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Justizhaushalt
– Anmerkungen der Betroffenen -

Der Hamburgische Richterverein hat sich darum bemüht, die Interessen der Kolleginnen und Kollegen aus Justiz und Staatsanwaltschaft im Rahmen der Haushaltsdebatte durch das nachfolgend abgedruckte Schreiben verstärkt in das Licht der politischen Gremien zu rücken.

Hamburg, 15. September 2000

Herrn Prof. Dr. Ulrich Karpen
CDU-Bürgerschaftsfraktion

Herrn Rechtsanwalt Rolf-Dieter Klooß
SPD-Fraktion

Frau Bettina Kähler
GAL-Bürgerschaftsfraktion

Sehr geehrte Frau Kähler,
sehr geehrter Herr Prof. Karpen,
sehr geehrter Herr Klooß,

unter Bezugnahme auf das Gespräch vom 18. Juli 2000, das auf Anregung des Hamburgischen Richtervereins stattfand, möchte der Hamburgische Richterverein durch die Zusammenfassung der in jenem Gespräch erörterten Punkte die wesentlichen Argumente unterbreiten, die für eine Diskussion der Haushaltsfragen in Bezug auf die Justiz von Bedeutung sein könnten.

Es ist allgemein bekannt, wird von den Präsidenten aller Gerichte auch stets betont und braucht deshalb hier nicht weiter vertieft zu werden, dass die jahrelangen Sparmaßnahmen zu erheblichen personellen und sachlichen Engpässen in fast allen Bereichen der Justiz geführt haben.

Dieses Schreiben soll vielmehr dazu dienen, einige Gesichtspunkte aufzuzeigen, die nach Auffassung des Hamburgischen Richtervereins bislang nicht ausreichend bei den Diskussionen über den Justizhaushalt berücksichtigt worden sind:

Die bisherigen und fortdauernden Sparmaßnahmen im richterlichen und nichtrichterlichen Bereich haben dazu geführt, dass in entscheidenden Bereichen der Justiz die Verfahrensdauer sowohl in der Zivil- als auch der Strafgerichtsbarkeit zugenommen hat bzw. zunehmen und die Qualität der Entscheidungen gefährdet wird.

Diese Tatsache hat insbesondere Auswirkungen in den Bereichen, in denen die Verfahrensbeteiligten den Gerichtsstand wählen können und in denen Hamburg bislang als Standort für Rechtsstreitigkeiten wegen der zügig zu erwartenden Entscheidungen von hoher Qualität besonders gesucht war. Es handelt sich dabei vor allem um die Rechtsstreitigkeiten auf den Gebieten, die den Kammern für Handelssachen sowie den für den gewerblichen Rechtsschutz (Wettbewerbs-, Kartell-, Marken-, Patent-, Verlags- und Urheberrecht), für Presse- und für Versicherungsrecht zuständigen Spezialkammern und -senaten zugewiesen sind.

Diese Verfahren haben über den Bereich des Landgerichts hinaus erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Standort Hamburg, weil sie u.a. ein wesentlicher Faktor bei der Sicherung hochwertiger Arbeitsplätze in der Hamburger Anwaltschaft sind. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass die im Zuge der gegenwärtigen Konzentrations- und Fusionswelle in der Anwaltschaft entstehenden überörtlichen Sozietäten ihren jeweiligen Schwerpunktstandort maßgeblich auch dann nach der Qualität der jeweiligen örtlichen Rechtsprechung ausrichten, wenn sie überwiegend beratend tätig sind.

Der bislang bestehende Standortvorteil sollte also bereits deswegen auf jeden Fall erhalten und nicht leichtfertig durch weitere Kürzung von Mitteln für den Justizhaushalt aufs Spiel gesetzt werden, zumal diese Spruchkörper sich aufgrund der häufig sechs- und siebenstelligen Streitwerte kostenmäßig selbst tragen und darüber hinaus in nicht unerheblichem Maße positiv zum Gesamtbudget beitragen.

Die Bedeutung eines zügig arbeitenden Rechtsgewährungssystems ist für den Wirtschaftsstandort Hamburg auch schon deshalb von erheblicher finanzieller Auswirkung, weil sich die Ziviljustiz zu etwa 80 % aus den eigenen Einnahmen finanziert, insgesamt ist der Justizhaushalt (einschließlich Strafvollzug) immerhin noch zu ca. 40 % durch eigene Einnahmen gedeckt. Dieser Deckungsgrad ist noch höher - und dürfte in Zivil- und Handelssachen bei rund 100 % liegen -, wenn man die erheblichen Kosten für Prozesskostenhilfe herausrechnet, die gegenwärtig haushaltsmäßig als Auslagen in Rechtssachen geführt werden, der Sache nach aber besondere Ausgaben der Sozialhilfe sind.

