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Editorial

"Der DRB streitet für das Recht aller Kolleginnen und Kollegen, sich engagiert und in deutlicher Sprache an der öffentlichen Diskussion über politische und gesellschaftlich relevante Themen zu beteiligen. Richter und Staatsanwälte leben und judizieren nicht im politikfreien Raum. Sie können für sich die volle Teilhabe am öffentlichen Diskussions- und Meinungsbildungsprozeß in Anspruch nehmen"., so beschreibt der Deutsche Richterbund seine Aufgaben in der neuen Broschüre, deren Besprechung Sie in diesem Heft finden. In Ihrem MHR ist auch diesmal die Umsetzung des Leitbildes in der Praxis zu erleben.

Es sollte dabei selbstverständlich sein, eine deutliche Grenze zwischen "Politik" und "Parteipolitik" zu ziehen. Daß Anspruch und Wirklichkeit hier nicht immer korrespondieren, können Sie in den beiden Beiträgen "Politischer Magerquark" und "Jagdzeiten" lesen.

Ein Leitthema unserer Mitteilungen war und ist die Auseinandersetzung mit der Justiz im Nationalsozialismus. Sie ist Teil der deutschen Justizgeschichte. Die Beschäftigung mit ihren Strukturen ist notwendig für einen Berufsstand mit dem Fachgebiet "Recht, Wahrheit, Schuld". Der nationalsozialistische Spuk ist keineswegs vorbei. Im Kampf gegen seine Gespenster haben die Menschen, die "Justiz" mit Leben füllen, eine wichtige Aufgabe, der sie sich offenen Auges und im Bewußtsein ihrer Gefahren stellen müssen. Einen wichtigen Beitrag dazu hat die schleswig-holsteinische Justiz mit der Tagung in Salzau geleistet. Wir berichten darüber.

Dieses Heft geht in den Druck an dem Tage, an dem die Hamburger Justiz das Abschlußfest des Projektes "Justiz 2000" feiert. Eine lobenswerte Idee, alle mit großer Mühe an einem Werk Beteiligten nochmals zusammenzubringen, um über ihre Ergebnisse zu berichten und sich in festlichem Rahmen über die schon in weiten Teilen gelungene Modernisierung der Hamburger Justiz zu freuen. Auch wenn Vieles noch nicht ganz rund läuft: Wenn Sie Ihren Arbeitsplatz und den der Serviceeinheiten heute mit der Zeit vor fünf Jahren vergleichen, so läßt sich der Erfolg nicht leugnen. Es könnte eine "Schöne neue Welt" sein, wenn nicht alles im Kontext mit der "Konsolidierung" zu sehen wäre, dem Unwort, mit dem in Hamburg massive Sparpolitik im Rasenmäherprinzip betrieben wird. Glaubt da tatsächlich jemand, Urteile ließen sich schneller fällen, wenn ein PC im Zimmer steht, so daß man Richterstellen einsparen kann? Dies um so weniger als hinter der Ausstattung das Ansinnen vermutet werden kann, Richter und Staatsanwälte würden nun einen erheblichen Teil der Schreibarbeit selbst erledigen. Internet und JURIS sind hilfreich – spart man doch oft den Gang in die Bibliothek, gibt die Recherche mehr Sicherheit für die gefundene Lösung. Diese Techniken führen – soll man sagen: verleiten - aber auch zu Recherchen, die in unseren vortechnischen Zeiten nicht angestellt wurden. Aber wenn die Möglichkeit besteht........? Wie wird die Justiz nach Ablauf des Projektes "Justiz 2010" aussehen? Werden wir die Qualitätsdiskussion noch führen oder geht es nur noch ums Budget?

Das Jahr 2000, das als erstes des neuen Jahrtausends apostrophiert wurde und dementsprechend so prunkvoll begann, ist bereits wieder verbraucht. Das neue Kirchenjahr hat begonnen. Wenn wir von unseren braunen oder roten Aktendeckeln aufsehen, mögen wir einen Hauch von adventlicher Atmosphäre verspüren. Daß Ihnen dies (oder gar eine richtige vorweihnachtliche Stimmung) widerfährt, wünscht Ihnen die Redaktion, dazu ein Frohes Fest und einen guten Start ins mathematisch korrekte neue Jahrtausend.

Karin Wiedemann