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Mißachtung der dritten Gewalt,
von Dr. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung,
in DRiZ 1999, 145 - 151

Im o.a. Artikel schreibt Prantl u.a. auch zur Selbstverwaltung, nämlich Seite 149:

"Warum ist die Forderung nach einer aus der Exekutive herausgelösten Justiz, die sich, wie die Legislative, selbst verwaltet, so leise geworden?

Sie war schon einmal lauter: Am 5. Dezember 1957 legte die Bundesregierung dem Bundestag den Entwurf zur Verwaltungsgerichtsordnung vor. In der Begründung der Bundesregierung zu § 36 VwGO (wortgleich mit dem heutigen § 38 VwGO) heißt es:

‚In den Vorberatungen des Entwurfs ist der sehr beachtliche Vorschlag gemacht worden, die Verwaltungsgerichte ganz zu verselbständigen, sie also auch hinsichtlich der behördlichen Gerichtsverwaltung ebenso wie hinsichtlich der Rechtsprechung und der im Rahmen der Gerichtsverfassung liegenden Aufgaben ganz von der Exekutive zu lösen.
Dabei ist auch auf die Vorbilder der französischen und italienische Verfassung verwiesen worden, nach denen die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt auch in dieser Beziehung weitgehend verwirklicht worden ist.
Der Vorschlag sah zur Erreichung dieses Zieles vor, daß das OVG und das BVerwG die gleiche staats-, verwaltungs- und haushaltsrechtliche Stellung wie die Rechnungshöfe erhalten sollten. ...
Das Problem bedarf noch eingehender Klärung, insbesondere unter verfassungsrechtlichen und verfassungpolitischen Gesichtspunkten.‘

Auf diese Klärung wartet man, über vierzig Jahre später, immer noch. Legislative und Exekutive sorgen ganz gut dafür, daß die Dritte Gewalt, die Judikative, so bleibt, wie sie ist - zahm und ungefährlich."

Auf Seite 150 f. fährt Prantl fort:
"Es gibt genug Beispiele dafür, daß es ganz anders geht. In Italien hat der Minister weder den Richtern noch den Staatsanwälten irgend etwas zu sagen. Für die Parteien ist es nicht so leicht, sich über die Personalpolitik Einfluß auf die Justiz zu verschaffen: Die Judikative verwaltet sich weitgehend selbst. Was ist in Italien so anders? Woher kommt die starke Stellung der dortigen Justiz, der dortigen Staatsanwälte und Untersuchungsrichter vor allem? Staatsanwälte wie Untersuchungsrichter sind in Italien unabhängig von Weisungen. Der Justizminister hat ihnen nichts zu sagen. Italienische Staatsanwälte gehören, anders als in Deutschland, nicht zur Exekutive: Weder sie noch die Richter sind dem Minister verantwortlich. Der Parteipolitik bleibt es auch weitgehend versagt, sich über Personalpolitik Einfluß auf die Justiz zu verschaffen..

Ein oberster Richterrat, der Consiglio Superiore della Magistratura, hat die Personalpolitik in der Hand. Zwanzig der dreißig Mitglieder des obersten Richterrats wählen die Richter und Staatsanwälte aus ihren Reihen, zehn Mitglieder werden vom Parlament unter den Rechtswissenschaftlern und Anwälten ausgesucht. Es wäre daher blauäugig zu behaupten, parteipolitischer Einfluß fände im Obersten Richterrat überhaupt nicht statt. Aber immerhin: Die Justiz ist so zu einer wirklichen Kontrollinstanz geworden, die vor Politik und Parteien weder Devotion noch übertriebenen Respekt kennt. Auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit spielt dabei eine wichtige Rolle: Sämtliche Richter, Ermittlungsrichter und Staatsanwälte werden automatisch aufgrund ihres Alter finanziell befördert: Sie erreichen nach 28 Jahren Dienst die letzte Gehaltsstufe - ein Gehalt, von dem der normale deutsche Richter und Staatsanwalt nur träumen kann. Der italienische Kollege erhält dieses Gehalt auch dann, wenn er keine Karriere gemacht und kleiner Richter in der Provinz geblieben ist. Ein solches System stünde auch der deutschen Justiz gut an.

Richterräte könnten die Gerichte verwalten und ihre Präsidenten und Direktoren (auf Zeit und ohne Möglichkeit der Wiederwahl) selbst bestimmen. Die obersten Richterräte könnten die Justiz nach außen und gegenüber den Parlamenten, insbesondere in Haushaltsfragen, vertreten. ..."

(Der Auszug und die Hervorhebungen wurden gefertigt von RiLG Wolfgang Hirth.)