Sollten gerade die Rechtsstreitigkeiten von besonders hohen Streitwerten nicht mehr in Hamburg durchgeführt werden, hätte dies erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen für die Einnahmen im Rahmen der Ziviljustiz.

Auch im Bereich der Vollstreckung von Urteilen sind erhebliche Probleme aufgetreten, weil nicht die ausreichende Anzahl von Gerichtsvollziehern für eine zeitnahe und effektive Vollstreckung zur Verfügung steht. Derartige Engpässe mit der Folge langwieriger Vollstreckungsverfahren können auf Dauer dazu führen, neben dem Rechtsfrieden den Wirtschaftsstandort Hamburg nachhaltig zu gefährden.

Nicht zu unterschätzen ist im übrigen auch, dass eine lange Vollstreckungsdauer zu erheblichem Unmut bei den Verfahrensbeteiligten führt, was in manchen Bereichen schon dazu geführt hat, dass die Betroffenen zu einer Art "Selbstjustiz" greifen, weil sie sich von der staatlichen Gewalt, die das Gewaltmonopol für die Durchsetzung von Entscheidungen besitzt, im Stich gelassen fühlen.

Entsprechende Berichte von Selbstvollstreckungsmaßnahmen sind wiederholt von Rechtsanwälten vorgetragen worden, deren Mandanten sich mit der nach ihrer Auffassung mangelhaften Vollstreckungsmöglichkeit nicht zufrieden geben wollten. Dies gilt zunehmend für Zahlungsforderungen von kleineren Handwerksunternehmen und kleineren Bauunternehmungen sowie bei der Durchsetzung von Räumungsvollstreckungen.

Die Belastung der Justiz mit Sparmaßnahmen wirkt sich selbstverständlich auch im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit aus und hat in vergangener Zeit bereits zu Haftentlassungen geführt, weil Strafverfahren nicht zeitnah bis zur Anklageerhebung gefördert und sodann terminiert werden konnten.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass gegenwärtig eine große Zahl besonders umfangreicher Verfahren aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität bei den Gerichten anhängig ist oder kurz vor dem Abschluss der Ermittlungen steht, in denen es nicht nur um schwere Kriminalität, sondern auch um erhebliche wirtschaftliche Werte geht, weil auf Grund der Ermittlungen der von der Polizei eingerichteten Sonderkommissionen und der bei der Staatsanwaltschaft geschaffenen Spezialdezernate gegen die Beschuldigten Arreste in Millionenhöhe ausgebracht und erfolgreich vollstreckt werden konnten. Bisher konnten diese Verfahren zeitgerecht begonnen werden, u.a. dadurch, dass das Präsidium des Landgerichts eine große Anzahl von Hilfsstrafkammern eingerichtet hat. Die Bildung von Hilfsstrafkammern war oft nur unter Einbeziehung von Richtern aus der Zivilgerichtsbarkeit möglich, was dann den oben geschilderten Verzögerungseffekt in Zivilsachen noch weiter verstärkt.

Auswirkungen haben die Sparmaßnahmen nach Auffassung des Hamburgischen Richtervereins auch auf die innere Sicherheit, denn eine energische Bekämpfung der Kriminalität ist nur dann möglich, wenn eine zeitnahe Durchführung der Strafverfahren und eine effektive Vollstreckung der ausgesprochenen Strafen gelingt.

Dies hat zum einen zur Voraussetzung, dass die Ermittlungsbehörden und die Staatsanwaltschaft in der Vorbereitung der Strafverfahren gestärkt werden müssen. Dies bedingt dann wiederum auch, dass eine entsprechende Stärkung der Strafgerichtsbarkeit folgt, damit die von den Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaft ermittelten und angeklagten Fälle auch zeitnah und effektiv zur Verhandlung gebracht werden können.

Häufig ist aber zu beobachten, dass zur Bekämpfung aktueller Kriminalitätsbereiche nur die Polizei personell und sachlich verstärkt wird, während dies bei den Strafverfolgungsbehörden unterbleibt. Staatsanwaltschaft und Strafgerichte sind dann nicht in der Lage, die bei der Polizei entstandenen Ermittlungsverfahren, die wegen der guten Ausstattung der dafür zuständigen Dienststellen qualitativ hochwertig sind, mit demselben Qualitätsniveau weiterzubearbeiten. Schlimmstenfalls werden Ermittlungserfolge der Polizei in diesen Bereichen durch die unterbesetzten Strafverfolgungsbehörden, die die Verfahren nicht ausreichend weiter fördern können, wieder zunichte gemacht, was auch unter Kostengesichtspunkten besonders fragwürdig ist.

