"BGH-Präsident für mehr Unabhängigkeit der Justiz
     
    Hirsch beklagt Mißachtung der Bedürfnisse seines Gerichts durch den Richterwahlausschuß

    Mü. KARLSRUHE, 21. August. Der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), Günter Hirsch, hat eine Geringschätzung seines Gerichts durch den Richterwahlausschuß beklagt und mehr Unabhängigkeit für die Justiz gefordert. Im Gespräch mit dieser Zeitung sprach sich Hirsch am Mittwoch dafür aus, den Ausschuß auch mit Richtern zu besetzen. Bisher gehören ihm - unter dem Vorsitz der Bundesjustizministerin - die 16 Landesjustizminister und die gleiche Zahl von Bundestagsabgeordneten an. Das Gesetz schreibt nur vor, daß die letztgenannte Gruppe vom Bundestag gewählt sein muß. Hirsch will jedoch nicht, daß die Zahl der Richter die der anderen (gewählten) Vertreter im Ausschuß überwiegt.

    Der Präsident des höchsten deutschen Zivil- und Strafgerichts spricht sich für mehr Selbstverwaltung der Justiz aus. Hirsch denkt an einen 'Justizrat', wie es ihn in vielen anderen Ländern gebe und über den auch der Deutsche Richterbund diskutiert. Dem Justizrat solle die Personal- und die Budgetverwaltung obliegen. Die Justizministerien wären demnach allenfalls für die Rechtspolitik zuständig, wenn nicht gar überflüssig. Diesem Gremium sollten gewählte Vertreter aus der Justiz sowie Abgeordnete angehören. An der Spitze des Justizrats stünde nicht ein Justizminister als Angehöriger der Exekutive, sondern ein Repräsentant der Justiz. Der parteilose Jurist Hirsch ist aber skeptisch, was eine baldige Verwirklichung dieses Vorschlags angeht. Gleichwohl hält er ihn für die 'staatsrechtlich bessere Lösung'. Zwar sei die persönliche Unabhängigkeit der Richter keineswegs in Gefahr. Doch sei die dritte Gewalt als solche dem mittelbaren Einfluß durch (parteipolitische) Personalpolitik ausgesetzt.

    Scharfe Kritik übte der Präsident an der vergangenen Richterwahl: Der Ausschuß habe sich nicht um den vom BGH angemeldeten Bedarf an Richtern gekümmert. Fünf Zivil- und zwei Strafrichter habe sein Gericht gebraucht. Doch der Richterwahlausschuß wählte drei Zivilrichter und vier Strafrichter. Das bedeutet, daß zwei Strafrichter, die sich mehr oder weniger ihr ganzes Berufsleben lang mit Strafrecht befaßt haben, in Zivilsenaten untergebracht werden mußten. 'Das ist eine Mißachtung der Bedürfnisse des Gerichts', sagte Hirsch. Selbstverständlich handele es sich um hochqualifizierte Juristen, die sich in das Zivilrecht einarbeiten könnten. Doch hätten einige Senate momentan wegen der Reform des Zivilprozesses mit einem Zuwachs von Verfahren von bis zu 60 Prozent zu kämpfen.

    Hirsch übte allerdings auch Selbstkritik an der bisherigen Rolle des Präsidialrats des BGH im Richterwahlverfahren. Das Gremium gibt zu jedem Bewerber eine - für den Ausschuß unverbindliche - Stellungnahme ab. (Fortsetzung Seite 2.)

    Bis zur Wahl im vergangenen Jahr bestand dieses Votum nur aus einer Art Note und einer knappen Begründung. Nachdem im vergangenen Jahr zwei Richter gewählt wurden, die der Präsidialrat für ungeeignet hielt, wurde mehr Transparenz gefordert. Dem hat sich auch der BGH nicht verschlossen. Nach Auskunft seines Präsidenten hatte man sich bei den Stellungnahmen bisweilen hinter Standardformulierungen versteckt. So werde man künftig nicht mehr einen Bewerber mit der Begründung ablehnen, er habe keine Erfahrung an einem Gericht höherer Instanz, wenn man im Grunde etwa der Meinung sei, der Kandidat sei nur schwer in ein Kollegialorgan zu integrieren. Zudem hätten auch Kandidaten, die zuvor bei der Staatsanwaltschaft, in der Anwaltschaft oder in der Ministerialbürokratie tätig gewesen seien, natürlich keine Erfahrung in Rechtsmittelgerichten sammeln können. Der Präsident wehrt sich gegen den Vorwurf, der Präsidialrat betreibe Personalpolitik einer bestimmten Richtung. 'Wir wollen fachlich gute Juristen.' Hirsch unterstützt den Vorschlag der Präsidenten der Oberlandesgerichte, BGH-Richterstellen künftig in den Ländern ausschreiben zu lassen. Auf dieser Grundlage sollen dann die Landesjustizminister ihre Vorschläge machen. Das führe zu mehr demokratischer Legitimation und damit zu mehr Akzeptanz."

    (FAZ  vom 21. August 2002;
    Abschrift gefertigt von Wolfgang Hirth)