(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/01) < home RiV >
VolksPolitikersport Richterschelte (?)

Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut (Art. 92 GG), der - sog. dritten Gewalt im Staate. Dafür sind sie unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 92 Satz 1 GG). Theoretisch eine starke Stellung, praktisch mit Zweifeln behaftet. Schon dem Alten Fritz wird der Satz zugeschrieben, die Richter könnten ruhig unabhängig sein, solange er sie befördere. Immerhin hatte er es da besser als die heutigen "Kunden" der Richter, die sich mit dieser Erkenntnis nicht trösten können. Ihnen hilft oft nur der von Helmut Schmidt gern zitierte Spruch über die Hohe See und das Gericht - bei beiden sei man allein in Gottes Hand.

Klingt das jetzt übermäßig defätistisch? Vielleicht. Aber Richter sind Menschen, und Menschen machen Fehler. Teilweise sogar haarsträubende Fehler, wie die Lektüre ober- und höchstrichterliche Entscheidungen in den Fachzeitschriften auch dem zeigt, der in der praktischen Tätigkeit davon verschont blieb. Dabei ist zu unterscheiden: Eine Rechtsauslegung, die dem eigenen Standpunkt nicht entspricht, muß noch lange kein Fehler sein, auch wenn sie so empfunden wird. Schließlich zeichnen sich gute Juristen durch Kreativität und Argumentationsgeschick aus, und viele Ergebnisse sind oft nebeneinander vertretbar.

Verstöße gegen die Regeln des Handwerks sind aber gleichfalls nicht selten. So hatte kürzlich ein OLG eine Entscheidung auf den NJW-Leitsatz einer BGH- Entscheidung gestützt, diese aber offenbar nicht gelesen und so fehlerhaft judiziert (BGH, NJW 2001, 224). Oder ein OVG (NordÖR 1999, 151) hatte eine Entscheidung des BVerfG nach einer Kommentarstelle zitiert, die aber den Inhalt gegenteilig wieder gab. Zahlreich ebenfalls die Entscheidungen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtbeachtung von Schriftsätzen, entweder wegen irriger Annahme der Verspätung oder auf Grund von Organisationsmängeln im Gericht.

Bei allem Verständnis für die Belastung der Gerichte, die durch ständige Sparmaßnahmen verschärft und durch den Einsatz von Technik nicht in gleichem Maße reduziert wird, ist hier (noch einmal, vgl. MHR 4/98, 22) daran zu erinnern, daß die Maßstäbe der Sorgfalt für alle Verfahrensbeteiligten gleich zu sein haben. Es ist schon ärgerlich genug, daß der Gesetzgeber kurze Fristen für Rechtsmittel setzt, aber (fast) keine für die Entscheidungen darüber. Und die Grenze aus Art. 6 EMRK ist doch ziemlich weit gesteckt.

Ganz besonders unschön ist es für den Anwalt - um wie viel mehr erst für die "Naturpartei"? -, wenn sich das Gefühl einschleicht, auf der anderen Seite des Richtertisches Desinteresse oder Herablassung, vielleicht sogar persönliche Animositäten zu erahnen. Oder wenn sehr junge KollegInnen ihre - verständliche - Unsicherheit dadurch zu überspielen versuchen, daß sie ihre Amtsautorität übermäßig betonen (ich weiß, daß hier manchmal allerdings auch Notwehr ähnliche Situationen vorliegen!).

Kritik also JA! Nur durch kritischen Dialog läßt sich die Rechtspflege weiter entwickeln und verbessern, Aber wo ist die Grenze? Und darf jeder kritisieren? Zweifelhaft erscheint mir schon, ob ein Richter in der Öffentlichkeit und im politischen Meinungsstreit Urteils- und/oder Kollegenschelte betreiben sollte. Selbst wenn er es viel leicht darf.

Beliebt ist dann aktuell wieder die Kritik an RichterInnen und Gerichten, deren Entscheidungen nicht gefallen, durch Politik und PolitikerInnen. Zwar ist niemand verpflichtet, Wahlkampfzeitungen vor dem Verteilen zu lesen. Schon gar nicht morgens um halb sieben. Aber wer solche Blätter verantwortlich heraus gibt, unterliegt doch einer gewissen Verantwortung. Dazu gehört zunächst, die Justiz als der "Politik" - Gesetzgebung und Spitzen der Verwaltung - gleichrangige "Gewalt" anzuerkennen. Das fällt schwer, wegen der Unabhängigkeit. Die führt nämlich manchmal dazu, daß Gerichte Entscheidungen der "Politik" nicht einfach absegnen.

Ein unglaublicher Vorgang, findet so mancher. Es kann doch nicht sein, daß ein vom Volk gewähltes Parlament und die von ihm kontrollierte (?) Regierung etwas beschließen und dann drei Leute im schwarzen Kittel das so einfach über den Haufen (oder in die Elbe) werfen. So ist aber nun einmal unsere Verfassung aufgebaut. Zum Glück! Das sollten übrigens auch Juristen wissen und beherzigen, die nicht forensisch, sondern siegelnd tätig werden. Und sie dürfen sich auch darauf besinnen, daß Gerichte nur die Gesetze anwenden (na gut, auch auslegen!), die von der "Politik" beschlossen und im Gesetzblatt verkündet wurden.

Da hilft dann auch nicht das Berufen darauf, daß man ja täglich klüger würde und sich nicht um sein dummes Geschwätz von gestern schere. Gesetze gelten nun einmal auch für die, die sie gemacht haben. Und wenn sie sie nicht ändern können, dann haben sie sich gefälligst daran zu halten. Gerichte sind genau dazu da, dies einzufordern. Richterschelte ist zwar populär (populistisch?), aber der falsche Weg - Gesetzesinitiativen können auf vielen Wegen eingebracht werden: wer dies versäumt, sollte hinterher bescheiden schweigen.

Am Rande: Ob sich die sog. "Vierte Gewalt" dafür hergeben sollte, ein Forum für Rundumschläge zu bieten, wage ich zu bezweifeln, Insbesondere, wenn diese weder sachlich besonders fundiert sind noch dem zurück haltenden Stil entsprechenden, der m.E. von ehemaligen Amtsträgern gepflegt werden sollte.

Justizkritik ist damit nicht tabu, auch nicht für PolitikerInnen. Sie sollte aber die Form und den Stil wahren, der dem Umgang der Staatsgewalten unter einander angemessen ist. Und sie sollten keinesfalls den Eindruck erwecken, als versuche jemand hier unziemlichen Druck aufzubauen. Wie wäre wohl das Echo in einer umgekehrten Situation?

Dies kann und soll kein Freibrief sein, in keiner Hinsicht. Justiz schwebt nicht auf einer Wolke und bewegt sich nicht im Vakuum oder auf einer einsamen Insel. Sie ist immer in den Staat, die Gesellschaft eingebunden, ein wichtiger Teil mit einer unverzichtbaren Funktion. Und um die zu erfüllen, ist rechtzeitige und permanente Selbstreflektion und -kritik immer noch besser als abzuwarten, bis der Lärm von außen unerträglich wird und sich dann über den Geräuschpegel zu beschweren.

RA Hans Arno Petzold