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Der Deutsche Richterbund stellt folgendes
Modell einer Selbstverwaltung der Justiz
zur Diskussion

Gegenwärtige Situation

Die aktuelle Lage der Justiz macht es erforderlich, eine breite Diskussion über grundsätzliche Alternativen der Justizorganisation aufzunehmen. Ziel einer solchen Neuorganisation muß eine Stärkung der Unabhängigkeit der Dritten Gewalt sowie eine Justizverwaltung sein, die dem Interesse der Bürger an einer leistungsfähigen, modernen Justiz gerecht wird.

Die Justiz als eine der drei Säulen einer funktionierenden Demokratie wird derzeit weder von der Politik noch von der Öffentlichkeit angemessen wahrgenommen. Die Mißachtung der Dritten Gewalt geht so weit, daß die Regierungen zweier Bundesländer den Justizminister eingespart haben und die Regierung eines weiteren Bundeslandes erst nach höchstrichterlicher Entscheidung bereit war, eine noch weitergehende Maßnahme — die Eingliederung des Justizministeriums in das Innenministerium — rückgängig zu machen.

In Koalitionsregierungen ist es üblich geworden, die Justiz dem kleinen Koalitionspartner oder einem Parteilosen zu überlassen; man muß zudem den Eindruck gewinnen, daß die Parlamentarier einen Sitz im Rechtsausschuß als letzte Wahl ansehen — ein deutliches Zeichen dafür, daß Rechts- und Justizpolitik keine massgebliche Rolle mehr spielen.

Die Justiz wird zur Zeit von Haushalts- und Finanzpolitikern als Objekt für Einsparungen an Personal- und Sachmitteln mißbraucht, andererseits werden der Justiz von der Ersten Gewalt ständig zusätzliche Aufgaben übertragen (lnsolvenzrecht Betreuungsrecht); die Gesetzesmaterie wird zunehmend komplizierter und unübersichtlicher gestaltet (Steuer- und Sozialrecht). Hinzu kommt der von der Politik und der Öffentlichkeit auf die Justiz ausgeübte Druck, Verfahren trotz erheblicher Personaleinsparungen zu beschleunigen (Strafrecht, insbesondere Jugendstraf
recht)

Die Ausstattung der Justiz kann nur als antiquiert und ärmlich bezeichnet werden. Während für eine angemessene Ausstattung der Legislative und der Exekutive ausreichende Mittel vorhanden waren, hinkt die Justiz mit großem Abstand hinterher. Moderne Büro- und Kommunikationsmittel sind nur in beschränktem Maß vorhanden.

Eine Neuordnung der Justiz wird zudem wegen der Budgetierungs- und Dezentralisierungsmaßnahmen erforderlich, mit denen eine weitgehende Verlagerung von Aufgaben und Verantwortung auf die Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften vorgenommen wird. Daraus folgt eine zunehmende Unabhängigkeit von der in der Regel sachfernen ministeriellen Verwaltung.

Selbstverwaltung der Justiz

Eine Verbesserung der dargestellten Situation kann dadurch erreicht werden, daß die Justiz im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Verbesserung des Rechtsschutzes der Bürger, zur Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit und zur konsequenten Durchführung des Grundsatzes der Gewaltenteilung auch ihre Verwaltung in die eigene Verantwortung übernimmt. Ein solches Gesamtkonzept wirkt auch den negativen Auswirkungen eines Modernisierungsprozesses entgegen, der überwiegend aus Einsparungsüberlegungen von außen an die Justiz herangetragen wird.

Die Selbstverwaltung der Justiz ist verfassungsrechtlich zulässig. Nach der Verfassung, die weder ein Gebot noch ein Verbot der Selbstverwaltung enthält, kann die Legitimation der Selbstverwaltung aus dem Gedanken der Annexkompetenz hergeleitet werden, nach der die Justiz berechtigt ist, ihre exekutiven Hilfsaufgaben selbst und in eigener Kompetenz zu erledigen; der verfassungsrechtliche Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit hat auch eine organisationsrechtliche Seite, der durch die Selbstverwaltung der Justiz Rechnung getragen werden kann. Kein Zweifel kann andererseits daran bestehen, daß die Etathoheit der Parlamente ebenso unangetastet bleiben muß wie die demokratische Legitimation jeder Richterwahl.

Blick über die Grenzen

Ein Blick über die Grenzen zeigt, daß in der Verfassungswirklichkeit zahlreicher Staaten innerhalb der Europäischen Union (z. B. Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien), aber auch außerhalb (USA, Japan) die Selbstverwaltung der Justiz und damit die Eigenständigkeit der Dritten Gewalt weitaus umfassender verwirklicht worden ist, als dies in Deutschland der Fall ist.

Stufenweise Umsetzung

Die Umsetzung einer justiziellen Selbstverwaltung kann und sollte stufenweise erfolgen. Zunächst — dieser Schritt ist in einigen Bundesländern bereits weitgehend durchgeführt — ist der Justiz im Wege der Budgetierung die Verantwortung für die Ausführung des Haushalts zu übergeben. Sodann sind ihr weitere zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderliche Bereiche zur alleinigen Verantwortung zu übertragen, wie Personalverwaltung, Aus- und Fortbildung, Bauunterhaltung und EDVAusstattung.

 
Eigene Haushaltsverantwortung

Schließlich ist — analog zu der Rechtslage bei den Rechnungshöfen — die Verantwortung für die Aufstellung des Haushalts und die Abstimmung mit den Parlamenten — ggf. über die Finanzminister — auf die Justiz zu übertragen.

Einbeziehung der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft ist als wesentlicher Teil der Justiz in diese Selbstverwaltung einzubeziehen. Sie ist unter Wegfall des externen Weisungsrechts aus der ministeriellen Hierarchie herauszulösen. Die Leitung der Staatsanwaltschaften kann danach nicht aus politischen Beamten bestehen.

Justizverwaltungsrat und Richterwahlausschuß

Die Verantwortung für die Organisation der Justiz und die Dienstaufsicht ist einem Justizverwaltungsrat zu übertragen, dessen personelle Zusammensetzung im einzelnen diskutiert werden muß. Die Wahl der Richter und Staatsanwälte übernimmt ein besonderer Ausschuß, dessen Besetzung dem Gedanken der demokratischen Legitimation und dem Kooptationsverbot Rechnung trägt.