Oktober desselben Jahres schlug Martin Luther seine Thesen an das Portal der Schloßkirche zu Wittenberg. Eine neue Zeit begann. Langenbeck wurde im Dom St. Marien zu Hamburg vor den Stufen des Chores neben der Gruft der Schauenburgischen Grafen von Holstein beigesetzt. Sein Grabstein nannte nur den Namen, das Datum seines Sterbetages und das Lebensalter. In der Ratslinie wurde sachlich vermerkt:

"Ein weiser, vortrefflich geschickter Mann, ist vielfältig in Legationen verwandt und hat viel Sachen zum glücklichen Ende gebracht."[15]

Der Mariendom wurde 1806 abgerissen. Die Ökonomie verlangte es. Der Unterhalt wurde zu teuer. Man errichtete das Johanneum auf dem Platz, der traditionell als der Standort der Hammaburg angenommen wird, auch das Johanneum verfiel dem Abriß. Ein Parkplatz entstand. Was aus den Gebeinen geworden ist?  Vielleicht wurden sie auf den Friedhof vor dem Dammtor gebracht. Dort steht heute die Hamburg Messe. Was uns greifbar bleibt, ist die wunderbare Bilderhandschrift. Sie hat alle Zeitläufte, Brände und Bomben überstanden und wird im klimatisierten Keller des Staatsarchives aufbewahrt. Sicher hat Langenbeck sie in der Hand gehalten. Vielleicht auch hat er zusammen mit Wilm Dedeke davor gestanden und kundig die gemeinsam erdachten symbolhaften Details betrachtet. Vielleicht.

Was uns sonst noch bleibt? Natürlich sein Stadtrecht selbst, besonders das Schiffsrecht, das der eigenständige Beitrag Langenbecks war. Dessen Regeln geltend in der internationalen Schiffahrt zwar noch heute, werden aber zunehmend ignoriert, wie z.B. diese Regel aus den Artikeln über den "schipbroke": "So wann eyn schip tobrickt, so schal de shipher aldererst bergen de lude unde darna dat rede gudt, unde darna moet he wol berghen sin tow eft he mach, unde darna schal he den vrachtluden dat boet lenen dat se er gudt mede berghen, eft se dat willen.".

Wenn Sie das nicht gleich verstehen, hilft es, den Text laut zu lesen, sich des Plattdeutschen und des Englischen zu erinnern. Dies ist Langenbecks Sprache. Deutlich, klar, bestimmt, entschlossen. So ein Mensch war er wohl auch. Und doch trieb es ihn, den Halephagen-Altar zu stiften und sich darauf als frommer Stifter in Gestalt des HI. Hieronymus darstellen zu lassen. Hieronymus? Ja, Hieronymus, Patron der Asketen, Gelehrten, Schüler, Studenten, Theologen und Übersetzer. Dies alles war Hermann Langenbeck auch. Daß der Internationale Seegerichtshof heute in seiner Stadt ein außerordentlich ansehnliches Gebäude mit Blick auf die Elbe erhalten hat und damit die internationale Bedeutung Hamburgs für das Seerecht unterstreicht, das hätte Langenbek sehr bewegt.

Karin Wiedemann



[1]  Reincke, Skizzen und Forschungen zur Hamburgischen Geschichte, Hambzrg, 1951, Seite 273

[2]  Anfang des Textes zu Abschnitt A

[3] In der Dielenaudienz wurden eilige oder geringfügige Streitigkeiten sowie schiedsrichterliche Verfahren behandelt. Richter waren Senatoren.

[4] "Leben und Wirken des Buxtehuder Magisters Halpaghe", Buxtehude 1984, Seite 15

[5] Reincke, Die Bilderhandschrift des Hamburgischen Stadtrechts von 1497, Hamburg 1919, Seite 7

[6]  Auf Melchior Lorichs Elbkarte von 1568 ist die große Anzahl von Seezeichen zu sehen, die Hamburg  errichtet hat hatte und unterhielt.

[7] Deutsche Übersetzung von Heinrich Reincke, aaO, Seite 264

[8]  Reincke aaO, Seite 265

[9]  Zitiert nach Loose, aaO, Seite 131

[10]  an der Stelle, an der heute das Gebäude der Patriotischen Gesellschaft steht

[11]  Reincke, Forschungen und Skizzen, Seite 272

[12]  Reincke aaO Seite 271

[13]  zitiert nach Klessmann, Seite 60

[14]  Unter Matten verstand man die Angabe von einem Zwanzigstel des zum Mahlen gebrachten Getreides als Entlohnung für den Müller

[15] Zitiert nach Reincke, aaO, Seite 274