Eine Unterbrechung dieser Kette der Zusammenarbeit aller an der Strafverfolgung beteiligten Stellen führt zu erheblichen negativen Auswirkungen, weil die abschreckende Wirkung eines effektiven Ermittlungs- und Strafverfahrens entfällt. Eine zügige Durchführung von Strafverfahren insbesondere in Drogensachen und auch in Wirtschaftsstrafsachen und Verfahren der organisierten Kriminalität gibt zudem die Möglichkeit, Gewinne krimineller Tätigkeit zugunsten des Staates abzuschöpfen. Auch dies ist ein wirtschaftlich nicht unerheblicher Faktor, der zugunsten einer gut ausgestatteten Strafgerichtsbarkeit berücksichtigt werden sollte.

Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass die Justiz keinerlei Möglichkeiten hat, sich gegen die ihr kraft Gesetzes zugewiesenen Aufgaben zu wehren, vielmehr sind alle Aufgaben, die ihr zugewiesen werden, sachgerecht und zeitnah zu erledigen. Dabei ist von ganz entscheidender Bedeutung, dass zu diesen Aufgaben auch solche gehören, die nicht dem eigentlichen Bereich der Gerichtsbarkeit zuzurechnen sind, sondern vielmehr sozialpolitische Hintergründe haben. In diesem Zusammenhang sind z.B. die Betreuungsverfahren zu erwähnen, die den Justizhaushalt mit ganz erheblichen Kosten belasten.

Ferner wird die Justiz auch mit Kosten belastet, die Teil des Sozialhaushalts sein müssten. Gewährung von Prozesskostenhilfe ist - wie ausgeführt - nämlich eine soziale Aufgabe, belastet aber den Justizhaushalt ebenfalls in ganz beträchtlichem Umfange.

Abschließend möchte der Hamburgische Richterverein darauf hinweisen, dass Richter und Staatsanwälte nach wie vor mit Tatkraft und Pflichtbewusstsein die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen, und dies auch oft unter überobligationsmäßigem Einsatz.

Angesichts der steigenden Belastung, die sich nicht immer in der Anzahl der zu erledigenden Verfahren bzw. Rechtsstreitigkeiten ablesen lässt, sondern vielfach auch durch vermehrte Komplexität geprägt wird, hat jedoch die zeitliche und gesundheitliche Belastung der Kolleginnen und Kollegen in einem solchen Umfange zugenommen, dass es vermehrt zu gesundheitlichen Ausfällen von Richtern/Richterinnen sowie Staatsanwälten/ Staatsanwältinnen gekommen ist. Bei der Staatsanwaltschaft ist wegen der sehr hohen Belastung zu beobachten, dass die für die Strafjustiz besonders geeigneten jungen Kolleginnen und Kollegen vielfach schon nach kurzer Zeit bestrebt sind, dieses Berufsfeld zugunsten leichter zu bewältigender Tätigkeitsbereiche zu verlassen.

Der Hamburgische Richterverein sieht sich deshalb auch aus Gründen der Fürsorge veranlasst, nachhaltig darauf hinzuweisen, dass für eine weitere geordnete Durchführung der Verfahren eine personell und finanziell gut ausgestattete Justiz erforderlich ist, die eine angemessene personelle und sachliche Ausstattung aller Abteilungen und Spruchkörper erlaubt.

Allein mit der jetzt weitgehend durchgeführten Technisierung der Arbeitsplätze im richterlichen und nichtrichterlichen Bereich ist den Belastungen in der Justiz nicht Herr zu werden, denn die Bearbeitung der Rechtsstreitigkeiten und der Strafverfahren erfordert nach wie vor die sorgfältige Aufbereitung und Verhandlung durch die dazu berufenen Richter und Staatsanwälte. Hinzu kommt, dass auch durch die Ausbildung der Mitarbeiter im Umgang mit der modernen Technik über längere Zeit hinweg erhebliche Arbeitskräfte gebunden werden, die für die Erledigung der täglich anfallenden Arbeit fehlen.

In der Hoffnung, dass wir mit diesen kurzen zusammenfassenden Anmerkungen einen kleinen Beitrag für die kommenden Haushaltsdebatten leisten können, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen für den Vorstand

Dr. Inga Schmidt-Syaßen